Geopolitik

Angriffe im OP-Saal: „Zeigt, wie sehr gewalttätiges Verhalten zum Selbstverständnis von Clan-Kriminellen gehört“ | ABC-Z

Türkisch-libanesische Clan-Kriminelle attackieren nach dem Tod eines Verwandten Krankenhaus-Mitarbeiter, verletzten sie teilweise schwer. Im Landtag werden seitens der Opposition starke Zweifel an NRW-Innenminister Reuls (CDU) Politik der „1000 Nadelstiche“ gegen das Milieu laut.

Im Elisabeth-Krankenhaus spricht man von einer „Zäsur“. Es habe „eine bisher noch nie dagewesene Aggressivität und Gewalt gegenüber Mitarbeitenden unseres Hauses stattgefunden“, erklärt Peter Berlin, Geschäftsführer der Einrichtung, die in der Stadt Essen seit 180 Jahren Menschen versorgt. Das Team stehe unter „Schock“. Sicherheitsleute patrouillieren auf dem Gelände und vor dem Eingang, und Besuche sind nur noch nach vorheriger Anmeldung möglich. Seit Freitagnachmittag, 20. September, ist alles anders.

An jenem Tag stürmten gegen 15 Uhr Angehörige eines Patienten in den OP-Saal der Kardiologie und attackierten Mitarbeiter mit Schlägen und Tritten. Sechs Personen wurden teilweise schwer verletzt. Möbel und Geräte wurden beschädigt.

Das Team hatte zuvor versucht, einen 87-jährigen Mann türkischer Abstammung zu retten. Er hatte über Zittern und Kraftlosigkeit geklagt hatte. Der Patient verstarb während der Rettungsmaßnahmen. „Nahezu gleichzeitig kam es zum unvermittelten Angriff durch die Angehörigen des Patienten auf das Reanimationsteam und weitere Kolleginnen“, so die Krankenhausleitung.

Sie betont auch, es gebe im Bereich des Rettungs- und Gesundheitswesens immer wieder Übergriffe auf Helfende während ihrer Tätigkeit. Doch dieser Vorfall übertrifft im Elisabeth-Krankenhaus alles bisher Dagewesene. Essens Oberbürgermeister Thomas Kufen (CDU) reagierte erschüttert auf diesen Gewaltausbruch. „Auch der Verlust eines nahen Angehörigen entschuldigt oder rechtfertigt nicht ein solches Verhalten oder gar einen Angriff auf Krankenhauspersonal und ein Krankenhaus“, erklärt der Christdemokrat. Er verurteile das „aufs Schärfste“ und habe „für ein solch asoziales Verhalten überhaupt kein Verständnis“. Jetzt seien Staatsanwaltschaft und Gerichte gefordert, „darauf eine klare Antwort zu geben“.

Die beiden Hauptbeschuldigten, ein 41-Jähriger und dessen Bruder mit türkisch-libanesischer Staatsangehörigkeit, sind nach Erkenntnissen der Polizei kriminelle Clan-Mitglieder. Sie sind die Söhne des verstorbenen Patienten. Beim Angriff auf das Klinikpersonal sollen die Tatbeteiligten mit der „Macht der Familie“ gedroht haben.

„Clans lassen sich von Reul null beeindrucken“

Der Vorfall gilt als erneutes Indiz dafür, mit welchem Dominanzverständnis arabische Clans im Alltag auftreten. Die Bekämpfung von Clan-Kriminalität ist seit Jahren ein Schwerpunkt von Nordrhein-Westfalens Innenminister Herbert Reul (CDU). Er verfolgt eine „Null-Toleranz-Strategie“, deshalb bekommen einzelne Vorfälle mit Clanbezug vor Ort schnell eine landespolitische Dimension.

Die Opposition im NRW-Landtag beantragte am Donnerstag eine Aktuelle Viertelstunde im Innenausschuss zu diesem Thema, und kreidete Reul schon vorab an, dass er die Clan-Kriminalität „nicht im Griff“ habe. „Immer wieder erleben wir Drohgebärden, Einschüchterungen, selbst bei Gericht, und Gewalt am helllichten Tag – völlig respektlos und ungeniert. Die Clans lassen sich von Minister Reul offenbar null beeindrucken“, kritisierte Marc Lürbke, innenpolitischer Sprecher der FDP-Fraktion. „Die viel beschworenen ,1000 Nadelstiche‘ der Landesregierung entpuppen sich offenkundig nur als Wohlfühl-Akupunktur ohne nachhaltige Wirkung.“

NRW-Innenminister Reul hält im Ausschuss dagegen. „Ich kann Ihnen versichern, dass wir alle rechtlichen Mitteln ausschöpfen werden, um die Beteiligten für diese erschütternde Tat zu belangen“, betont der Christdemokrat. „Was da passiert ist, bekümmert, ärgert, macht betroffen, macht wütend.“ Es zeige sich, „wie sehr aggressiv schon gewalttätiges Verhalten zum Selbstverständnis von Clan-Kriminellen gehört“.

Diese hielten „nichts von unseren Werten und Normen“ und hätten eigentlich nur im Kopf gehabt, „ihr Familienansehen zu verteidigen oder für die eigene Trauer ein Ventil zu finden, indem man andere Menschen angreift. Zum Selbstverständnis unserer Gesellschaft, unserem Rechtsstaat passt das allerdings nicht“, so Reul. Deshalb werde man „auch weiter kriminelle Clans und ihre Machenschaften, ihre Machtansprüche, egal und wo und wie, bekämpfen“.

Reul betont im Ausschuss, dass sich die Situation seit 2017 verbessert habe und dass es weniger sogenannte Tumultlagen gebe. Er sei der Auffassung, dass man „solche Probleme nicht mit einer Maßnahme oder einer Entscheidung wegkriegt. Das wird extrem lange dauern.“ Man werde das „systematisch zurückdrängen, aber nie ganz“.

Nach Ansicht der SPD-Abgeordneten Christina Kampmann reicht das nicht mehr aus: „Man muss einfach feststellen, dass das Phänomen der Kleinkriminalität, wenn man sich den letzten Lagebericht anschaut, während Ihrer Regierungszeit nicht kleiner geworden ist, sondern größer geworden ist“, sagt sie an Reul gewandt. „Und da fehlt uns einfach eine weitere Strategie, die genau darauf reagiert.“

Der CDU-Landtagsabgeordnete Gregor Golland fragt nach dem aufenthaltsrechtlichen Status der Täter und ob es Ausweisungsmöglichkeiten gebe. Ähnlich äußert sich AfD-Fraktionschef Markus Wagner. Er habe Reuls Politik der „1000 Nadelstiche“ immer begrüßt: „Es fehlt mir die nächste Stufe, gegen diese Kriminellen vorzugehen. Und dazu gehört als generalpräventive Wirkung, die Aufenthaltsbeendenden Maßnahmen überall da, wo sie durchgeführt werden können.“ Wagner will auch wissen, wie viele Clan-Angehörige abgeschoben worden sind.

Reul betont, dass man „alles tue, um sie auszuweisen“. Doch die Betroffenen wehrten sich dann vor Gericht dagegen, und zwar meist erfolgreich. Formal ist in NRW für Rückführungen und ausländerrechtliche Aspekte Integrationsministerin Josefine Paul (Grüne) zuständig. Sie ist nach den Behördenfehlern im Umgang mit dem Solinger Messerattentäter politisch stark unter Druck geraten.

Politikredakteur Kristian Frigelj ist bei WELT zuständig für landespolitische Themen, vor allem in Nordrhein-Westfalen.

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