Anne Frank: Das Blumenmädchen | ZEIT ONLINE | ABC-Z

Um halb acht jeden Morgen geht die Tür des Häuschens, das am Rand des Dorfes steht, auf. Ein relativ kleines Mädchen kommt heraus, an jedem Arm einen vollen Korb mit Blumen. Wenn sie die Tür hinter sich geschlossen hat, richtet sie kurz die zwei Körbe und macht sich auf den Weg.
Alle aus dem Dorf, die sie vorbeikommen sehen und denen sie ein freundliches Nicken zuwirft, sehen ihr mitleidig hinterher, und alle denken jeden Morgen wieder dasselbe: „Dieser Weg ist viel zu lang und zu beschwerlich für ein zwölfjähriges Kind.“
Aber das Mädchen selbst hört die Gedanken all der Dorfbewohner nicht, und so flott und fröhlich, wie sie kann, läuft sie immer nur, immer nur weiter.
Es ist wirklich ein sehr langer Weg, bis sie die Stadt erreicht hat; bestimmt zweieinhalb Stunden stramm gehen, und mit den zwei schweren Körben ist so eine Strecke nicht ohne.
Wenn sie endlich durch die Straßen der Stadt läuft, ist sie schon todmüde, nur die Aussicht, sich gleich hinsetzen und ausruhen zu können, hält sie aufrecht. Aber sie ist tapfer, diese Kleine, und sie vermindert ihr Tempo nicht, bis sie ihr Fleckchen auf dem Markt erreicht hat; dann setzt sie sich und wartet und wartet …
Manchmal wartet sie den ganzen Tag so, denn es gibt nicht besonders viele Leute, die dem armen Blumenmädchen etwas abkaufen wollen. Es passiert nicht selten, dass Krista ihre Körbe nur zur Hälfte geleert wieder zurücktragen muss.
Aber an diesem Tag ist es anders, es ist Mittwoch und ungewöhnlich voll auf dem Markt. Neben ihr preisen die schreienden Marktfrauen ihre Ware an, und von überall hört das Mädchen schimpfende und wütende Stimmen.
Leute, die vorbeikommen, hören Krista fast nicht, denn ihr hohes Stimmchen verschwindet fast völlig im Markttumult. Aber Krista hört nicht auf, den ganzen Tag zu rufen: „Hier gibt es schöne Blumen, ein Groschen den Strauß! Kauft doch diese schönen Blumen!“
Und wenn die Leute, die mit ihren Einkäufen schon fertig sind, in die vollen Körbe blicken, dann geben sie wohl einen Groschen, um so ein schön arrangiertes Sträußchen zu bekommen.