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Airbus “A320” übernimmt die Spitze – Wirtschaft | ABC-Z

Als Airbus in den 1990er- und 2000er-Jahren noch der Herausforderer war auf dem Weltmarkt für große Zivilflugzeuge, sich aber schon große Aufträge sicherte, versuchten sich die Kollegen bei Boeing in argumentativen Rettungsaktionen. Was zähle, das seien nicht irgendwelche Aufträge, von denen man nicht so genau wisse, ob sie nicht doch irgendwann wieder storniert würden, sondern allein die Auslieferungen. Ein Spruch, den man damals oft hörte auf den großen Messen der Branche.

Man hätte sich zwar schon damals denken können, dass die meisten Aufträge sich doch irgendwann in ausgelieferte Flugzeuge verwandelten. Aber es schien noch lange hin, bis sich das ernsthaft in den Zahlen niederschlagen würde. Irgendwann in den kommenden Tagen wird allerdings Airbus Boeing überholen und mehr Maschinen der A320-Baureihe an Kunden übergeben haben als Boeing von der legendären 737. Ende Juli stand das Rennen noch bei 12 171 zu 12 151 zugunsten des amerikanischen Luftfahrtkonzerns. Aber da Airbus derzeit deutlich mehr Flugzeuge pro Monat produziert als Boeing – im Juli stand es 54 zu 37 – ist es nur noch eine Frage kurzer Zeit, bis die A320 in Sachen Auslieferungen auch offiziell das erfolgreichste zivile Flugzeugprogramm aller Zeiten sein wird.

Der Wechsel an der Spitze dürfte von Dauer sein, und Airbus wird sich aller Voraussicht nach in den kommenden Jahren einen großen Vorsprung gegenüber Boeing bei den beiden wichtigsten Modellen erarbeiten. Denn der europäische Flugzeugbauer ist gerade dabei, die Produktion seiner Kurz- und Mittelstreckenbaureihe deutlich zu erhöhen. Bis Juli lieferte das Unternehmen 2025 monatlich im Durchschnitt 41 Maschinen der A320-Serie aus, wegen der immer noch anhaltenden Probleme vor allem der Triebwerkslieferanten derzeit noch deutlich weniger als geplant. 2027 aber sollen es 75 pro Monat werden, eine Prognose, an der Airbus trotz aller Zweifel von Analysten bislang eisern festhält. Die aktuelle Nachfrage würde wahrscheinlich noch höhere Raten hergeben, nur könnte dann die Lieferkette erst recht nicht mithalten.

Die beiden Abstürze der „737 Max“ setzten Boeing schwer zu

Für Boeing wären selbst 41 pro Monat im Moment illusorisch – die 737 war zeitweise nach den beiden Abstürzen von 2018 und 2019 mit einem weltweiten Flugverbot versehen, der auch einen Produktionsstopp nach sich zog. Als dann Anfang 2024 ein Fertigungsfehler einen Beinahe-Unfall einer Alaska-Airlines-Maschine verursachte, griff die US-Aufsichtsbehörde Federal Aviation Administration (FAA) erneut ein und regulierte das Boeing-Werk in Renton im Bundesstaat Washington stark nach unten. Boeing darf derzeit nicht mehr als 38 Maschinen der Serie bauen, im Juli waren es 37. Zwischen 2019 und 2024 waren es monatlich im Durchschnitt nur etwa 20. Wenn die FAA mitspielt, will Boeing die Rate Ende des Jahres auf bis zu 43 erhöhen.

Der Airbus-Erfolg ist umso bemerkenswerter, als Boeing die erste 737 schon 1967 (an Lufthansa) ausgeliefert hat, Air France aber die erste A320 aber erst 1988 übernommen hat. In den 1970er- und 1980er-Jahren war die Luftfahrt allerdings im Vergleich zu heute eine kleine Branche, insofern war der Vorsprung angesichts des späteren starken Wachstums leichter aufholbar.

Dass Airbus dann aber so schnell aufholen konnte, hat das Unternehmen einem Dritten zu verdanken: Bombardier. Der kanadische Mischkonzern startete 2008 sein C-Series-Programm, ein Standardrumpf-Flugzeug, das sowohl Airbus als auch Boeing entgegen ihren öffentlichen Statements als neuen Konkurrenten sehr ernst nahmen. Airbus beschloss 2010, als Reaktion auf die C-Series die A320neo-Familie zu starten. Dabei handelt es sich im Wesentlichen um das gleiche Flugzeug wie in der ersten Generation, aber mit neuen, wesentlich sparsameren Triebwerken. Weil ein Jahr später American Airlines drohte, einen großen Auftrag über rund 300 Flugzeuge komplett an Airbus zu vergeben, wenn Boeing nicht auch aktiv werden würde, beschloss das Unternehmen, die 737-Max-Baureihe zu entwickeln.

Besonders die große Airbus-Variante „A321neo “ist ein Erfolg, weil sie auch längere Strecken bedienen kann

Weil die A320 im Vergleich zur 737 auf einem höheren Fahrwerk steht, konnte Airbus die viel größeren neuen Motoren von Pratt & Whitney und CFM International ohne große Schwierigkeiten unter den Tragflächen unterbringen. Bei der 737 war dies weit komplizierter. Auch das berüchtigte Maneuvering Characteristics Augmentation System (MCAS), das bei den Max-Abstürzen der Lion Air und Ethiopian Airlines eine entscheidende Rolle gespielt hat, ist deswegen entwickelt worden. Es sollte trotz eigenwilliger Triebwerksaufhängung gute Flugeigenschaften sicherstellen.

Airbus hat mittlerweile 11 179 Flugzeuge der A320neo-Reihe verkauft, Boeing kommt auf 8591 Max. Während Boeing vom Basismodell 737-8 sogar mehr Jets abgesetzt hat als Airbus von der A320neo, hat sich Airbus bei der großen Variante einen praktisch nicht mehr einholbaren Vorsprung erarbeitet: 7067 Stück der A321neo (mit bis zu 244 Sitzen) haben die Airlines bestellt, weil die Stückkosten kaum zu schlagen sind und das Flugzeug mit einer Reichweite von rund 4000 nautischen Meilen, umgerechnet etwa 7400 Kilometer, auch lange Mittelstrecken erschließt. Die Langstreckenversion A321XLR kommt sogar auf 4700 nautische Meilen und kann gut Strecken zwischen Europa und der amerikansichen Ostküste bedienen. Der Trend zu größeren Flugzeugen wird sich fortsetzen, denn die Airlines versuchen, gestiegene Kosten auf immer mehr Sitze umzulegen. Die Nachfrage nach der A321neo wird dies nur noch weiter anfachen. Die konkurrierende 737-10 kommt nur auf 1400 Aufträge und ist noch nicht einmal zugelassen. Ende des Jahres soll es laut Boeing nun so weit sein.

Können die Kräfteverhältnisse auch wieder kippen? Auf Basis der aktuellen Modellreihen gilt dies als ausgeschlossen, zu gut ist die A321neo. Boeing wird den nächsten Anlauf erst mit dem Nachfolgemodell nehmen können. Doch das wird frühestens in der zweiten Hälfte der 2030er-Jahre bereit sein. Konzernchef Kelly Ortberg hat klare Prioritäten gesetzt: Produktion, Finanzen und Unternehmenskultur in den Griff bekommen. Erst dann soll der nächste Schritt folgen. Und Airbus wird nicht untätig zuschauen.

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