Aiwangers Hoffnung auf ein Husarenstück – Bayern | ABC-Z
Hubert Aiwanger packt das grobe Besteck rasch aus, kaum hat er die Bühne betreten. Deutschland sei „wie ein überfahrener Hund“, ruft er. Ein Land nämlich, „das auf dem Rücken liegt und in der Luft mit den Beinen rudert“. Da ist das Publikum im Weißbierstadl, beim Dreikönigstreffen der Freien Wähler in Abensberg, gleich voll dabei, lacht, klatscht und harrt der Derbheiten, die da noch kommen mögen. Kurieren könne man das Land, so Aiwanger, nur mit Leuten, „die wissen, wo man hinlangen muss“, die wüssten, was schieflaufe – in den Kommunen, im Mittelstand, in der Landwirtschaft. Kurzum: „Berlin braucht uns“, seine FW könnten „Volkes Denke in die Regierung bringen“. Ansonsten würden sich in einer künftigen Koalition die Verursacher der Probleme nur einfach neu durchmischen.
Aiwangers Poltern gegen die Ampel, das ist altbekannt. Aber da ist ja noch ein Satz, der aufhorchen lässt. Bei den „Verursachern“ nennt Aiwanger „die CDU und CSU vorneweg, mit dieser gescheiterten Migrationspolitik“. Diese habe unter Kanzlerin Angela Merkel Deutschland erst in die Bredouille gebracht. Zum Jahresauftakt, zum Auftakt in den Wahlkampf geht Aiwanger also in den Rundumschlag – auch gegen die CSU, mit der er ja in Bayern regiert und es im Bund so gerne tun würde.
Aiwanger will in den Bundestag. Diesmal unbedingt. 2021 kam seine Partei nur auf 2,4 Prozent bundesweit. Seitdem gab es allerdings eine Landtagswahl mit starken FW-Zuwächsen, die Aiwanger regelrecht beflügelt hatte – und seitdem erst recht von Größerem träumen lässt. Das Dreikönigstreffen zwischen Blaskapelle und Weißwürsten soll nun endgültig Start sein für die Kampagne. Der Ort passt gut: Abensberg in Niederbayern ist immer im September Schauplatz des politischen Frühschoppens aller Parteien auf dem Gillamoos. Dort, wo Aiwanger oft so viel Publikum zieht, dass der Weißbierstadl auf dem Festplatz kaum noch ausreicht. Genau dort findet der Dreikönig-Frühschoppen statt, in der „Walhalla der Freien Wähler“, so Aiwanger. Auf dem Platz, wo sonst um den Holzstadl herum die Zelte aufgebaut sind, stehen jetzt parkende Autos. Die Bude ist auch heute recht voll.
Die Ausgangslage für Aiwanger in diesem Januar indes, sie ist nicht gerade blendend. Objektiv betrachtet. Nationale Umfragen zur Bundestagswahl taxierten die FW zuletzt meist nur bei jenen grob zwei Prozent. Und speziell im Freistaat zeigen Umfragen nur bescheidene vier Prozent an. Zum Vergleich: Bei der Landtagswahl 2023 waren es 15,8 Prozent. Auch die Europawahl im Juni 2024 hatte illustriert, wie schwer sich die FW traditionell bei überregionalen Wahlen tun. Richten soll es die sogenannte Grundmandatsklausel: Eine Partei, die bundesweit drei Direktmandate erringt, kommt in Fraktionsstärke ins Parlament, auch wenn sie an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert.
Der Gewinn dreier Direktmandate wäre eine dicke Überraschung
Diese Mandate will Aiwanger allein schon in Bayern erringen. Er selbst in Rottal-Inn anstelle seines Heimatlandkreises; dort in Landshut dafür Landrat Peter Dreier, dazu die Oberallgäuer Landrätin Indra Baier-Müller und der Bürgermeister von Gersthofen, Michael Wörle, in Schwaben. Das kommunalpolitische Reservoir der FW – gut ein Dutzend Landräte – wäre deutlich größer gewesen. Als Aiwangers Plan von einer Landräte-Offensive ruchbar wurde, hatten Beobachter durchaus mit mehr erfahrenen Kommunalpolitikern gerechnet. Man könne ja „nicht alle ins Rennen schicken“, sagte Aiwanger kürzlich kurz und barsch auf Nachfrage eines SZ-Reporters, ob er intern denn viele Absagen kassiert habe. Trifft wohl einen wunden Punkt.
Die Taktik mit den drei Direktmandaten ist eine wackelige Geschichte. Kein Ding der Unmöglichkeit, aber, wenn es gelänge, wäre es eine dicke Überraschung. Ein Husarenstück. Aiwangers drei Hoffnungsträger sind, wie ganz viele weitere FW-Kandidaten, nach Abensberg gekommen. Landrat Peter Dreier hat schon mal eine Duftmarke in der Bundespolitik gesetzt, als er 2015 einen Bus mit Flüchtlingen vors Kanzleramt schickte, um seinen Unmut zum Ausdruck zu bringen. Mit Merkels „Wir schaffen das“ habe die Spaltung im Land begonnen, sagt er in Abensberg. Es sei „fünf vor zwölf, um eine rechtsextreme Regierung zu verhindern“, wie es sie andernorts in Europa längst gebe. Die aktuelle Politik treibe der AfD immer weiter Wähler zu, „warum hört man nicht auf diese Signale?“ Die FW in Berlin, glaubt Dreier, seien jetzt „die letzte Chance“ für eine „bürgerliche“ Koalition.
Bürgermeister Wörle sagt zur Migration: Es gebe jene, die man „nicht braucht“, die dem Sozialsystem zur Last fallen. Aber er könne im Sommer sein Freibad nur wegen zweier Bademeister aus Nairobi aufmachen. Doch „die in Berlin“ wüssten gar nicht, dass es Kommunen gibt und was die bräuchten. Weil da lauter Leute säßen, so Wörle, die nur zwei Semester Theaterwissenschaft studiert haben. Landrätin Baier-Müller fordert eine finanzielle Stärkung der Kommunen, der Bund verursache immer neue Aufgaben, die nicht bezahlt würden. Die Freien Wähler, sagt sie, sollen im Bundestag „das größte Rathaus Deutschlands bilden“.
„Steckt euch die Dubai-Schokolade irgendwohin“
Schon das Dreikönigstreffen vor einem Jahr, damals in Bad Füssing, war übrigens ein Auftakt. Und zwar für die Bauernproteste, als deren Speerspitze sich Aiwanger sah. In Bad Füssing wetterte Aiwanger über „die Damen und Herren der politischen Elite“ in Berlin, die „eine Kuh nicht von einer Sau unterscheiden können“. In Abensberg spricht er von berufslosen Grünen-Politikern, die auf den Sofas der Politik-Talkshows hockten, „aber zu Hause zu dumm sind, sich eine Würstelsuppe zu machen“. Oder obendrauf noch Süßes von weit her äßen. Die behagt ihm gar nicht: „Steckt euch die Dubai-Schokolade irgendwohin, esst heimische Äpfel und heimisches Rindfleisch!“
In die Talkshows will Aiwanger übrigens auch selbst. Sahra Wagenknecht sei dort anders als er Dauergast, beklagt er, „vielleicht weil sie schönere Beine hat“. Das Ganze skizziert Aiwanger als Verschwörung: Hätten die FW nur annähernd eine Medienpräsenz wie etwa die FDP, „wären wir zweistellig im Bundestag. Aber man will uns dort nicht“. Mit der FDP will er übrigens auch koalieren: Er würde „erwarten“, dass CDU-Chef Friedrich Merz und Söder sich hinstellen und Freie Wähler sowie FDP als Wunschpartner benennen.
Was denkt die CSU über die Ambitionen des bayerischen Koalitionspartners? Der kategorische Ausschluss von Schwarz-Grün, wie ihn Ministerpräsident Markus Söder ständig wiederholt, hat schon auch mit Aiwanger zu tun. Jedes Kuscheln mit den in weiten Teilen Bayerns übel beleumundeten Grünen würde die AfD und die FW stärken, so Söders Sorge. Würde die FW „gigantisch“ machen, hat er sogar mal öffentlich formuliert. Genüsslich registriert man in CSU-Kreisen jedoch, dass Aiwanger in Umfragen so gar nicht vom Fleck kommt. Auch die aufgebotenen FW-Kandidaten seien nur bedingt Zugpferde, wird kolportiert. Es werde höchstens in den Wahlkreisen von Aiwanger und Dreier zu „niederbayerischen Scharmützeln“ kommen, deren Ausgang aber längst nicht fix sei. Die Scharmützel haben, wenn man so will, nun in Abensberg begonnen.