Analyse von Florian Festl : Diese Zahlen zeigen, was gestern wirklich mit Deutschland passierte | ABC-Z

Friedrich Merz hat das Land mit seinem Migrationskurs aufgerüttelt. Nun liegt es an ihm, das zerrissene Land wieder zu einen. Wie zerklüftet die Gesellschaft ist, zeigen diese Zahlen der ARD.
Der Impuls-Politiker Friedrich Merz hat eine Herkules-Aufgabe vor sich aufgetürmt. Tief getroffen vom Kindermord von Aschaffenburg war er in der Asylfrage “All-in” gegangen. Die Quittung gab es bei der Bundestagswahl am Sonntag: Merz hat die verunsicherte Republik noch stärker polarisiert, aber auch re-politisiert. 83,1 (!) Prozent der Wahlberechtigten gaben ihre Stimme ab. Ein Rekord für das wiedervereinigte Deutschland!
Die Bevölkerung votierte wild in alle Richtungen: Breiter kann der Beweis nicht sein, dass Deutschland in Lager zerfällt.
Links gegen Rechts
Die extreme Rechte legt durch die Verdopplung der AfD stattliche 10,3 Prozent auf 20,7 Prozent zu, Linke und BSW bringen es zusammen auf 13,6 Prozent bei einem Plus von 8,7 Prozent. Nur hauchdünn schrammt Wagenknecht am Einzug in den Bundestag vorbei – und damit Deutschland an einer Kenia-Koalition.
Insgesamt verbuchen die Extreme nun satte 34,3 Prozent der Stimmen auf sich.
Was einmal dünne Ränder waren, sind längst dicke Schwarten geworden. Die Parteien der Mitte hingegen verlieren 14,9 Prozent – trotz eines Wahlsiegs der Union, die 4,3 Prozent auf 28,5 Prozent zulegt.
Mitte gegen Mitte
Es steht 28:28: Die linke Mitte aus SPD und Grünen bringt es zusammen auf 28,3 Prozent. Nehmen wir die Union als rechte Mitte, liegt sie aufs Prozent genau gleichauf. Beide müssen jetzt abrüsten, wenn es schnell etwas werden soll mit einer neuen Regierung. SPD und Grüne sollten dafür schnell die Nazikeule in den Keller packen. Ein Vorteil: Olaf Scholz, Meister der Vulgär-Vokabel („Hofnarr“, „Arsch“, Provinz-Arschlöcher“) darf nicht mehr mitspielen. Am Ende wird es an Friedrich Merz liegen, ob er einen neuen Ton setzen und vertrauen gewinnen kann. „Linke Spinner“ (am Samstag im Löwenbräukeller) jedenfalls ist als Lockruf nicht sehr einfühlsam.
Jung gegen Alt
Ein Riss geht auch entlang der Generationen durch Deutschland. Bei den unter 25-Jährigen dominieren Linke (25 Prozent) und AfD (21 Prozent), bei den Menschen über 60 ist die Welt für Union (37 Prozent) und SPD (23 Prozent) noch halbwegs in Ordnung. Fällt Schwarz und Rot jetzt nichts Neues ein, sind sie Auslaufmodell.
West gegen Ost
Schon traditionell ist die Kluft zwischen Ost und West, die sich weiter vertieft. Die AfD liegt inzwischen in allen ostdeutschen Flächenländern vorn. In Sachsen, wo die Partei als gesichert rechtsextrem gilt, knackte sie die 40-Prozent-Marke. Nur in den Ballungsräumen fallen einzelne Wahlkreise per Erststimme an die SPD. Im Westen hingegen macht die AfD nach wie vor keinen Stich bei den Direktmandaten. Kein einziger Wahlkreis geht dort an die Rechten.
Aber wie lange ist die AfD im Westen noch einzudämmen? In der früheren SPD-Hochburg Gelsenkirchen lag sie mit über 33 Prozent der Zweitstimmen erstmals vorne.
Merzorius als Chance im Spiel nach vorne
Bei all den Rissen und Klüften, die der Blick in die Zahlen dieses Wahlsonntags freilegt, gibt es einen positiven Trend für Friedrich Merz. Die bevorzugte Koalition der Deutschen (48 Prozent) ist Schwarz-Rot. Und immerhin 43 Prozent halten Merz für „dem Amt gewachsen“. Beliebter als möglicher Kanzler ist nur Boris Pistorius. Ihn prominent einzubinden und für das Duett mit der SPD zu gewinnen, könnte also ein wichtiger boss move eines einenden Kanzler sein. Damit ließe sich die gespaltene Mitte ein wenig kitten. Und dringend nötige Sympathiepunkte würde der Niedersachse für die neue Regierung auch noch holen.