Adrenalin und Akrobatik – München | ABC-Z

Grelles Licht, gespannte Stille, dann brandet Applaus auf: Mit seiner neuen Winterspielzeit meldet sich der Circus Krone im Münchner Bau zurück – traditionsbewusst und zugleich weltgewandt. „Ich. Du. Wir. Krone“ lautet das Motto, und schon in den ersten Minuten wird klar, dass es mehr sein will als ein Slogan.
Der Abend ruht auf drei tragenden Säulen, die den Zirkus seit jeher definieren: Tiere, Artisten, Clowns. Keine trägt allein, keine wird bloßes Beiwerk. Stattdessen entfaltet sich eine fast zweieinhalbstündige Dramaturgie zwischen Staunen, Nervenkitzel und Lachen – lebendig, manchmal auch spürbar fragil.
Zu Beginn setzt das Haus auf Ruhe statt Überwältigung. Das Orchester ist präsent, Alexis Lacey-Krone, ältestes Kind des Direktorenpaars, führt prachtvolle, auffallend wollige Kamele in die Manege, die gemächlich durch die Sägespäne schreiten. Diese Gelassenheit erweist sich als klug, denn sie schärft den Blick für das, was den Zirkus im Kern ausmacht: das Risiko.
Besonders deutlich wird das bei den artistischen Höhepunkten. Die Ultra Jumpers aus der Mongolei treiben ihre Sprungstafetten auf dem doppelten Schleuderbrett in schwindelerregende Höhen. Die Energie ist enorm, die Präzision beeindruckend – und doch gelingen nicht alle Landungen perfekt. Ein Straucheln hier, ein Moment des Suchens dort. Das Publikum reagiert mit gespannter Anteilnahme. Gerade diese Unwägbarkeiten machen sichtbar, wie abenteuerlich die Akrobatik ist und wie hoch die körperliche wie mentale Anspannung der Künstler.
Noch eindrücklicher zeigt sich das hoch oben unter der Kuppel. Die Flying Royals segeln in ihrer Trapeznummer durch die Manege, in einer Form, wie man sie so noch nicht gesehen hat: überkreuz, von vorn nach hinten, von links nach rechts. Neun Körper jagen durch die Luft, Hände greifen und lösen sich wieder, von Trapez zu Trapez, von Mensch zu Mensch, in rasender Abfolge. Im Publikum herrscht gespannte Stille: Kann das gut gehen? Mehrfach lassen sich Artisten ins gespannte Sicherheitsnetz fallen, das sie wie ein Trampolin nutzen. Ob kalkulierter Effekt oder notwendige Absicherung – jeder Sturz steigert die Spannung, jeder erneute Abflug wird frenetisch bejubelt.
Zwischen diesen Adrenalinstößen setzt der Zirkus bewusst Kontraste. I Baccalà erzählen mit feiner Pantomime und leiser Komik kleine Geschichten ohne Worte. Ihr Humor ist zurückgenommen, fast zart, und gerade deshalb wirkungsvoll. Lachen entsteht hier nicht aus Klamauk, sondern aus Wiedererkennen – ein wohltuender Gegenpol zur großen Geste.
Insgesamt erhalten die Clowns viel Raum. Fumagalli und Daris spielen mit klassischen Motiven, überbrücken Umbaupausen, wirken dabei jedoch nie wie bloße Lückenfüller. Das Lachen, das sie erzeugen, löst die zuvor aufgebaute Anspannung – selbst dann, wenn man manche ihrer Tricks und Späße schon kennt.

Besonders aufmerksam verfolgt werden die Tiernummern, nicht zuletzt vor dem Hintergrund gesellschaftlicher Debatten. Zirkusdirektorin Jana Mandana Lacey-Krone und Hans-Ludwig Suppmeier zeigen klassische Reitkunst und Freiheitsdressur, die auf Präzision und Präsenz setzt. Die Tiere wirken nicht gehetzt, ihre Bewegungen fast selbstverständlich. Reiterspiele sind – das zeigt sich deutlich – ein Muss für das Münchner Publikum. Zur Premiere am ersten Weihnachtsfeiertag ist auch viel Prominenz gekommen.
Der emotionale Höhepunkt des Abends ist jedoch die Raubtiershow. Martin Lacey junior schmust mit seinen Katzen, sucht Nähe, erweckt den Eindruck von Zärtlichkeit. Sein Sohn Alexis, der seit Kurzem gemeinsam mit dem Vater im Zentralkäfig steht, betritt ihn mit bemerkenswertem Selbstverständnis. Fast ein Dutzend Löwen füllt den Ring: mächtig, unruhig, wach. Die Tiere gehorchen, springen, machen Männchen – und fauchen wütend. Die Spannung ist körperlich spürbar. Genau daraus bezieht die Szene ihre Wirkung. Das Publikum reagiert mit Bravo-Rufen, rhythmischem Klatschen, Ovationen im Stehen.
Doch diese Nummer polarisiert. Während der Premiere stören Aktivisten kurzzeitig die Vorstellung und versuchen, Banner zu entrollen. Auf einem habe der Polizei zufolge gestanden: „Tiere raus aus der Manege.“ Das Licht geht aus, Zirkus-Mitarbeiter stoppen die Aktion, Buh-Rufe mischen sich mit Applaus aus dem Publikum. Mehrere Personen laufen weg, bevor die Polizei kommt, zwei werden wegen Hausfriedensbruch angezeigt. Bald läuft das Programm weiter – konzentriert, fast trotzig, als sei nichts gewesen.
Zum Finale zieht der Zirkus noch einmal an. Jining, Speed-Jongleure aus China, treiben ihr Kunsthandwerk an die Grenzen des Wahrnehmbaren. Keulen fliegen in atemberaubender Geschwindigkeit, scheinbar chaotisch und doch exakt. Die Augen kommen kaum hinterher. Was bleibt, ist der Eindruck technischer Brillanz, getragen von Rhythmus und Selbstvertrauen.
Am Ende stehen alle in der Manege: Artisten, Tiertrainer, Clowns. Das Publikum erhebt sich geschlossen. Es ist diese Ambivalenz aus Höchstleistung und Kontrollverlust, Nähe und Distanz, Staunen und Zweifel, die den Zirkus so faszinierend macht – und die diesen Abend im Circus Krone prägt.





















