Alpengletscher haben in 20 Jahren 40 Prozent ihrer Masse verloren – Wissen | ABC-Z

An wenigen Orten wird der Klimawandel so plastisch wie auf Gletschern. In den Alpen kann man den Eisriesen fast beim Schmelzen zusehen. Die Pasterze, der größte Gletscher Österreichs, verlor von 2022 auf 2023 rund 203 Meter an Länge, so viel wie nie zuvor. Aber nicht nur in den Alpen, sondern auf der ganzen Welt schmelzen die Gletscher. Ein internationales Forschungsteam hat nun unter Koordination des „World Glacier Monitoring Service“ (WGMS) untersucht, wie viel Eis die Gletscher seit dem Beginn des 21. Jahrhunderts verloren haben.
Abgesehen von den kontinentalen Eisschilden Grönlands und der Antarktis, welche die Forscher nicht untersucht haben, waren im Jahr 2000 noch über 700 000 Quadratkilometer von Gletschern bedeckt, also etwa die doppelte Fläche Deutschlands. Das entsprach rund 122 000 Milliarden Tonnen Eis. Die im Fachmagazin Nature erschienene Studie zeigt: Seitdem haben die Gletscher weltweit ungefähr fünf Prozent ihrer Masse verloren. Pro Jahr gingen von 2000 bis 2023 273 Milliarden Tonnen Eis verloren.
Um europäische Gletscher steht es besonders schlecht
Dabei gibt es große lokale Unterschiede. Während die Gletscher in den Polarregionen nur rund zwei Prozent ihrer Masse verloren, waren es in Zentraleuropa 39 Prozent. „Diese Unterschiede lassen sich recht einfach erklären“, sagt Michael Zemp von der Universität Zürich, der Direktor des WGMS. „In den polaren Regionen gibt es noch große Eisreserven und sie schmelzen aktuell weniger schnell als in den mittleren Breiten. Außerdem müssen viele polare Gletscher erst aufgewärmt werden, bevor sie schmelzen können.“ In den Alpen, dem Kaukasus, dem Westen Nordamerikas und tropischen oder subtropischen Regionen wie den Anden hingegen verlieren die Gletscher jedes Jahr mehr als ein Prozent ihrer Masse.
Zemp und seine Kolleginnen und Kollegen haben außerdem festgestellt, dass die Gletscherschmelze sich immer weiter beschleunigt. In der ersten Hälfte der Messperiode von 2000 bis 2011 war der jährliche Massenverlust der Gletscher um mehr als ein Drittel geringer als von 2012 bis 2023. „Die Massenänderung der Gletscher kann man sich wie ein Bankkonto vorstellen“, sagt Zemp. „Die Einnahmen sind der Schnee im Winter, der den Gletscher wieder aufbaut. Die Ausgaben sind die Gletscherschmelze im Sommer.“ Verliert der Gletscher mehr, als an Schnee dazukommt, verliert er an Masse. „Aktuell befinden sich die Gletscher in einer schweren Finanzkrise.“
Weniger Gletscher bedeuten auch weniger Süßwasser
„Zehn bis 20 Prozent der Gletscher weltweit sind nicht mehr zu retten“, schätzt Zemp. Sie wären selbst dann verloren, wenn ab sofort kein Kohlendioxid (CO₂) mehr ausgestoßen würde. Dies betrifft vor allem Mitteleuropa, wo die Temperatur rund doppelt so schnell steigt wie im Rest der Welt. „Viele Gletscher in den Alpen werden den Klimawandel nicht überleben. Aber jedes Zehntel Grad, das wir einsparen können, rettet andere Gletscher und hilft, den Schaden zu begrenzen“, erklärt der Glaziologe. Dieser Schaden liegt zum einen im zunehmenden Verlust von Frischwasser. Vor allem in den Anden und im Himalaya sind Gletscher im Sommer die wichtigste Quelle für Trinkwasser.
Zum anderen steigt durch die Gletscherschmelze der Meeresspiegel. 18 Millimeter trugen die über 6500 Milliarden Tonnen Eis, die Gletscher seit 2000 verloren hatten, zum Anstieg des Meeresspiegels bei. Allerdings sind nur 0,1 Prozent der weltweiten Süßwasserreserven in Berggletschern gespeichert. Etwa 70 Prozent des Frischwassers ist in den inländischen Eisschilden Grönlands und der Antarktis gebunden. Auch hier gibt es seit Jahrzehnten Verluste, die in der aktuellen Studie aber nicht näher ausgeführt werden. Für Grönland und die Antarktis haben die Forscher nur die Gletscher an den Rändern sowie auf einzelnen Inseln betrachtet.
An der Bilanz der Gletscherschmelze waren rund 450 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in 35 Forschungsteams beteiligt. Gemeinsam sammelten sie mithilfe von satellitengestützten Methoden Daten zu den Gletschern. „Unsere Beobachtungen und Modelle zeigen, dass Massenverluste der Gletscher nicht nur weitergehen, sondern wahrscheinlich zunehmen werden“, sagt Projektmanager und Glaziologe Samuel Nussbaumer in einer Pressemitteilung der Universität Zürich. „Das unterstreicht die Notwendigkeit, Treibhausgasemissionen und die damit verbundene Erderwärmung zu reduzieren.“