AfD-Parteitag in Riesa: Warum Höcke die Krönung von Weidel zur Kanzlerkandidatin versauen könnte | ABC-Z
AfD-Parteitag in Riesa
Warum Höcke die Krönung von Weidel zur Kanzlerkandidatin versauen könnte
11.01.2025, 01:38 Uhr
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Alice Weidel wird die erste Kanzlerkandidatin der AfD. Doch neben ihrer Wahl und dem Beschluss des Parteiprogramms will die Partei auch eine Reform ihres Nachwuchses auf den Weg bringen. Wird Rechtsextremist Björn Höcke zum Spielverderber?
Der Gang zum Buffet ist für Alice Weidel offenbar hochbrisant. Abgeschirmt von vier Bodyguards sichert sich die Co-Vorsitzende der Alternative für Deutschland ihr Fingerfood-Abendessen beim Presseempfang vor dem Parteitag im sächsischen Riesa. Um sie herum ausschließlich Parteifreunde und geladene Journalisten, die bei der Sicherheitskontrolle am Eingang sogar ihre Handys zum Test einmal aktivieren mussten. Doch sicher ist sicher. Alle Augen sind auf sie gerichtet, genau wie vor 24 Stunden, als sie den Tech-Milliardär und Trump-Berater Elon Musk zum Gespräch auf dessen Onlineplattform X getroffen hat.
Seit Tagen hörte man aus der AfD vor allem Worte des Lobes und der Begeisterung für das geplante Gespräch mit Musk. Doch die ist mittlerweile gewichen. Klar, die Aufmerksamkeit war groß, die Parteichefin in allen Medien. Doch wer den Stunden-Talk auch mehr als eine Stunde angehört hat, wundert sich, wie schlecht vorbereitet Weidel wirkte. Und nahezu jeder führende AfD-Politiker kann sich seither das Augenrollen nicht verkneifen, angesprochen auf die geschichtsvergessenen Äußerungen Weidels über Adolf Hitler. Ohne Not kam sie selbst gegenüber Musk darauf zu sprechen. Hitler sei, so Weidel, ja ein Linker gewesen und sogar Kommunist.
Bisher war es gerade die AfD-Chefin selbst, die wütend reagiert hat, wenn aus ihrer Partei verharmlosende Worte über die Nationalsozialisten geäußert wurden. Der Spitzenkandidat für die Europawahl Maximilian Krah flog unter anderem für seine SS-Relativierung aus der Fraktion der AfD im Europaparlament. Große Lust, ihre Ausführungen noch einmal genauer zu erklären, scheint Weidel am Abend gegenüber den Medienvertretern nicht zu haben. Eigentlich sollte der Presseempfang die Möglichkeit bieten, auch mit der designierten Kanzlerkandidatin ins Gespräch zu kommen. Doch die verschwindet schon wenige Minuten nach der Begrüßung, abgeschirmt durch ihre Sicherheitsleute, aus dem Nebenausgang. So bleiben ihre kopfschüttelnden Parteifreunde zurück. Doch all das wird keinen Einfluss auf ihre Wahl zur ersten Kanzlerkandidatin in der Geschichte der AfD haben. Die wird schon Samstagmittag mit sozialistisch-anmutender Größenordnung erwartet.
Anschließend müssen die Delegierten auch das Wahlprogramm der Partei noch absegnen. In zahlreichen Arbeitsgruppen ist es über Monate erarbeitet worden – die Bundesprogrammkommission hat die einzelnen Themenblöcke im Vorfeld zusammengefügt. Darunter sind viele Forderungen, die die Partei schon in den vergangenen Jahren stetig nach vorne gestellt hat. Allen voran die Migration: Flüchtlinge sollen an der Grenze in so genannten “Gewahrsamszentren” untergebracht werden, Asylverfahren schon außerhalb Deutschlands stattfinden. Dass der Klimawandel erwiesenermaßen menschengemacht ist, will die AfD nach wie vor nicht wahrhaben und daher auch viele Klimaschutzmaßnahmen zurückschrauben. Das klingt dann im Programmentwurf unter anderem so: “Wir fordern eine ersatzlose Abschaffung der CO2-Abgaben.” Die Rückkehr zur Kernkraft fordert die Partei ebenso wie die Absenkung der Unternehmenssteuer oder einen kürzeren Anspruch auf Arbeitslosengeld.
Auch die EU ist der AfD nach wie vor ein Dorn im Auge. Sie hält im Text einen Austritt Deutschlands für notwendig. Danach, so die Idee, solle eine neue Europäische Gemeinschaft gegründet werden. Doch an dieser Stelle gibt es durchaus Diskussionen und Änderungswünsche. Viele Parteimitglieder – vor allem aus den Westverbänden – wollen den Part lieber etwas gemäßigter formulieren. Ihr Credo: Die EU müsse von innen heraus verändert werden. Bloß keine konkreten, radikalen Dexit-Wünsche, die potenzielle Erst-AfD-Wähler verschrecken könnten. Es ist nicht das einzige Thema, bei dem es noch Gesprächsbedarf gibt.
Haltung zur Wehrpflicht wird lieber versteckt
Schon seit Wochen herrscht große Unzufriedenheit darüber, dass es die Wiedereinführung der Wehrpflicht nicht ins vorläufige Wahlprogramm geschafft hat, obwohl das im Grundsatzprogramm steht. Viele sprechen in der Partei gar davon, dass die Wehrpflicht zur DNA der AfD-Forderungen zählt. Doch damit möchten Teile der Partei – hierbei vor allem im Osten – im Wahlkampf lieber nicht werben. Prominenter Gegner der Wehrpflicht: Tino Chrupalla. Er zählt auch zu den 15 Personen, die bei der Bundesprogrammkommission für das Streichen der Wehrpflicht gestimmt haben.
Die Befürchtung: Gerade in Ostdeutschland würde die Wiedereinführung der Wehrpflicht aktuell wie eine Mobilmachung gegen Russland empfunden. Das sehen in der AfD vor allem die völlig anders, die lange Jahre selbst in den Reihen der Bundeswehr gedient haben. Eine Mitgliederbefragung vor Weihnachten gab ihnen recht. Und auch im Umfeld von Alice Weidel war man nicht glücklich, heißt es. Nun will die Bundesprogrammkommission diesen “Fehler” selbst korrigieren und nun doch einen Halbsatz einfügen: “[…], daher wollen wir die Wehrpflicht wieder einsetzen.”
Zukunft der “Jungen Alternative” ist noch offen
Dennoch will die Partei eigentlich mit ihrem Treffen Einigkeit ausstrahlen, um geschlossen in den Wahlkampf zu starten. Die ganz großen Auseinandersetzungen soll es daher ums Programm nicht mehr geben. Den einzig echten Sprengstoff könnte ein anderes Thema bieten, das am Ende des Parteitags auch noch beschlossen werden soll: Der Umbau der Parteijugend “Junge Alternative”, an dem auch der Bundesvorstand schon lange arbeitet. Noch ist die JA ein von der AfD unabhängiger Verein, die Mitglieder sind nicht automatisch auch in der Partei. Dadurch erscheint der Nachwuchs bisweilen eher wie ein lautes Sprachorgan des Vorfelds und der Straße. Die Parteispitze kann nicht disziplinarisch auf radikale und umstrittene Köpfe einwirken. Zuletzt verstörte die JA-Brandenburg um ihre Vorsitzende Anna Leisten auf der Wahlparty ihres Landesverbands im September viele, als sie über eine Box laut einen “Abschiebesong” spielte.
Unmittelbar nach Bekanntwerden der Pläne des Bundesvorstands war der Protest öffentlich noch verhalten. Doch anscheinend haben sich die Gegner vernetzt und planen, den Antrag zu verhindern. Gerade in der Parteijugend selbst haben einige Tonangeber Angst, von der Mutterpartei bei der Neugründung nicht aufgenommen zu werden. Hinter vorgehaltener Hand lästern führende AfD-Funktionäre schon einmal davon, für solche Fälle eine “Bad Bank” zu gründen.
Um die JA als Jugendorganisation auf dem Parteitag offiziell abzuspalten und eine neue auf den Weg zu bringen, ist eine Zweidrittelmehrheit nötig. Doch möglicherweise kommt es doch nicht so weit – denn da kommt einer ins Spiel, um den es sonst in den vergangenen Wochen auffällig ruhig gewesen ist: Der rechtsextreme thüringische Landesvorsitzende Björn Höcke hat angekündigt, einen Antrag auf Nichtbefassung zu stellen. Er selbst hatte stets den Rückhalt der radikalen Jugend. Er behauptet, der Zeitpunkt sei kurz vor der Bundestagswahl falsch für so einen großen Schritt. Und er könnte seinen treuen jungen Anhängern viel Zeit kaufen. Zwar scheint er die Mehrheit der Delegierten nicht hinter sich zu haben, dennoch herrscht leichte Nervosität im Bundesvorstand. Wenn man sich dieses Wochenende nicht einig werde, gehe die Diskussion über die Zukunft der JA noch mindestens eineinhalb Jahre weiter. Denn erst dann soll der nächste Parteitag stattfinden.