„Andi hat uns den Hintern gerettet“ | ABC-Z
Seine Laune hatte sich eine halbe Stunde nach Spielende nur unwesentlich gebessert. Ein Medienliebling wird Andreas Wolff nicht mehr in seiner Karriere, davon ist auszugehen. Ob der Gang zum Zahnarzt ihm lieber wäre, als Auskunft zu geben?
Jedenfalls machte der am Freitagabend überragende Torwart der deutschen Handball-Nationalmannschaft auch nach dem zittrigen 31:29-(15:14)-Sieg über die Schweiz seine Witzchen, ließ Raum für Interpretationen, beantwortete Fragen spöttisch, mit dem ihm eigenen Humor.
Dass er sich in diesem zweiten Spiel der Deutschen bei der Weltmeisterschaft in Dänemark, Norwegen und Kroatien aufgeregt hatte über seine Vorderleute, war so sichtbar wie verständlich – lange war es eine Abwehr in Rudimenten, ja, wenn es erlaubt ist: löchrig wie ein Emmentaler.
Muss ich es schon wieder herausreißen?
Wolff schrie sie an, gestikulierte, versuchte, sie aufzuwecken, blieb nach Gegentoren provokativ sitzen, sprach lange draußen an der Bank mit seinem Positionskollegen David Späth, trank, während deutsche Angriffe liefen. Das wirkte wie: Muss ich es schon wieder herausreißen?
Wolff, mit seinem mächtigen Brustkorb immer eine imposante Erscheinung, sagte später auf die Frage, was ihn so erregt habe nur ausweichend, dass die Klimaanlage so warm eingestellt gewesen sei, dass ihm heiß wurde.
Mit einem provokanten Grinsen unterlegt, verdeutlichte der 33 Jahre alte Kieler, dass er auf dieses Gespräch gar keine Lust hatte und blieb auch auf Nachfrage bei seiner scherzhaften Version. Eine für Handball-Verhältnisse ungewöhnliche Kommunikation.
20 Bälle wehrte Andreas Wolff in der gut gefüllten Arena zu Herning ab. Vor allem von Rechtsaußen kam fast nichts durch – der arme Schweizer Gian Attenhofer dürfte vom großen, bösen Wolff geträumt haben. „Andi hat uns heute den Hintern gerettet“, sagte der starke Linksaußen Lukas Mertens.
Die Deutschen verschlafen wieder
Das erinnerte in seiner Qualität an die letzten fünf Würfe, die er im olympischen Halbfinale gegen Spanien pariert hatte. „Wolff rettet Deutschland“, ist seit Jahren eine etablierte Überschrift. Aber gegen die Schweiz? Bei allem Respekt vor Trainer Andi Schmids Auswahl hätte es gern etwas souveräner sein dürfen, zumal ihnen ihr bester Spieler Manuel Zehnder verletzt fehlt.
Wie auch immer – die Auswahl des Deutschen Handballbundes (DHB) erreichte die Hauptrunde, wo Dänemark, Italien und wahrscheinlich Tunesien warten. Um dort mit maximaler Ausbeute zu starten, müssten am Sonntagabend (18.00 Uhr im F.A.Z.-Liveticker zur Handball-WM und in der ARD) noch die Tschechen im letzten Vorrundenspiel bezwungen werden.
Es war der vierte Auftritt hintereinander, den die Deutschen verschliefen. Die erste Auszeit nahm Bundestrainer Alfred Gislason nach neun Minuten. Weder vorn noch hinten passte es zusammen.
Offenbar getäuscht vom Eindruck zuletzt hoher Siege gegen die Nachbarn und auch eingeschläfert von Schmids kluger Strategie, die Deutschen vorher zum turmhohen Favoriten zu stempeln, stand es 4:7, ehe es beim 13:10 durch Juri Knorr in der 27. Minute geschmeidiger wirkte.
Doch nichts dergleichen, dieses Spiel wurde zur Wanderung in den Schweizer Alpen, steil, anstrengend, schweißtreibend und mit sehr wenig Zeit, schöne Ausblicke zu genießen, denn immer wieder überrannten die Eidgenossen die deutsche Abwehr nach Ballgewinnen: „Wir sollten uns nicht vorn mit den Schiedsrichtern beschäftigen, sondern schneller zurücklaufen“, sagte Lukas Mertens mahnend, „das werde ich intern auch sagen.“ Wer gegen die blitzschnellen Dänen viele Gegenstoßtore kassiert, muss das als Schicksal hinnehmen. Aber gegen die Schweiz mit ihren Spielern aus Bern und Schaffhausen?
„Sah lange nicht so aus, als würden wir gewinnen“
Zunächst hatte der Bundestrainer viel versucht, wollte den angeschlagenen Knorr schonen, vertraute Luca Witzke, ließ auch Nils Lichtlein spielen. Schon nach elf Minuten übernahm dann Knorr und es wurde etwas besser. Wolffs Quote von 42 Prozent abgewehrter Bälle verhinderte zur Pause Schlimmeres.
Doch beim 19:21 in der 38. Minute wirkten die tapferen und enthemmten Schweizer wie der Sieger gegen eine fehlerhafte und schlecht werfende deutsche Mannschaft. „Es sah lange nicht so aus, als würden wir gewinnen“, sagte Gislason später, „aber dann haben Julian und Renars Verantwortung übernommen und voll durchgezogen.“
Beide waren ein typischer Fall von „ausgerechnet“. Köster wirkt nach schwerer Knieverletzung und Bronchitis müde. Uscins wollte zu viel und traf nur mit jedem zweiten Wurf. Es war dann Knorr, der die müder werdenden Schweizer tief in die eigene Abwehr trieb und Köster Räume verschaffte, die dieser in Treffer ummünzte: „Da waren so große Lücken, da musste ich durch“, sagte Köster lächelnd – wohl wissend, dass er im ersten Durchgang den freien Weg zum Tor wie ein scheuendes Springpferd unterbrochen hatte.
So wurde es am Freitagabend in der jütländischen Heide nicht der erhoffte Spaziergang mit Schonung für die Hochbelasteten. Erst bei Timo Kastenings 30:27 in der 56. Minute hieß es für die vielen deutschen Fans, die ermäßigte Tickets für 70 Kronen bekommen hatten, was umgerechnet gerade einmal neun Euro und ein paar Cent entspricht (so viel kostet in Dänemark ein kleines Bier in der Kneipe): Fertigmachen zum Jubeln.
Da hatte auch Andreas Wolff ein paar kurze Momente, die wie Freude aussahen – schließlich wurde er zum Spieler des Spiels gewählt.
Lange unterhielt er sich danach mit Rune Dahmke, seinem Kumpel im Team, einem wohlerzogenen Schwiegermutter-Liebling, der in Interviews nie so antworten würde wie Wolff. Doch der wird ja für seine Taten von Handball-Deutschland geschätzt. Nicht für seine Worte.