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Alemannia Aachen in der 3. Liga: Der Traditionsklub ist zurück im Profifußball – Sport | ABC-Z

Wer den Fußballtrainer Heiner Backhaus ein bisschen locken will und ihm im Gespräch die Vereine „Elversberg, Ulm und Münster“ hinwirft, der bekommt als Antwort wie aus der Pistole geschossen die Vereine „Oldenburg, Lübeck und Havelse“ zurück. Der Sinn dieses kryptischen Dialogs erschließt sich, wenn man weiß, wie es in den vergangenen Jahren den Aufsteigern in die Dritte Liga ergangen ist. Elversberg, Ulm und Münster haben den Durchmarsch geschafft und sind direkt weiter in die zweite Bundesliga aufgestiegen. Oldenburg, Lübeck und Havelse hingegen sind sofort wieder abgestiegen. Wohin also wird sich der Aufsteiger Alemannia Aachen orientieren, der nach elf langen Jahren in die Dritte Liga zurückgekehrt ist und aus den ersten beiden Spielen vier Punkte geholt hat?

Aachens Trainer Backhaus, 42, hat da eine klare Meinung: „Die Alemannia hat zwei Insolvenzen und elf Jahre Regionalliga auf dem Buckel, da ist eine gewisse Lücke zum Profifußball entstanden.“ Backhaus ist deshalb vorsichtig: „Wir müssen in diesem ersten Jahr drinbleiben, und wenn wir das schaffen und uns in allen Bereichen weiterentwickeln, dann haben wir ein Riesenpotenzial.“ Wenn man Backhaus fragt, in welche Liga der Traditionsklub Alemannia seiner Meinung nach gehört, dann antwortet er trocken: „Zurzeit in die dritte.“

Die vergangenen 20 Jahre des TSV Alemannia Aachen lassen sich in zwei große Phasen aufteilen: eine des Aufschwungs und eine des Abschwungs. 2004 erreichte der Klub als Zweitligist das Pokalfinale gegen Werder Bremen (2:3) und durfte deshalb eine Saison später im Uefa-Pokal mitspielen. Ein weiteres Jahr später stieg Aachen 2006 in die Bundesliga auf – aber auch direkt wieder ab. 2009 schließlich wurde das große neue Tivoli-Stadion mit einer Kapazität von 33 000 Zuschauern eingeweiht. Und damit begann der Absturz.

Der Kapitaldienst für das Stadion überforderte die Alemannia. 2012 stieg sie in die dritte Liga ab und 2013 in die vierte. Kurz darauf wurde ein Insolvenzverfahren eröffnet und 2017 ein weiteres. Aachen spielte zehn Jahre lang in der Regionalliga, ehe im September 2023 nach dem sechsten Spieltag der vergangenen Saison der gebürtige Wittener Heiner Backhaus hier Trainer wurde und die Alemannia mit 69 Punkten in 28 Spielen vom zehnten auf den ersten Platz führte.

„Wir wollten aufsaugen, was hier los ist. Das sind einfach einmalige Momente“, sagt Backhaus

Backhaus erinnert in Rhetorik, Emotionalität, Hemdsärmeligkeit und auch mit seinem kompromisslosen Fußball ein bisschen an den Trainer Steffen Baumgart. „Heiner Backhaus ist mit jeder Faser seines Körpers emotional, er steckt immer voller Energie und findet immer die richtigen Worte“, schwelgte nach dem 1:1 gegen Verl am Samstag der Aachener Torschütze Lukas Scepanik. Es war das erste Drittliga-Heimspiel am Tivoli seit dem 11. Mai 2013. 23 100 Menschen waren im Stadion. Die Alemannen spielten nach einer roten Karte für den Neuzugang Charlison Benschop ab der zwölften Minute in Unterzahl und glichen trotzdem in der zweiten Halbzeit einen 0:1-Rückstand aus. Den Fans gefiel, wie die Mannschaft sich zerriss. „So habe ich unser Publikum selten erlebt“, sagte Backhaus. „Der Funke ist übergesprungen, wir haben viele weitere Herzen dazugewonnen.“

Schon in der Aufstiegssaison kamen im Schnitt 19 700 Zuschauer zu den Viertliga-Heimspielen. Vor zehn Jahren hatte der Zuschauerschnitt mal bei 6500 gelegen, viele Aachener waren damals nach der Insolvenz skeptisch, manche sprachen abfällig über die Alemannia. Aber zuletzt ist eine neue Fußballbegeisterung in der Stadt erwacht, die der Geschäftsführer und Sportdirektor Sascha Eller auch am Spielstil des neuen Trainers festmacht. „Sein offensiver Fußball mit viel Power und viel Pressing passt an den Tivoli, die Menschen verzeihen der Mannschaft auch mal eine Niederlage, wenn die Spieler alles gegeben haben.“

Tatsächlich scheint Backhaus, zuvor bei Rot-Weiß Koblenz und beim BFC Dynamo in Berlin Trainer von Viertligisten, sehr gut zur Alemannia zu passen. Über das Besondere an diesem Klub sagt er: „Es ist die Ehrlichkeit und diese völlige Uneitelkeit; hier ist jeder gleich, die Alemannia ist ein total fairer Klub.“ Backhaus nimmt den Verein komplett emotional wahr: „Niemand ist hier, weil er so einen tollen Vertrag hat, wir sind alle hier, weil wir in genau so einem Klub spielen wollen, weil wir das leben.“ Am Samstag stand er mit seinem Trainerteam drei Stunden vor dem Spiel auf einer Fußgängerbrücke am Stadion, um sich drunten auf der Hauptstraße den Fanmarsch anzusehen. „Wir wollten aufsaugen, was hier los ist. Das sind einfach einmalige Momente.“

„Die Tradition ist Bundesliga, die Fans sind Bundesliga und das Stadion ist Bundesliga – aber es gehört mehr dazu“: Eine gelbe Wand gibt es in Aachen jedenfalls auch. (Foto: Manfred Heyne/Foto2press/Imago)

Für den Geschäftsführer Eller, 48, und den Aufsichtsratsvorsitzenden Marcel Moberz, 41, hat sich die Wahl von Backhaus vor knapp einem Jahr bislang als goldrichtig erwiesen. „Er ist ein absoluter Mensch; einer, der wahnsinnig gut zu uns passt“, sagt Eller, der in Backhaus Ähnlichkeit mit Jürgen Klopp zu erkennen glaubt. Backhaus wiederum ist vom Potenzial der Alemannia überzeugt: „Die Tradition ist Bundesliga, die Fans sind Bundesliga und das Stadion ist Bundesliga – aber es gehört mehr dazu, und das müssen wir noch hinbekommen, wenn wir irgendwann hoch wollen.“

Relevante Spieler sind der hochtalentierte Torwart Marcel Johnen, 21, der bei Bayer Leverkusen ausgebildet wurde, der Torjäger Anton Heinz, 26, der in der vergangenen Saison 20-mal und beim 2:1-Auftaktsieg in Essen zweimal getroffen hat, sowie der erfahrene Stürmer Benshop, 34, der wegen seiner roten Karte aber nun erst mal gesperrt ist. Noch nicht zum Einsatz kam bislang der Neuzugang Gianluca Gaudino, 27, der vor zehn Jahren bei Bayern München mal ein paar Einsätze vom Trainer Pep Guardiola bekam.

Mit dem begeisterten Publikum im Rücken sieht Backhaus, der in diesen Monaten parallel seinen Trainer-Pro-Lizenz-Lehrgang absolviert, sogar gegen den Bundesliga-Aufsteiger Holstein Kiel am Samstagabend im DFB-Pokal eine Chance. Der Manager Eller denkt derweil schon etwas weiter, wenn er sagt: „In zwei, drei Jahren, hoffe ich, können wir einen Angriff Richtung zweite Liga starten.“

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