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Afrika: Warum Tansania nach der Wahl unter Schock steht – Politik | ABC-Z

Es ist gerade nicht leicht, in Tansania jemanden ans Telefon zu kriegen. Die Bewohner des ostafrikanischen Landes sind eigentlich für ihre Unbekümmertheit bekannt, doch einen Monat nach den von beispielloser Gewalt überschatteten Wahlen befindet sich Tansania noch immer im Zustand großer Anspannung. Über die Ereignisse der vergangenen Wochen wollen viele potenzielle Gesprächspartner nichts sagen, aus Angst. Und schon gar nicht übers Handy, wer weiß, ob die Regierung da nicht mithört.

Manche reden, wenn man verspricht, ihre Namen nicht zu nennen. Und berichten von erschütternden Szenen. Von bewaffneten Meuten, die Wahllokale verwüsten und Autos anzünden. Von Polizisten, die Tränengas und Kugeln in Menschenmengen feuern, die Leichen auf Lastern stapeln. Von einem Land, das bis heute unter Schock steht. Und von Menschen, die sich fragen: „Was ist mit unserem Tansania los?“

Einer redet dann doch, auch mit Klarnamen: Boniface Mwabukusi, 49, Rechtsanwalt und Präsident der Tanganyika Law Society. Man erreicht ihn in der Stadt Mbeya, wo seine Kanzlei sitzt. „Ich lasse mich nicht davon abbringen, die Wahrheit zu sagen“, sagt Mwabukusi. „Wenn ich damit mein Todesurteil unterschreibe, dann soll es so sein.“

Schon vor der Wahl gab es Gewalt und Repressionen

Gewonnen hat die Präsidentschaftswahl am 29. Oktober laut offiziellen Zahlen Präsidentin Samia Suluhu Hassan – mit 98 Prozent der Stimmen. Die Wahlen seien „frei und demokratisch“ gewesen, behauptete sie nach Verkündung des Ergebnisses. Die Afrikanische Union (AU), die eine Beobachtermission nach Tansania entsandt hatte, kam dagegen zu dem Schluss, dass die Wahlen „den Prinzipien der AU nicht entsprochen“ hätten. Die Opposition sprach von einer „Verhöhnung der Demokratie“. Boniface Mwabukusi sagt: „Überhaupt von einer Wahl zu sprechen, wird den Tatsachen nicht gerecht.“

Schon vor den Wahlen war Tansania von Gewalt und Repression erschüttert worden. Es gab Mordanschläge auf Regierungskritiker sowie Dutzende Entführungen politischer Gegner. Der Vorsitzende der größten Oppositionspartei wurde verhaftet und wegen Hochverrats angeklagt, seine Partei von der Wahl ausgeschlossen.  Doch selbst diese „Terrorwelle“ – so die Menschenrechtsorganisation Amnesty International – war nur ein Vorgeschmack auf das, was am Wahltag und den Tagen danach geschah.

In der Küstenmetropole Daressalam und mehreren anderen Städten kam es zu Protesten vor allem junger Leute gegen die Regierung und den Ausschluss der Opposition, meist friedlich, aber immer wieder begleitet von Plünderungen und Zerstörungen. Die Polizei reagierte mit maximaler Härte, wie Augenzeugenberichte und Handyvideos belegen. Von Hunderten Toten sprach die UN hinterher, von mindestens 500 die BBC, von bis zu 800 die Opposition.

Am Wahltag wurde das Internet abgeschaltet

Boniface Mwabukusi sagt, er habe selbst gesehen, wie Polizisten einen friedlichen Demonstranten in Mbeya erschossen, aus 50 Meter Entfernung. Und Tote habe es nicht nur auf der Straße gegeben. Am Wahlabend verhängte die Regierung eine Ausgangssperre. Während dieser Zeit, sagt Mwabukusi, sei die Polizei „von Haus zu Haus gegangen“ und habe Menschen erschossen. Ein von außen nicht überprüfbarer Vorwurf, den aber auch andere erheben. Eine Sportagentur etwa, die Nachwuchsfußballer vertritt, berichtete auf der Plattform X, dass sieben ihrer Klienten zwischen 15 und 22 Jahren getötet worden seien – zu Hause.

Zum Vorwurf der entfesselten staatlichen Gewalt kommt der Vorwurf der Vertuschung. Um zwölf Uhr mittags ging am Wahltag das Internet aus, für sechs Tage blieb es abgeschaltet. Die Regierung sagt: um Absprachen der „Randalierer“ zu erschweren. Die Demonstranten sagen: um zu verhindern, dass die Welt erfährt, was in Tansania geschieht. Handybesitzer erhielten noch Wochen nach der Wahl SMS-Nachrichten der Polizei, in denen sie unter Androhung von Gefängnisstrafen gewarnt wurden, Bilder und Videos von den Protesten in sozialen Medien zu teilen oder sich Chatgruppen anzuschließen, in denen „zu Gewalt aufgerufen wird“.

Der US-Fernsehsender CNN entdeckte bei der Auswertung von Satellitenbildern frische Massengräber in Tansania, wo getötete Demonstranten heimlich beigesetzt worden seien. Auch die Vereinten Nationen zitierten „verstörende Berichte“, wonach die Sicherheitsbehörden so versucht hätten, Beweise zu vertuschen. Boniface Mwabukusi sagt, der CNN-Bericht berühre „nur die Spitze des Eisbergs“. Laut Informationen der Tanganyika Law Society gebe es allein in Mbeya knapp 300 Tote. In ganz Tansania seien es mehr als 1000. Wo die Leichen sind, wüssten die Familien in der Mehrheit der Fälle nicht.

Das Land ist auf Kredite aus dem Ausland angewiesen

Tansanias Regierung lobte die Sicherheitsbehörden in ersten Stellungnahmen nach der Wahl für ihre „schnelle und entschiedene“ Reaktion auf die Proteste; die kursierenden Opferzahlen kommentierte sie nicht. Mindestens 240 Demonstranten wurden wegen Hochverrats angeklagt. Inzwischen sind die Töne versöhnlicher. Präsidentin Suluhu kündigte eine Untersuchung der Vorfälle an und bat mit einem Bibelzitat um „Milde“ gegenüber den Angeklagten: „Denn sie wissen nicht, was sie tun.“ Eine SZ-Anfrage ließ die Regierung unbeantwortet.

Einen möglichen Grund für die entschärfte Rhetorik lieferte Suluhu selbst. Als Mitte November ihr neues Kabinett vereidigt wurde (zu dem Suluhus Tochter und deren Ehemann gehören), sagte sie, die Unruhen rund um die Wahl hätten das Bild Tansanias in der Welt beschädigt. „Wir sind größtenteils auf Kredite internationaler Gläubiger angewiesen, aber das Geschehene hat unsere globale Glaubwürdigkeit untergraben“, so die Präsidentin. Die Feierlichkeiten zum Unabhängigkeitstag am 9. Dezember wurden abgesagt. Die Opposition hatte für diesen Tag zu neuen Protesten aufgerufen.

Für die Regierung könnte es auch noch ein juristisches Nachspiel geben – in Den Haag. Ein internationaler Zusammenschluss von Juristen und Menschenrechtsgruppen hat beim Internationalen Strafgerichtshof die Aufnahme von Ermittlungen gegen Tansanias Regierung beantragt. Der Vorwurf, dargelegt in einer 82-seitigen Petition: Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Das Gericht bestätigte auf Anfrage den Eingang dieser sowie „zahlreicher“ weiterer Petitionen in Bezug auf Tansania.

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