Angriff von Aschaffenburg: Drei Gärtner kamen mit Mistgabeln | ABC-Z

Die Menschen in Aschaffenburg funktionierten, als der Horror über sie hereinbrach. Die Leute, die sich am 22. Januar zur Mittagszeit im Park Schöntal und in der Nähe aufhielten, hörten Schreie. Drei Gärtner nahmen ihre Mistgabeln in die Hand und eilten sofort dorthin. Ähnlich schnell reagierte ein Anwohner, der vom Einkaufen kam. Und eine Kinderärztin, die zufällig im Park war. Mehrere Männer rannten dem Tatverdächtigen hinterher, der davonlief. Eine Studentin rief die Polizei, als dieser Mann mit blutverschmierter Jacke an ihr vorbeirannte. Annähernd 50 Zeugen, sagt ein Beamter, hätten in dieser Situation reagiert.
Neun Monate später sitzen diese Menschen im Saal 168 des Landgerichts Aschaffenburg, und der Vorsitzende Richter fragt sie: „Wie geht es Ihnen heute?“ Und die Menschen, die an jenem Tag versuchten, blutende Wunden zu stillen, versuchten, den Mann zu überwältigen, versuchten, binnen Sekunden auf Unvorstellbares zu reagieren, antworten. „Ich werde bis ans Ende meines Lebens daran denken“, sagt die Kinderärztin. Der erste Polizist, der im Park ankam, sagt: „Einfach war’s nicht. Mir hat geholfen, darüber zu sprechen. Es ist . . . Es ist, wie es ist.“
„Das hängt einem nach wie vor viel im Kopf.“
Der Anwohner, der vom Einkaufen kam, lebte damals erst ein halbes Jahr in Aschaffenburg. Ihm bricht die Stimme: „Ich dachte, ich komm’ ins Idyllische, Bayerische rein, und dann passiert mir so was.“ Ein Gärtner sagt: „Für Außenstehende ist es, glaub ich, echt schwer zu erklären, was man da erlebt hat.“ Sein Kollege sagt: „Das hängt einem nach wie vor viel im Kopf.“ Der dritte Gärtner sagt: „Ich habe versucht, alles zu verdrängen.“ Sie arbeiteten weiter im Team in dem Park: „Es muss ja weitergehen.“ Der Vorsitzende Richter sagt: „Da haben Sie recht.“
Am dritten Tag im Sicherungsverfahren gegen Enamullah O. wird die Tat vom 22. Januar in vielen persönlichen Versionen erzählt. O. hat, so sieht es die Staatsanwaltschaft, an diesem Tag einen Zweijährigen aus einer Kindergrippen-Gruppe mit einem Küchenmesser erstochen, wie auch einen 41 Jahre alten Mann, der zu Hilfe geeilt war. Der Afghane verletzte demnach außerdem eine Zweijährige schwer und einen damals Zweiundsiebzigjährigen, der ebenfalls die Kinder schützen wollte. Der Angreifer stieß eine der beiden Erzieherinnen, die mit den insgesamt fünf Kindern an diesem Tag unterwegs waren, zu Boden, sie brach sich das Handgelenk.
„Was kann ich tun?“
Am Donnerstag sagen auch mehrere der Männer aus, die O. nach der Tat mehr als einen Kilometer verfolgten, bis die Polizei ihn festnahm. Darunter ist ein somalischer Flüchtling, der sich mit Freunden im Park aufhielt, als sie die Schreie hörten. Eine Dolmetscherin übersetzt im Gericht für ihn. Sein erster Gedanke sei gewesen: „Was kann ich tun?“ O. sei weggerannt, als er die Männer gesehen habe, „kann sein, dass er Angst hatte, dass wir ihn festnehmen“. Sie seien hinterher. Ihm sei wichtig, sich gegen den Vorwurf zu wehren, er habe ihn nur verfolgt, damit er in Deutschland bleiben kann. „Ich habe das nicht deshalb getan“, sagt er. „Sondern weil es menschlich ist.“
Auch ein Aschaffenburger verfolgte den Mann und telefonierte währenddessen durchgehend mit der Polizei. Auch er hörte zuerst die Schreie, auch er kann nicht erklären, warum genau O. plötzlich floh. Alles sei sehr schnell gegangen. „Ich wollte ihn einfach nur fassen“, sagt er. Er erinnere sich gut an das Messer, das O. in der Hand hielt, er habe es erst auf der Flucht weggeschmissen.
Verteidiger sprach von “Tat eines Wahnsinnigen“
O. leidet einem vorläufigen Gutachten zufolge an paranoider Schizophrenie und soll die Tat im Zustand der Schuldunfähigkeit begangen haben. Sein Verteidiger hatte am ersten Verhandlungstag von der „Tat eines Wahnsinnigen“ gesprochen und die Tatvorwürfe in seiner Vertretung gestanden.
Die Kammer verliest am Donnerstag auch mehrere Arztbriefe aus dem Jahr 2024, in dem O. mehrmals kurzzeitig in psychiatrischen Einrichtungen war. Einmal im Januar, nachdem er Suizidgedanken geäußert hatte. Einmal im Mai für mehrere Stunden, nachdem er sich aggressiv gegenüber Polizeibeamten verhalten hatte. Einmal im August für mehrere Stunden, nachdem er im alkoholisierten Zustand auf Autos eingeschlagen hatte, wieder gegenüber Beamten aggressiv geworden war und im Krankenwagen einen Sanitäter ins Gesicht getreten hatte.
In vielen Berichten, der letzte stammt vom 12. Januar 2025, wird O. immer wieder als ruhig und höflich beschrieben, er sei aber teils verwirrt gewesen oder habe sich gereizt und impulsiv verhalten. Aber immer wieder attestieren die Ärzte: keine Hinweise auf „Eigen- oder Fremdgefährdung“.
Der Vorsitzende Richter gibt dazu eine kurze Erklärung ab. „Es stellt sich die Frage, warum die Behandler diese Erkenntnis gewonnen haben wollen“, sagt er. O. habe kein Deutsch gesprochen, Übergriffe auf die Polizei habe es mehrfach gegeben. „Mit Verlaub“ komme es da nicht darauf an, wie er sich in den wenigen Stunden vor den Ärzten verhalten habe. Der Prozess wird fortgesetzt.





















