Alexander Zverevs Schwächephase zur Unzeit | ABC-Z

Neun Jahre lang musste Tommy Haas das Genörgel der Tennisprofis ertragen. Jedes Frühjahr aufs Neue beschwerten sich die Frauen und Männer beim gebürtigen Hamburger, eine ganze Weile Deutschlands bester Spieler und seit 2016 Turnierdirektor von Indian Wells, über den schrecklich langsamen Belag auf den Tennisplätzen.
Die meisten kritisierten die Zustände in der kalifornischen Wüste eher leise und im Hintergrund, manche wie der Russe Daniil Medwedew wurden laut und legten sich vor laufender Kamera mit Schiedsrichtern an. Der Untergrund verdiene nicht das Prädikat Hardcourt, wetterte Medwedew bei so manchem Seitenwechsel, sondern sei eines Turniers unwürdig, das sich als „fünfter Grand Slam“ bezeichnet. In diesen Tagen dürften die meisten Tennisprofis nicht mehr viel zu meckern haben, hat Tommy Haas doch für einen neuen Belag gesorgt, auf dem die Bälle schneller und flacher abspringen und der mächtigen Aufschlägern zugute kommt.
Haas hat Zverev den Boden bereitet
Wenn man so will, hat Turnierdirektor Haas seinem Landsmann Alexander Zverev den Boden bereitet auf dem Weg zur Nummer eins. Hat dem Hamburger eine größere Chance eröffnet, sein Service gewinnbringend einzusetzen und so zum ersten Mal in Indian Wells zu triumphieren. Bisher kam Zverev dort nie übers Viertelfinale hinaus. Nun bietet sich eine historische Gelegenheit.
Die 1000 Weltranglistenpunkte, die es im selbst ernannten „Tennis Paradise“ für einen Turniersieg gibt, täten dem Siebenundzwanzigjährigen gut bei der Jagd auf den Weltranglistenersten Jannik Sinner. Der Südtiroler brummt eine dreimonatige Dopingsperre ab, darf erst in der zweiten Mai-Woche in Rom auf die ATP-Tour zurückkehren. Bis dahin verliert Sinner die im Vorjahreszeitraum gewonnenen Punkte, sodass einer seiner beiden ärgsten Verfolger Zverev und Carlos Alcaraz ihn überflügeln könnte.
Vorausgesetzt, der Deutsche und der Spanier sammeln in den kommenden Wochen massenhaft Punkte. So müsste Zverev von den fünf Turnieren in Indian Wells, Miami, Monte Carlo, Madrid sowie München mindestens drei gewinnen, um einen Teil seines Lebenstraums zu verwirklichen und zum ersten Mal Branchenführer zu werden. Und zum ersten deutschen Mann an der Weltspitze seit Boris Becker am 8. September 1991.
„Nicht gut genug“ im Endspiel
In den Kram passen würde Zverev eine solche unfreundliche Übernahme nicht so recht, legt er doch Wert darauf, Sinner auf spielerische Weise zu überholen und nicht wegen einer juristischen Entscheidung und einer daraus resultierenden Zwangspause für den überragenden Spieler der vergangenen Monate.
Er wolle die Nummer eins werden, „weil ich die größten Turniere der Welt gewonnen habe und die besten Spieler der Welt geschlagen habe“, sagte Zverev im Januar, als er sehr kämpferisch wirkte. Seit seiner Melbourner Finalniederlage gegen Sinner jedoch klingt er nicht mehr gar so kraftstrotzend. „Natürlich möchte ich wieder meinen Rhythmus finden und wieder Tennismatches gewinnen“, sagte der beste deutsche Tennisspieler am Mittwochabend kalifornischer Ortszeit.

Nach dem Australian-Open-Finale, in dem er sich „nicht gut genug“ gefühlt hatte, verzockte sich Zverev und geriet aus dem Tritt. Er trat bei den Sandplatzturnieren in Buenos Aires und Rio de Janeiro an, scheiterte da wie dort aber jeweils im Viertelfinale an einem schwächeren Argentinier. Zuletzt verlor er sein Achtelfinalmatch im mexikanischen Badeort Acapulco gegen den 19 Jahre alten US-Amerikaner Learner Tien. Das macht für Zverev in Summe vier Siege und drei Niederlagen.
Start mit Freilos und an Nummer eins gesetzt
Der Plan, die heiße Tennis-Atmosphäre Südamerikas kennenzulernen und auf die Schnelle einige Hundert Weltranglistenpunkte einzuheimsen, ging schief. „Ich habe kein gutes Tennis gespielt“, sagte Zverev, der im Nachhinein davon berichtet, in zwei der drei Turnierwochen krank gewesen zu sein: „Vielleicht war es am Ende nicht das Richtige, besonders nachdem ich das Finale der Australian Open erreicht hatte.“
Mit so bescheidenen Ergebnissen wie zuletzt wird es Zverev nicht zur Nummer eins schaffen, sondern raubt sich schlimmstenfalls früh im Jahr auf Nebenschauplätzen die Kraft für größere Aufgaben. „Es war mutig, aber ich glaube nicht, dass er es ein zweites Mal macht“, sagte Boris Becker zu Zverevs Hatz durch Süd- und Mittelamerika.
In dem Podcast „Becker Petkovic“ stellt die Tennislegende den Turnierkalender seines Landsmannes in Frage. „Ich finde es eine ganz schön lange Strecke, die er unterwegs ist.“ Zumal kurz nach den amerikanischen Wochen, die Ende März in Miami enden, die europäische Sandplatzsaison mit ihrem gewohnten Höhepunkt French Open beginnt. Kommt Zverev platt nach Paris? Er hoffe nicht, dass Zverev dort merkt, „die Flasche ist leer“, sagte Becker.
Gerade gehe es ihm gut, meldete Zverev aus Indian Wells. Er ist beim ersten Masters-Turnier des Jahres an Nummer eins gesetzt, trifft nach einem Freilos an diesem Freitag auf Tallon Griekspoor. Der Niederländer hatte ihn im vergangenen Jahr bei den French Open an den Rand einer Niederlage gebracht.
Bedenklich ist, dass Zverev nicht mehr so erfolgreich serviert wie in den zwölf Monaten bis einschließlich der Australian Open. Hatte er bis dahin 90 Prozent seiner Aufschlagspiele gewonnen, so sind es seither nur noch rund 70 Prozent. Vielleicht hilft ja der neue Belag in Indian Wells Alexander Zverev auf die Sprünge zur Nummer eins.