Kultur

Ein schrecklich lieber Kerl: Elias Krische als „Sauhund“ | ABC-Z

Es ist schon eine seltsame Kombination zweier Tiere in einem Wort, einem Schimpfwort, das gerade in Bayern gerne mal verwendet wird. Mit „Sauhund“ bezeichnet man Menschen, die zu allerlei Sauereien fähig sind. Schlitzohrig könnte man sie nennen, wenn nicht sogar böswillig.

„Sauhund“ heißt auch das 2023 erschienene Romandebüt von Lion Christ. Darin erzählt der in Bad Tölz geborene Autor von Flori, einem 21-Jährigen, der nach Abschluss seines Zivildienstes die Provinz um Wolfratshausen verlässt, um in München sein Glück zu versuchen. Zunächst findet er Unterschlupf bei einer ehemaligen Studienkollegin, wird aber von ihr an die frische Luft gesetzt, weil er das Nachtleben dem Beruf vorzieht. Weil er Chaos erzeugt. Weil er, eben, ein Sauhund ist.

„Flori ist schon echt eine widerspenstige Figur“, sagt Elias Krischke, „Er ist oft nicht nett, sondern ziemlich gemein zu den anderen. Das ist er aber aus einer starken Sehnsucht heraus, einer Sehnsucht nach einer tieferen Verbindung, nach Liebe.“ Gemeinsam mit Edmund Telgenkämper und Annette Paulmann bringt Elias Krischke die Geschichte von Flori auf die Bühne der Kammerspiele, Regie führt Florian Fischer. Während Krischke Flori spielt, bevölkern Telgenkämper und Paulmann den Kosmos um ihn herum. Paulmann spielt zum Beispiel die alte Frau Eichinger, die Flori als Zivi im Pflegeheim betreut hat. Oder Floris Mutter. Es sind Frauen, die Flori zu unterstützen versuchen – wenn kein Ratschlag hilft, dann eben mit Geld, was er dringend braucht.

Obwohl der Vater oft abwesend ist, wirkt das Elternhaus von Flori insgesamt gar nicht so übel, oder? „Das sagt Annette Paulmann bei den Proben auch immer“, erzählt Elias Krischke. „Aber in ihrem Versuch, für ihren Jungen da zu sein, macht die Mutter leider immer wieder das Falsche.“ Auf Floris Coming-Out reagiert sie recht verständnisvoll, unterstützt sogar seine erste Liebe zu einem Mann, Gregor, mit dem er seine ersten sexuellen Erfahrungen macht. Dennoch zieht Flori vom Land weg nach München, wo es gerade in den 1980ern eine sehr vitale schwule Szene gab.

Wie hat das schwule München in den 80ern ausgeschaut?

In seinem Roman entführt Lion Christ in eine Zeit, die er selbst, Jahrgang 1994, gar nicht erlebt hat. Und auch Elias Krischke, 1996 in Hildesheim geboren, musste erstmal in die Vergangenheit abtauchen, um sich ein Bild vom München der Achtziger-Jahre zu machen. Genauso wie Christ bei seinen Romanrecherchen besuchte er das Archiv des „Forum Queeres Archiv München“ in der Bayerstraße nahe dem Hauptbahnhof. Dort schaute er sich altes Bildmaterial an, stöberte im Stadtführer „München von hinten“ und anderen Publikationen, die im Roman erwähnt werden.

Polizeikontrolle bei Prostituierten auf dem Straßenstrich, Muenchen, August 1987
Polizeikontrolle bei Prostituierten auf dem Straßenstrich, Muenchen, August 1987
© imago images/Wolfgang Maria Weber
Polizeikontrolle bei Prostituierten auf dem Straßenstrich, Muenchen, August 1987

von imago images/Wolfgang Maria Weber

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Im Schwulen-Magazin „Adam“, das von 1972 bis 2011 in München erschien, platziert Flori Kontaktanzeigen – aus heutiger Sicht eine charmant-altmodische Art der Kontaktanbahnung. „Man musste dann darauf warten, ob per Post irgendeine Zuschrift kommt“, sagt Krischke. „Ich frage mich, ob damals nicht insgesamt viel wildere, intensivere Verbindungen entstanden sind. Heute kann die Sehnsucht nach Kontakt schnell durch vermeintliche Begegnungen im digitalen Raum befriedigt werden. Wenn ich aber am Abend müde daheimsitze und durchs Internet swipe, entwickle ich vielleicht gar keinen Ehrgeiz mehr, nach draußen gehen. Würde ich stattdessen in eine Bar gehen, hätte ich vielleicht Begegnungen, die inspirierend und stimulierend sein könnten.“

Dass Christs Roman auch, was die Münchner Bars und Kneipen, die Subkultur angeht, eine vergangene Welt heraufbeschwört, hat Elias Krischke natürlich gemerkt. „Ich bin jetzt in meinem zweiten Jahr hier in München und erlebe nicht gerade den Sehnsuchtsort, den der Roman beschreibt. Mir scheint, es geht heute vor allem darum, zu einem bestimmten Code dazuzugehören, den die Stadt vermeintlich hat. Wenn ich zum Beispiel nach Schwabing reingehe, haben alle gefühlt den gleichen Pulli an. München in den Siebzigern, Achtzigern, war offenbar ein wilder Ort, mit einer vitalen, bunten Szene. Dass meine Generation an diese Zeit nicht ansetzt, sondern eher zu was Angepasstem, Bürgerlichen, Braven zurückkehrt, ist doch sehr schade.“

Es wird ja nicht so schlimm

So aufregend das Leben damals in München war, so bedrohlich brach die AIDS-Pandemie aus. Flori scheint die Gefahr zu unterschätzen, prostituiert sich, hat ungeschützten Sex mit Männern, denen er in einer Klappe im Untergeschoss des Stachus begegnet. „Wir kennen das von der Covid-Pandemie“, meint Krischke. „Als die anfing, hat man auch erstmal gesagt, ja, wird schon nicht so schlimm sein. Ähnlich ist das im Roman mit AIDS: Wir befinden uns in den frühen Achtzigern an einem Punkt, als das kollektive Bewusstsein für die Gefahren des Virus noch nicht geschärft war.“

Elias Krischke
Elias Krischke
© Armin Smailovic
Elias Krischke

von Armin Smailovic

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An dem Bairisch, das in dem Roman gesprochen wird, versucht sich auch das Ensemble, wobei alle drei nicht aus Bayern kommen. „Freunde von mir haben aber auch gemeint, dass das eher ein Kunst-Bairisch ist“, erzählt Elias Krischke. „So ein bisschen wie in den Stücken von Franz Xaver Kroetz.“ Auch was die Musik angeht, nimmt der Roman in die Achtziger mit. Dass Gitte Haennings Schlager „Ich will alles“ Einlass in die Inszenierung fand, dafür habe er gekämpft, sagt Krischke augenzwinkernd. „Es ist schon ein Balance-Akt mit der Musik: dass man nicht in eine Nostalgiefalle tappt, sondern durch sie in die Geschichte, in das damalige Zeitgefühl hineinzieht.“

Zudem tauchen Roman und Inszenierung in die Mode der Achtziger ein. Die Männer steckten in hautengen Jeans, in schwarzen Leder- oder blauen Jeansjacken. Flori lechzt nach dem alten Pelzmantel der Frau Eichinger und träumt von einem Gesangsauftritt im roten Kleid. Nachdem ihn seine Studienkollegin aus ihrer Wohnung rausgeschmissen hat, treibt er sich jedoch auf den Straßen Münchens herum. Und wird in tiefster Not von Miguel, einer Drag-Queen, gerettet.

„Miss Piggy“ am Oberanger hat Krischke inspiriert

Das reale Vorbild für Miguel ist Peter Ambacher, der seit über dreißig Jahren als „Miss Piggy“ auftritt. Krischke und andere aus dem Team besuchten eine Travestie-Show im Oberanger-Theater, bei der auch „Miss Piggy“ mitwirkte. „Das war unglaublich toll, weil ich da eine mögliche Entwicklung meiner Figur gesehen habe. Weil diese Sehnsucht spürbar wurde, auf der Bühne zu stehen, in einer Verfremdung, als tollste Version seiner selbst, und damit gesehen zu werden.“

Floris Bühnenambitionen kann Elias Krischke gut verstehen. Er selbst rutschte in frühen Jahren in Produktionen des Stadttheaters Hildesheim hinein. Sechs Geschwister hat er, die sich beruflich im Kunst- und Kulturbereich bewegen; seine Schwester Inga Krischke ist eine professionelle Musicaldarstellerin. Als junge Mitspieler für die Kinderoper „Der kleine Schornsteinfeger“ gesucht wurden, bewarb Krischke sich, war aber mit seinen fünf Jahren noch zu jung. „Die Bewerbung war erst ab sechs möglich. Ich bin dann bei der Premiere einfach sitzengeblieben und habe dem Dirigenten gesagt, dass ich bei der nächsten Produktion unbedingt dabei sein möchte!“

Elias Krischke
Elias Krischke
© Armin Smailovic
Elias Krischke

von Armin Smailovic

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Krischkes Hartnäckigkeit zahlte sich aus: Er war kurz darauf bei Verdis ,Maskenball’ dabei, spielte danach regelmäßig in Opern und Theaterstücken mit. Sein erster Berufswunsch war jedoch Schlagzeuger. „Ich hatte als Jugendlicher eine Band, wir haben auch einige Preise gewonnen. Bei einer Musicalproduktion in Hildesheim, ,Fame’, saß ich im Orchestergraben, meine Schwester spielte die Hauptrolle. Ich saß da in meiner Ecke hinter Plexiglasscheiben und dachte mir: ,Moment mal: Die Leute gucken mich ja gar nicht an!’ Das war vielleicht so ein Wettbewerbs-Ding zwischen Geschwistern – jedenfalls wollte ich dann wie meine Schwester Musical studieren.“

Gedacht, getan. Krischke bewarb sich an der Essener Folkwang Universität der Künste, wo schon seine Schwester studiert hatte, wurde prompt genommen, gewann erneut einige Preise, brach aber sein Studium im dritten Jahr ab: „Ich liebe die Mittel des Musicals, aber irgendwie ist das doch nicht ganz meine Erzählweise.“ Krischke bewarb sich am Max Reinhardt Seminar in Wien – mit Erfolg. Von 2016 bis 2020 studierte er dort, spielte noch während seiner Ausbildung am Burgtheater. Sein erstes festes Engagement hatte er von 2020 bis 2023 am Schauspiel Stuttgart.

Eine Szene aus „Sauhund“.
Eine Szene aus „Sauhund“.
© Armin Smailovic
Eine Szene aus „Sauhund“.

von Armin Smailovic

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Noch in Wien war Tobias Schuster, damals Dramaturg am Schauspielhaus Wien, auf ihn aufmerksam geworden. 2020 wurde Schuster Teil des Künstlerischen Leitungsteams der Kammerspiele unter Barbara Mundel. Auf seine Initiative hin holte Mundel Elias Krischke 2023 an die Kammerspiele. Seither ist Krischke mit seinem sensiblen, kraftvollen Spiel in mehreren Produktionen aufgefallen – ein Spiel, das im Falle des rechtsnational gesinnten Jung-Schauspielers Hans Miklas in Jette Steckels „Mephisto“-Inszenierung auch abgründig sein kann.

Sauhund? Das ist doch eine Liebeserklärung

Jetzt ist Krischke der titelgebende „Sauhund“. Und wird, obwohl er es großartig kann, weder Schlagzeug spielen noch singen, schlicht deswegen, weil Floris Hoffnung auf eine Bühnenkarriere sich leider nicht erfüllen mag. Stattdessen lernt Flori die Liebe seines Lebens kennen, Jakob, der sich aber mit AIDS infiziert hat. „Beim Lesen des Buchs hat mich das echt umgehauen: Dass ausgerechnet die Person, bei der sich Floris Sehnsüchte erfüllen, schwer krank ist“, sagt Elias Krischke. „Letztlich ist das auch eine große, tragische Liebesgeschichte, die wir erzählen.“

Ob Flori bei Jakob bleibt oder einem inneren Fluchtimpuls folgt, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Das Wort „Sauhund“ fällt jedenfalls, kurz vor Schluss, zum ersten Mal im Stück. Jakob sagt es zu Flori. „Am Ende“, so Krischke, „ist das die größte Liebeserklärung.“

 

Für die Premiere am morgigen Donnerstag gibt es noch wenige Karten, Tel. 233 966 00. Lion Christs Roman „Sauhund“ ist im Hanser Verlag erschienen (Hardcover, 24 Euro, 368 Seiten)

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