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Alexander Kluge in der Rathausgalerie München: Männer, die auf Wölfen reiten – München | ABC-Z

Was wäre wenn? Das scheint die Frage zu sein, die Alexander Kluge lebenslang beschäftigt. Der inzwischen 92-jährige multitalentierte Künstler hat in seinen Arbeiten schon viele Antworten auf diese Frage gegeben und ist doch ewig neugierig geblieben. Anders als viele andere – allen voran die Populisten dieser Welt – begeht er nicht den Fehler zu glauben, alles zu wissen. Stellt Fragen über Fragen, nutzt verschiedene künstlerische Ausdrucksformen und Technologien, um diese Fragen zu umkreisen. Derzeit gewährt er einen Einblick in seinen Fragenkosmos in Form seiner großen Installation „Ontime / Offtime“ in der Rathausgalerie.

Ein wacher Geist wie er lässt sich vom technischen Fortschritt wie der Künstlichen Intelligenz natürlich faszinieren. Seine „virtuelle Kamera“ nennt er die KI, die er mit den unterschiedlichsten Informationen in Text und Bild füttert. Was die KI daraus macht, ist mitunter auch herrlich absurd und amüsant – wie das Chamäleon auf Putins Riesentisch, an dem dieser vor gut zwei Jahren Frankreichs Präsident Emmanuel Macron empfing. Aber Kluge bettet das ein in viele weitere Bild- und Textinformationen. Quer durch die Geschichte und Kunstgeschichte reflektiert er das Thema zeitlicher Nähe und Distanz, des Denkens in Zeitverläufen und Zeitsprüngen.

Was passiert, wenn die KI sich irrt: In “Winterfeldzug” von Alexander Kluge, worin es um Napoleons Russlandfeldzug von 1812 geht, reiten die Soldaten plötzlich auf Wölfen. (Foto: Alexander Kluge)

Die Geschichte von Napoleons in einer Katastrophe endenden Russlandfeldzug 1812 wird so neu geschrieben. Kluge gibt der KI die Informationen: „Im Sommer 1812 drang Napoleon mit 800 000 Soldaten und zahlreichen Pferden nach Russland ein. Aus dem bitteren Winter 1812 kam er mit 40 000 Soldaten nach Hause zurück. Kein Pferd blieb übrig.“ Und er fütterte sie mit Bildern, auf denen fliehende Franzosen unter anderem von Wölfen verfolgt werden. Was passiert? Die KI stellt Zusammenhänge her. Mit unvorhersehbaren Ergebnissen. „Das Beste an meiner virtuellen Kamera“, so Kluge, „sind ihre Irrtümer“. Die KI verarbeitete die Information „kein Pferd blieb übrig“ wörtlich: Plötzlich reiten die Soldaten auf Wölfen.

Kluges große Installation umfasst neun Monitore mit 34 kurzen Filmen, die ergänzt werden von 24 Bildern, vier Texten, 13 Blöcken mit Bildern und Texten sowie drei Fahnen, die ihre Masten in der Burgstraße in den Stadtraum strecken. Material aus den vergangenen 50 Jahren hat er verwendet. Aber das alles wirkt so komplex und frisch, dass die anderen Positionen, die zum Teil auch schon älter sind, es nicht eben leicht haben. Visuell fasziniert in der Ausstellung neben Kluges Installation am meisten das filmische Leopard-II-Panzer-Ballett von Beate Geissler und Oliver Sann. Wie die Kettenmonster sich langsam und synchron bewegen, das hat etwas fast Meditatives. Inhaltlich bleibt vor allem Hito Steyerls 1997 entstandenes vierminütiges Film-Essay „Babenhausen“ in Erinnerung, das die antisemitischen Übergriffe unter der Oberfläche der bundesrepublikanischen Nach-Wende-Normalität zeigt.

Aber alle Beiträge passen gut ins Konzept des kuratorischen Duos Swantje Grundler und Thomas Mayfried, die sich mit der Ausstellung „dem unscharfen Begriff der Normalität“ nähern wollen und dafür künstlerische Positionen ausgewählt haben, in denen Gesichertes oder Erlerntes ins Wanken gerät. Auch für sie ist das In-Frage-Stellen von Gewissheiten zentral. Alexander Kluges Installation dabei im Wortsinn so viel Raum zu geben, war ein kluger Schachzug.

Onside / Offside: Arbeiten von Thomas Demand, Beate Geissler & Oliver Sann, Alexander Kluge, Erica Overmeer und Hito Steyerl, Rathausgalerie München, Marienplatz 8, bis 24. November

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