AfD-Verbotsverfahren: Harmonie ist jetzt wichtiger | ABC-Z

Was passiert, wenn man zur Rettung der Demokratie einlädt, aber keiner kommt? Gut, die Fraktionen von SPD und Linken wären schon der Einladung der Grünen gefolgt, über ein Parteiverbot der AfD zu beraten. Aber die entscheidende, die Unionsfraktion, verweigert bislang ihre Zusage. Dabei hatten die Grünen noch geschrieben: “Dringlichkeit besteht offenkundig”, es gehe um die “Verteidigung unserer Demokratie”. Doch dieser Kampf ist jetzt erst einmal vertagt.
Dringlichkeit besteht natürlich: Vier Monate ist es bereits her, seit das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als “gesichert rechtsextremistisch” eingestuft hat. Dennoch erzielt die Partei weiterhin einen Umfrageerfolg nach dem anderen. 25 Prozent Zustimmung sind es bundesweit, ein neuer Rekord. 39 Prozent in Sachsen-Anhalt. Bei einem solchen Wert ist die Partei aus einer Regierung kaum noch rauszuhalten. Und vermutlich wird sie auch neue Höchstmarken bei der Kommunalwahl in NRW an diesem Wochenende erzielen. Das jedenfalls befürchten Politiker über Lagergrenzen hinweg. Solange derweil gleichzeitig nicht einmal die Prüfung eingeleitet wird, ob die Voraussetzungen für ein Parteiverbot vorliegen, könnte die AfD auch auf Bundesebene irgendwann zu mächtig geworden sein, um ein Verbotsverfahren noch anzugehen. Selbst wenn sie – wie es ihr viele Beobachter schon heute bescheinigen – die jetzige demokratische Ordnung beseitigen will.
Die Absage der Union kam nicht überraschend
Andererseits kann man berechtigterweise fragen: Warum dieser Weg? Schließlich dürften die Grünen nicht ernsthaft überrascht gewesen sein, wie die anderen Fraktionen auf ihre Einladung reagieren würden. Sie müssten geahnt haben, dass es zu einem “gemeinsamen Vorgehen”, wie es in dem Schreiben heißt, erst mal nicht kommen würde. Nun gehört es zur Arbeit in der Opposition, auf sich aufmerksam zu machen, eigene Schwerpunkte zu setzen und die Regierungsparteien damit unter Druck zu setzen. Auch und gerade an möglichen Bruchlinien in der Koalition. Doch weil es laut der Einladung um nicht weniger als die “Verteidigung der Demokratie” gehen soll, sind die Grünen mit diesem Manöver ein hohes Risiko eingegangen.
In der SPD ist man deshalb sauer auf die Grünen. Das Thema sei für durchsichtige Oppositionstaktik zu wichtig, heißt es aus der Fraktion. Man würde sich Gesprächen nie verschließen, doch müsse den Grünen klar sein, dass sie so in der Sache nichts erreichten. Vielleicht schwächte auch deshalb Fraktionschef Miersch die von seiner Parteichefin Bärbel Bas gemachte Zusage an die Grünen am Dienstagabend etwas ab. “Wir werden den Dialog führen und wir sind in Kontakt, aber wir werden auch in der Koalition das ein oder andere vorbesprechen müssen”, sagte er und schob nach, dass das Vorgehen der Grünen auf ihn “ein bisschen wie Inszenierung” wirke.
Sogar CDU und CSU signalisieren auf einmal, dass sie sich einem Treffen mit den Grünen nicht grundsätzlich verweigern wollen. Die Unionsfraktion sei “immer gesprächsbereit”, aber auf die Reihenfolge komme es an. “Wir sprechen zuerst mit dem Koalitionspartner, um eine abgestimmte Position zu haben. Und dann gerne auch mit anderen Fraktionen”, sagte ein Fraktionssprecher der Union auf Anfrage der ZEIT – und sendet eine Spitze in Richtung der Grünen, die der von Miersch überraschend ähnlich ist. “Es ist schon bemerkenswert, wenn man eine Einladung bekommt, die unmittelbar danach über den Ticker läuft. Der Eindruck einer Inszenierung liegt da schon nahe.” Union und SPD demonstrieren also Einigkeit. Sie wollen zeigen, dass sie sich gerade bei diesem gesellschaftlich aufgeladenen Thema nicht spalten lassen wollen.
Gerade die Sozialdemokraten wünschen sich von den Grünen etwas mehr Rücksicht auf die unangenehme Lage, in der die SPD in dieser Frage steckt. Noch im Juni hatte sie auf ihrem Parteitag in großer Einigkeit und ohne Gegenstimmen beschlossen, ein AfD-Verbotsverfahren “prüfen” zu wollen – ein “ermutigendes Signal”, wie die Grünen nun in ihrer Einladung schreiben. Nur war die SPD eben damals schon in einer Regierung mit der Union, die mehrheitlich gegen ein Verbot ist. Der zuständige Innenminister Alexander Dobrindt (CSU), zugleich Dienstherr des Verfassungsschutzes, will die AfD trotz steigender Umfragewerte lieber “wegregieren”, als sie zu verbieten. Auch sonst kommt aus der Union bisher Ablehnung: Kanzleramtsminister Thorsten Frei (CDU) etwa warnte immer wieder, die juristischen Voraussetzungen eines Verbots lägen nach seiner Kenntnis bisher nicht vor.
Steht wirklich allein die Union einem Verbot im Weg?
Zwischenzeitlich hat sich die Situation aus Sicht der SPD noch einmal zugespitzt. Seit der gescheiterten Richterwahl vor der Sommerpause fürchten einige in der SPD, die Union sei womöglich nicht nur gegen ein AfD-Verbot. Eine kritische Minderheit in der Union kooperiere vielleicht schon jetzt lieber mit der AfD, als mit der SPD zu regieren: Er wisse nicht, “wie groß diese Gruppe in der Union ist, die offen mit der AfD sympathisiert”, sagte zuletzt SPD-Fraktionschef Matthias Miersch.
Nach dem Richterwahldesaster ist es nun – trotz allem – der “Geist von Würzburg”, der Klausur der Fraktionsvorstände von Union und SPD, der die Koalition auch aus Sicht der SPD wieder näher zusammenbringen soll. Und den will man so kurze Zeit später nicht ohne Weiteres riskieren, auch nicht beim Thema AfD-Verbot.
Aber steht wirklich allein die Union einem Verbot im Weg? Ganz so einfach ist es nicht. Denn zumindest in der Bewertung der Beweislage gibt es auch innerhalb der SPD unterschiedliche Meinungen. Das begann schon auf dem Parteitag im Juni, wo der rheinland-pfälzische Ministerpräsident Alexander Schweitzer (SPD) nur kurz nach dem einhelligen Parteitagsbeschluss, ein Verbotsverfahren auf den Weg bringen zu wollen, live bei Phoenix Zweifel äußerte, ob das belastende Material gegen die AfD schon für ein Verbot ausreiche: “Ich fürchte, da sind wir noch nicht.” Und es endete vorerst vergangene Woche bei SPD-Justizministerin Stefanie Hubig, die das Material des letzten Verfassungsschutzberichts für noch nicht ausreichend für ein Verbot erklärte. Dennoch spricht sich Hubig weiterhin dafür aus, ein Verbotsverfahren zu prüfen. Nur könne ein Ergebnis dieser Prüfung eben auch sein, dass ein Verbot sich “noch nicht ausreichend” begründen lasse.
Es sind diese Zweifel, die in konservativen SPD-Kreisen noch immer viele teilen. Der Parteitagsbeschluss aus dem Juni sieht aus dieser Perspektive etwas weniger groß, etwas weniger einhellig aus – und mehr wie das Signal einer Partei, die sich nach der Niederlage inhaltlich auf immerhin eines, aber eben auch nicht viel mehr verständigen konnte als das: ihre antifaschistische Identität.
Der grüne Rechtspolitiker Till Steffen hat für diese Zurückhaltung der SPD wenig Verständnis. Er gehört zu den Initiatoren eines Antrags, mit dem eine Gruppe von über einhundert Abgeordneten schon in der vergangenen Legislaturperiode ein Parteiverbot auf den Weg bringen wollte. Was die Zweifel an der Beweislage angeht, sagt er der ZEIT: “Alle sind sich im Grunde einig, dass das Gutachten des Verfassungsschutzes nicht reicht.” Nur müsse es eben deutlich mehr Beweise geben, die hier noch nicht enthalten seien. “Beim Thema Auslandskontakte der AfD oder bei konkreten Finanzströmen merkt man dem Bericht an, dass er keine geheimen Quellen offenlegen wollte.” An diese Beweise müsste man jetzt herankommen – zum Beispiel, indem der Bundestag beschließt, ein Verbotsverfahren anzustrengen.
Steffen sagt, er habe sich dafür eingesetzt, dass die Rückmeldungen auf die Einladung seiner Fraktionschefinnen Britta Haßelmann und Katharina Dröge “möglichst konstruktiv ausfallen”. Doch nach der Ablehnung der Union ist von der SPD auch nicht mehr als Gesprächsbereitschaft zu erwarten. Dabei geht es aus Sicht der SPD um nicht weniger als den Bestand der Regierung: Der SPD-Innenpolitiker Helge Lindh sagte Table.Media, er halte es für “toxisch für das Verfahren wie für die Regierung, wenn die Koalition platzt, weil man sich nicht über das Verbotsverfahren einigen kann”. Was daher bleibt, ist ein Signal der Grünenfraktion zur Verteidigung der Demokratie, das so schnell, wie es gesendet wurde, auch wieder verblassen könnte – folgenlos.
Mitarbeit: Christian Parth