Alex Owetschkin: Putins Mann auf dem Eis | ABC-Z

Und dann stand alles still und sie gratulierten Alex Owetschkin per Videobotschaft: Tennisikone Roger Federer. Die Basketballlegenden Michael Jordan und LeBron James. Die beste Turnerin der Welt, Simone Biles, und Schauspieler Danny DeVito. Rapper Snoop Dogg. Und natürlich alle, die im Eishockey etwas zu sagen haben. Es ist selten geworden, dass einem Russen so viel Liebe zufällt. Doch am Sonntag wollten in New York alle nur im Moment leben. Es war der Moment des Alex Owetschkin.
Im Eishockeymatch der New York Islanders gegen die Washington Capitals lief das zweite Drittel. Wie so oft in der Vergangenheit schlitterte der Puck auf die linke Seite des Washington-Angriffsdrittels, in der seit mehr als 20 Jahren die Arme von Alex Owetschkin so präzise und mächtig durchschwingen wie bei keinem anderen. Mit einer perfekten Bewegung hämmerte der 39-jährige Russe den Puck zum 1:2 ins Netz.
Es war sein 895. NHL-Tor und damit zog er vorbei an Wayne Gretzky, der kanadischen Eishockeylegende. Owetschkin hat den Stanley Cup 2018 zum ersten Mal nach Washington geholt, er hat das Spiel mit seinem bulligen Stil schon längst geprägt und verändert, zig Rekorde eingesackt, doch nun hält er auch den wichtigsten: den für die meisten Eishockeytore in der NHL. The Great 8 nennen sie ihn, und es gibt nur wenige, die heute daran glauben, dass ihn irgendjemand irgendwann noch übertrumpfen wird.
Dem Sportler Owetschkin ist seine Lebensleistung zu gönnen, jeder zollt ihm dafür Respekt. Im nordamerikanischen Sport werden solche historischen Wegmarken rituell mit einer Spielpause, einer vorbereiteten Zeremonie und Reden zelebriert, die in ihrem Pathos einzigartig in der Welt des Sports sind. Nur ist in diesem Fall ist, nachdem das Konfetti sich gelegt hat, nicht jedem nur nach Feiern zumute. Vor allem nicht denen, die eine demokratische Grundauffassung vertreten.
Eigentlich ist es im Sport ganz einfach: Man kann Athleten anhand ihrer Statistik oder ihrer Grazie sehr schnell einsortieren in den Lauf der Geschichte. Im Fall von Owetschkin muss man zum Schluss kommen: Er ist ein Champion, der Größte seines Sports. Das allein verleiht ihm Würde, Respekt und gibt ihm Einfluss über das Eis hinaus. Sportlerinnen und Sportler sind aber schon immer auch deshalb politische Figuren, weil sie zu den Menschen einen anderen emotionalen Zugang haben als CEOs oder sogar Schauspielerinnen. Was sie sagen und wofür sie stehen, interessiert die Menschen nicht nur, es berührt sie.
Und spätestens an der Stelle wird es kompliziert. Denn Owetschkin versteht sich bestens mit Wladimir Putin. Den WM-Sieg 2014 kurz nach dem ersten Einmarsch in die Ukraine widmete Kapitän Owetschkin Putin. Er führte sein Team in den Präsidentenpalast – während Russland gerade Teile der Ukraine überfallen hatte. Und aus dem Kreml nahm er auch ein paar Gedanken mit: Im Sommer danach postete er Putins Propaganda, wonach man die Ukraine entnazifizieren müsse: “Rettet Kinder vor Faschismus”. 2017 rief er im Wahlkampf das Team Putin ins Leben, eine Bewegung für alle, die stolz auf Russland seien und “Putins Fairness” unterstützen wollten. Er zog weitere Sportler in die Sache mit rein. Den Einmarsch 2022 kommentierte er wortkarg mit dem Wunsch nach Frieden, und bis heute zeigt sich Owetschkin auf Instagram mit dem russischen Diktator. “Er ist eben mein Präsident”, wiederholt er stets und betont seinen Wunsch, sich nicht politisch zu äußern. Was bereits eine politische Äußerung ist.
Nur wenige russische Sportler trauen sich politische Distanzierung zu, wie Tennisspieler Andrei Rubljow.
Oder sie brechen gleich ganz mit ihrer russischen Identität: Die Tennisspielerin Darja Kassatkina legte vor wenigen Wochen ihre russische Staatsbürgerschaft ab und tritt nun für Australien an.
Alle anderen, so heißt es immer, fügen sich dem System, weil sie gar keine Wahl haben. Doch das stimmt nicht. Owetschkins Eishockeykollege Artemi Panarin sagte schon 2019: “Putin weiß nicht mehr, was richtig oder falsch ist.” Und Owetschkin gibt sich ja nicht apolitisch, sondern ist trotz seiner vielen Jahre in den USA noch immer so eng verbunden mit Putin, dass man ihn eigentlich als Teil der russischen Soft Power verstehen muss. Er eignet sich für Putin bestens, um russische Stärke zu demonstrieren – und das Land in ein positiveres Licht zu rücken.
Mindestens ebenso bemerkenswert ist im politisierten Eishockey die Kontroverse darum, wem er den Rekord entrissen hatte. Bisher war der Kanadier Wayne Gretzky der beste Torschütze in der Geschichte der NHL. Doch sind seine Landsleute wirklich so traurig über diesen Verlust oder haben sie sich nicht schon vor einiger Zeit von ihm verabschiedet? Gretzky kann nämlich sehr gut mit Donald Trump, was die Frage aufwirft, ob zu viel Zeit auf kaltem Eis das Denken beeinflusst.
Nicht selten sieht man Gretzky in Mar-a-Lago, Trumps Inauguration verfolgte er im Kapitol. Und wenn Trump wöchentlich davon träumt, Gretzkys Heimat zu annektieren, hört man von Gretzky nur dahingehend, dass Trump für ihn die Rolle des neuen Gouverneurs vorgesehen habe. Er selbst schweigt. Das alles hilft den Kanadiern, bei denen Eishockey als nationaler Wintersport Verfassungsrang hat, die Trauer über diesen historischen Augenblick in Grenzen zu halten. Aus dem Great One wurde in Kanada längst der Great Once.
Eishockey bleibt also eine höchst politische Sache. Ein Duell zwischen den USA und Kanada begann im Februar unter dem Eindruck von Trumps Annektionsgeschwafel mit einer minutenlangen Spieler-Schlägerei auf dem Feld. Vorher wurde die US-Hymne ausgebuht. Und nun wurde, staatstragend und völkerverbindend gesprochen, ein Russe in der US-Hauptstadt in einem Sport zum Besten aller Zeiten, der sowohl in Nordamerika als auch in Russland zu den beliebtesten zählt. Und nicht wenige werden gedacht haben: Es hätte ein so schöner Moment sein können. Kürzlich beschmierte übrigens jemand die Gretzky-Statue in Edmonton mit Fäkalien. Und auch die hätte so eine schöne Statue bleiben können.