Aids-Krise: US-Kürzungen gefährden Millionen Leben weltweit – Gesundheit |ABC-Z

So viel Krise war lange nicht. Anfang 2025 entzog die US-Regierung dem weltweiten Kampf gegen Aids schlagartig 4,3 Milliarden bereits zugesagte Dollar für das laufende Jahr. „Das ist nicht einfach eine Finanzierungslücke, sondern eine tickende Zeitbombe“, sagte die Direktorin der UN-Behörde Unaids, als sie am Donnerstag den neuen Jahresbericht ihrer Organisation vorstellte.
Entsprechend düster klingt es auch in weiten Teilen des Reports, der bereits im Titel das Wort „Krise“ trägt. Die Versorgung mit Medikamenten, Tests, Kondomen und Informationen stocke, Labore schwächelten, Gesundheitseinrichtungen müssten schließen, Tausende Kliniken stünden ohne Personal da, etliche Organisationen sähen sich gezwungen, ihr Engagement zu drosseln, wenn nicht ganz aufzugeben.
„Die Mittelkürzungen könnten uns auf einen Stand zurückwerfen, den wir seit den frühen 2000er-Jahren nicht mehr gesehen haben“, mahnt die Behörde. Jene Jahre bildeten den traurigen Höhepunkt der weltweiten Aids-Krise. Eine HIV-Infektion kam für viele Menschen einem Todesurteil gleich, die Angst war immens.
Konkret schätzt Unaids: Wenn die USA ihr Hilfsprogramm Pepfar (President’s Emergency Plan for Aids Relief) komplett einstellen, seien allein bis 2030 mehr als vier Millionen zusätzliche Aids-Todesfälle und mehr als sechs Millionen zusätzliche HIV-Infektionen zu erwarten. Selbst wenn die Trump-Regierung weiter für lebensrettende Medikamente zahle, würde der Geldmangel im Bereich der Vorsorge und der weitergehenden Unterstützung von Erkrankten noch immer eine Million zusätzliche Todesfälle zur Folge haben. „Wir wissen auch, dass bei einigen der Menschen, die nicht mehr behandelt werden, wahrscheinlich eine Arzneimittelresistenz auftreten würde“, warnte Mary Mahy, bei Unaids für die Datenanalyse zuständig, auf einer Pressekonferenz.
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In den USA zerlegt die Regierung die Wissenschaft. Forscher dürfen nicht mehr miteinander reden, Gelder werden gekürzt. Das trifft auch deutsche Institute und Kliniken. An der Charité fragen sie sich, wie sie den Fortschritt ihrer Arbeit retten können.
„Nun kommt auf Deutschland eine besondere Verantwortung zu.“
Die trübe Stimmung kommt ausgerechnet zu einem Zeitpunkt, der eigentlich einer der hoffnungsvollsten seit Langem hätte sein können. Vor einem Jahr wurde auf der Welt-Aids-Konferenz in München unter großem Jubel verkündet, dass eine neue Depotspritze fast vollständig vor einer HIV-Infektion schützen kann. Der Wirkstoff namens Lenacapavir muss nur zweimal jährlich gespritzt werden. Diese Darreichungsform ist nicht mehr weit entfernt von einer Impfung, die Fachleute und Gefährdete seit Jahrzehnten vergeblich herbeisehnen.
Lenacapavir sei „nicht nur ein wissenschaftlicher Durchbruch, sondern ein Wendepunkt für HIV und Aids“, sagte Peter Sands, Direktor des Globalen Fonds zur Bekämpfung von Aids, Malaria und Tuberkulose. Der Fonds hat eine Übereinkunft mit dem Hersteller Gilead getroffen, wonach das neue Mittel Ländern mit geringeren Einkommen schnell und ohne Gewinnabsichten zur Verfügung gestellt werden soll. Erste Lieferungen sollen noch in diesem Jahr erfolgen; verschiedene Organisationen haben Geld dafür gespendet. Ziel ist, die Prophylaxe längerfristig zwei Millionen Menschen mit einem besonderen Risiko für eine HIV-Infektion zugänglich zu machen. Doch gelingen könnte dies nur, mahnt der Fonds, mit einer nachhaltigen Finanzierung.

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Standing Ovations auf der Münchner Welt-Aids-Konferenz: Eine Spritze kann Frauen ein halbes Jahr lang sehr wirksam vor dem Erreger schützen. Doch die Frage nach der Finanzierbarkeit bringt den Hersteller in Erklärungsnöte.
Auch Unaids fordert weiter eine „Geber-Solidarität“ ein. Zwar hätten 24 besonders betroffene Länder bereits in Aussicht gestellt, dass sie ihre nationalen HIV-Budgets aufstocken wollen. Doch das Plus beträgt zusammengenommen nur acht Prozent. Aus den Pepfar-Mitteln waren 50 Länder unterstützt worden. Neun von ihnen, darunter Äthiopien, Mosambik, Nigeria und Tansania, seien bisher zu 90 Prozent von externen Geldgebern abhängig, sagte Mary Mahy. Sie könnten die Finanzierungslücken nicht schlagartig allein schließen.
Damit richten sich die Blicke einmal mehr auf andere Länder – darunter auch Deutschland. „Aids kann in jedem Land erneut ausbrechen, wenn wir es nicht global zurückdrängen. Unaids zählt auf Deutschland und alle europäischen Partner, dass sie konsequent am Kurs festhalten“, sagt Christine Stegling, bei der UN-Organisation für den Politikbereich zuständig. Auch Christoph Benn, Direktor des Genfer Thinktanks JLI Center of Global Health Diplomacy und Vorstandsmitglied im Globalen Fonds mahnt: „Mit dem Rückzug der USA aus der globalen HIV-Finanzierung kommt auf Deutschland eine besondere Verantwortung zu.“ Als viertgrößter Geldgeber des Fonds müsse Deutschland „seinen Beitrag mindestens auf dem bisherigen Niveau halten, um Millionen Menschen vor neuen HIV-Infektionen zu schützen und die bestehende medikamentöse Versorgung weiterzuführen“.
Danach sieht es allerdings nicht aus. Im Haushaltsentwurf der neuen Bundesregierung heißt es, dass dem Fonds in den kommenden drei Jahren „bis zu einer Milliarde Euro zugesagt werden sollen“. Für die vorangegangene Förderperiode waren noch 1,3 Milliarden bereitgestellt worden.
Auch sonst deutet wenig darauf hin, dass die Bundesregierung im großen Stil einspringen werde. Als Antwort auf eine aktuelle Kleine Anfrage der Linken-Fraktion äußerte sie zwar ihre Kenntnis über die Lage, stellte aber keine konkreten Unterstützungsleistungen in Aussicht. Man stehe „im engen Austausch mit anderen Mitgliedstaaten und Gebern, um diese zu ermutigen, ihre eigenen Beiträge zu erhöhen“, heißt es in der Antwort.
Auch der Bericht von Unaids zeigt sich nicht allzu optimistisch: „Es besteht die Befürchtung, dass auch andere große Geberländer die Solidarität mit den ärmeren Staaten aufgeben.“ Damit würde das Ziel, Aids als Bedrohung der öffentlichen Gesundheit zu beenden, in Gefahr geraten. Zum Gesamtbild gehört allerdings auch, dass dieses Ziel schon vor den Mittelkürzungen in ziemlich weiter Ferne schien. Angestrebt wird, dass sich bis 2030 weltweit 90 Prozent weniger Menschen infizieren und 90 Prozent weniger sterben als 2010. Tatsächlich lag der Rückgang an Neuansteckungen im vergangenen Jahr bei nur 40 Prozent, das Minus der Todesfälle bei lediglich 54 Prozent.
Verfehlt wurde bereits das als „95-95-95“ benannte Zwischenziel, das ursprünglich bis 2025 erreicht werden sollte. Demnach sollten 95 Prozent aller Infizierten diagnostiziert sein, 95 Prozent von ihnen eine Behandlung erhalten, die wiederum in 95 Prozent der Fälle so gut wirken soll, dass das Virus nicht mehr nachweisbar ist. Die Zahlen für das vergangene Jahr lauteten dagegen 87-89-94.
Insgesamt lebten 2024 knapp 41 Millionen Menschen mit dem Virus, 1,3 Millionen infizierten sich neu und 630 000 starben an den Folgen der Ansteckung.
Am Ende versuchte es Winnie Byanyima mit etwas Optimismus: „Es ist noch Zeit, diese Krise in eine Chance zu verwandeln“, sagte sie. „Die Länder verstärken ihre Finanzierung im Inland. Die lokalen Gemeinschaften zeigen, was funktioniert.“ Das heiße aber auch: „Wir brauchen jetzt globale Solidarität, um ihrem Mut und ihrer Widerstandsfähigkeit gerecht zu werden.“