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“Als Deutsche”, sagt die Magdeburgerin Martina, sei sie heute “nirgendwo mehr sicher” | ABC-Z

Am Tag nach dem grausamen Anschlag sind Verunsicherung und Angst spürbar in Magdeburg. Auch unverhohlener Rassismus tritt zu Tage. Vorort-Eindrücke aus einer Stadt im Schockzustand.

Am Samstagvormittag steht Martina Braune, 70, in der Magdeburger Altstadt vor der Johanniskirche und hat Tränen in den Augen. Die Rentnerin sagt, dass sie eigentlich am Vorabend auf den Weihnachtsmarkt wollte. Schmalzkuchen essen, Bekannte treffen, wie jedes Jahr. Doch ihr Mann habe sie überredet, wegen des schlechten Wetters zu Hause zu bleiben. Also tranken sie gemeinsam einen Kakao. 

„Ich hatte einen Schutzengel“, sagt Martina Brause. Ohne ihren Mann hätte sie womöglich genau dort in der Gasse zwischen den Buden gestanden, wo der Täter mit seinem BMW durchraste.

“Als Deutsche nirgendwo mehr sicher heutzutage”

Es gehe ihr nicht in den Kopf, wie ein Mensch so etwas anstellen könne. Dazu noch ein Arzt, der doch eigentlich geschworen habe, Leben zu retten.

Es klingt vernünftig. Dann sagt Braune: Sie als Deutsche sei ja nirgendwo mehr sicher heutzutage.

Stimmen wie die von Martina Brause hört man in Magdeburg häufiger am Tag nach dem Anschlag. Menschen zeigen sich verunsichert, haben Angst oder trauern. Und ab und an tritt unverhohlener Rassismus zutage.

„Alle abschieben“, sagt ein Mann an der Straßenbahnhaltestelle vor dem Hauptbahnhof. „Hauptsache weg mit denen.“ 

Der Täter sei aber ein praktizierender Mediziner gewesen, entgegnet seine Bekannte, solche „Ausländer“ brauche man doch. Und wenn schon, sagt der Mann. Man sehe ja, was dabei herauskomme.

An der Eingangspforte der Johanniskirche haben Menschen Blumen niedergelegt, auch Stofftiere und Zettel mit Beileidsbekundungen. Dutzende Kamerateams warten bereits. Sie haben erfahren, dass Kanzler Olaf Scholz hier später vorbeikommen soll.

Rechtsextremer Influencer versucht, Abschiebeforderungen herauszukitzeln

Erstmal spricht Werner Nachtigal, der sich als Pastor aus Berlin vorstellt und ausschweifend über die Liebe von Jesus Christus spricht und die Hoffnung, die dieser gebe. Neben ihm hat sich ein Mann mit Flagge des FC Magdeburg aufgebaut. 

Die Kamerateams filmen die beiden. Ein rechtsextremer Influencer läuft umher und versucht, aus Passanten Abschiebeforderungen herauszukitzeln. Es fällt ihm nicht schwer.

„Was für eine furchtbare Tat ist das, dort mit solcher Brutalität so viele Menschen zu verletzen und zu töten“

Um Viertel nach elf schreitet Olaf Scholz die Gasse des Markts entlang. Seinen Weg säumen Decken, Scherben und Müll. Die Spuren des Anschlags sind noch deutlich zu sehen, auch Fetzen der Rettungsplanen aus Aluminium, mit denen die Verletzten gestern Abend warmgehalten wurden. An Scholz’ Seite läuft Ministerpräsident Reiner Haseloff (CDU).

Bodyguards bahnen ihnen den Weg rüber zur Kirche mit dem Blumenmeer. Später wird der Kanzler noch mehrere Einsatzkräfte treffen, die in der Nacht hier waren. Sie sollen ihm berichten, was sie erlebt haben und wie sie das verkraften.

Außerdem stellt sich Scholz vor die Journalisten und spricht von einer „furchtbaren, wahnsinnigen Tat“, die „zutiefst zu Herzen“ gehe. Es gebe keinen friedlicheren und fröhlicheren Ort als einen Weihnachtsmarkt, sagt Scholz. 

„Was für eine furchtbare Tat ist das, dort mit solcher Brutalität so viele Menschen zu verletzen und zu töten.“ Fast 40 Menschen seien so schwer verletzt, „dass man große Sorge um sie haben muss“.

„Es darf nichts ununtersucht bleiben” 

Er erinnert an den Anschlag auf dem Berliner Breitscheidplatz 2016. Angesichts solcher Taten sei es wichtig, als Land zusammenhalten. Man dürfe weder diejenigen durchkommen lassen, die Hass säen wollten, noch Täter unverfolgt lassen. Es sei wichtig, die Tat „mit aller Präzision und Genauigkeit“ aufzuklären, sagte er. „Es darf nichts ununtersucht bleiben.“ 

Zunächst müsse man aber genau verstehen, was passiert sei und welche Motive der mutmaßliche Täter gehabt habe. „Dann werden wir mit der notwendigen Konsequenz darauf reagieren.“

Gerücht um Schießerei beim „Allee-Center“

Scholz warnt auch vor einer Spaltung der Gesellschaft durch die Gewalttat. Wichtig sei, „dass wir als Land zusammenbleiben, dass wir zusammenhalten, dass wir uns unterhaken, dass nicht Hass unser Miteinander bestimmt“, sagte er. Er sichert Stadt, Opfern und Angehörigen „die Solidarität des ganzen Landes“ zu, würdigt den Einsatz der Rettungskräfte.

Im nahen Einkaufszentrum, dem „Allee-Center“, ist mittags Hochbetrieb. Nach dem Anschlag hatte sich zunächst das Gerücht verbreitet, es habe genau hier parallel zum Angriff auf den Markt eine heftige Schießerei mit vielen Verletzten gegeben. 

Bei dem Gerücht handelte es sich um eine Falschmeldung, die im Internet kursierte – doch diese Falschmeldung schien einigen Magdeburgern plausibel. 

Man solle doch bitte bedenken, dass dies die Tat eines Einzelnen war

Sogar jenen, die abends noch selbst in der Altstadt unterwegs waren und mit eigenen Augen sahen, dass das Einkaufszentrum unbeschädigt und geschlossen war.

Im Erdgeschoss des Einkaufszentrums sitzt nun eine Frau am Baumkuchenstand. Sie sagt, der ganze Aufruhr in der Stadt sei übertrieben. Sie verstehe die Ängste der Menschen, aber man solle doch bitte bedenken, dass dies die Tat eines Einzelnen war. 

Wenig später hört man von draußen ein Martinshorn, wahrscheinlich ein vorbeifahrendes Polizeiauto. Menschen drehen sich um und bleiben kurz stehen.

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