ADHS: Selbstdiagnose kann ein erster Schritt sein | ABC-Z
Als ich vor zirka vier Jahren angefangen habe, öffentlich über
mein Leben mit ADHS auf Social
Media zu sprechen, war ich im deutschsprachigen Raum
weitgehend allein auf weiter Flur. Obwohl
das Thema bei Weitem nicht nur mich betrifft. Und ja, ich habe mich zunächst
selbst diagnostiziert. Denn die vier Buchstaben ADHS haben vor meinem 28. Geburtstag keine
Rolle für mich gespielt. Also, schon. Ich wusste wie so viele nur nicht, dass ich betroffen bin. Bis ich zufällig
im Publikum einer Livesendung saß, in der eine junge Psychologiestudentin
spontan auf die Bühne kam, um von ihrer Diagnose im Erwachsenenalter zu
erzählen. Ein Schlüsselmoment, der mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hat.
Denn wirklich jeder einzelne Satz dieser völlig Fremden sprach mir aus der
Seele. Und schon da wusste ich: Ich habe ADHS. Ich wusste, dass das die Antwort
ist auf meinen permanenten Ausnahmezustand, irgendwo zwischen Turboantrieb und
Totalschaden, Ekstase und Stand-by; immer so viel zu wollen, aber so wenig
umzusetzen; die Unzuverlässigkeit, Verpeiltheit, fehlende Konzentration, das
kreative Um-die-Ecke-Denken; sich nur für das motivieren zu können, was einen
interessiert. Ständig so zu tun, als hätte man alles im Griff, obwohl das
Gegenteil der Fall ist.
Meine
Onlinerecherchen sollten meine Annahme bestätigen. Also konfrontierte ich
meine damalige Therapeutin damit. Doch die erwartete Reaktion blieb aus. Was
für mich mehr als offensichtlich war, wollte sie mir nicht diagnostizieren,
denn sie war nicht ausreichend über ADHS im Erwachsenenalter informiert. Ich
aber wusste inzwischen, dass
ADHS sich sehr unterschiedlich äußern kann, dass es sich im Laufe des Lebens
verändert, nicht nur Kinder
betrifft und gerade bei
Frauen oft unentdeckt bleibt. Eine neunmonatige Odyssee später sollte ich dann
auch die klinische Bestätigung erhalten.
Obwohl sich seitdem einiges getan hat, gibt es noch heute viele Menschen, die sich zunächst selbst
diagnostizieren. Nicht weil sie wollen, sondern weil sie müssen. Denn Vorurteile und veraltetes Wissen
halten sich hartnäckig, und die richtige Diagnose ist immer noch ein Privileg.
Schlechte Erfahrungen im Gesundheitssystem, lange Wartezeiten, zu wenig
Angebote für Betroffene und Vorurteile, auch unter vermeintlichen Fachleuten,
bewegen viele dazu, fast
schon notgedrungen im Internet ihre Erfahrungen zu teilen oder nach
Informationen und Austausch zu suchen. Social Media schließt diese Lücke,
besonders seit der Coronapandemie.
Die kritischen
Stimmen rund um die “Selbstdiagnose via Social Media” haben da natürlich nicht
lange auf sich warten lassen: “Modediagnose“,
“Volkskrankheit”, “TikTok-Hype“, “gefährlicher Trend” – Medienbeiträge, die immer wieder anprangern und teilweise ins Lächerliche
ziehen, dass Menschen durch Social Media auf das Thema ADHS stoßen und sich damit
auseinandersetzen. Natürlich gibt es auf TikTok, Instagram & Co.
mittlerweile jede Menge ADHS-Inhalte, und nicht alle sind ausreichend fundiert.
Und ja, immer mehr Menschen suchen inzwischen selbst nach Antworten auf ihr
Leiden. Aber dies ist
symptomatisch für ein versagendes Gesundheitswesen, seit Langem bestehende
Frauenfeindlichkeit in der Medizin und für die Tatsache, dass nicht jeder, der akut
auf eine Diagnose angewiesen ist, das finanzielle Privileg hat, diese und die
dazugehörige Behandlung auch zu bekommen. Würden die Systeme ihren Zweck erfüllen und gäbe es weniger
Vorurteile und mehr Wissen, vor allem aufseiten vermeintlicher Profis geben, müssten sich die Menschen nicht auf soziale Medien verlassen, um
Informationen und Trost zu finden.
Ein 15-sekündiges Video wird
niemals ein komplexes Thema wie ADHS umfassend abbilden können. Verspüre ich aber
einen akuten Leidensdruck und werde durch das Video dazu angeregt, mir
professionelle Hilfe und womöglich sogar eine Diagnose zu suchen – egal ob es
sich um ADHS oder eine andere Erkrankung handelt –, dann hat das Video einen
Mehrwert. Dabei ist es völlig egal, ob die Absenderin nun Ärztin, Journalistin,
Influencerin oder ein Comic-Charakter in einer fiktionalen Serie ist.
Wir müssen uns
klarmachen, dass, obwohl es aktuell in den sozialen Medien so wirkt, als würde
es stark polarisieren, ADHS immer noch ein unterrepräsentiertes und stigmatisiertes Thema ist. Die ansteigenden Zahlen der Diagnosen, die
manchmal den Eindruck erwecken, jeder zweite würde plötzlich unter ADHS leiden,
sind damit zu erklären, dass lange Zeit vor allem bei Mädchen und Frauen eine riesige
Dunkelziffer herrschte, deren Ausmaß gerade erst klar wird. Andere Symptomverläufe, andere
Kompensationsmechanismen, Internalisierung, Sozialisation, hormonelle
Unterschiede – all das hat jahrzehntelang dafür gesorgt, dass sich das Bild des
“kleinen Zappelphilipps” so hartnäckig gehalten hat und Diagnosen erst spät
gestellt werden. Wenn überhaupt.
Als ich vor zirka vier Jahren angefangen habe, öffentlich über
mein Leben mit ADHS auf Social
Media zu sprechen, war ich im deutschsprachigen Raum
weitgehend allein auf weiter Flur. Obwohl
das Thema bei Weitem nicht nur mich betrifft. Und ja, ich habe mich zunächst
selbst diagnostiziert. Denn die vier Buchstaben ADHS haben vor meinem 28. Geburtstag keine
Rolle für mich gespielt. Also, schon. Ich wusste wie so viele nur nicht, dass ich betroffen bin. Bis ich zufällig
im Publikum einer Livesendung saß, in der eine junge Psychologiestudentin
spontan auf die Bühne kam, um von ihrer Diagnose im Erwachsenenalter zu
erzählen. Ein Schlüsselmoment, der mein ganzes Leben auf den Kopf gestellt hat.
Denn wirklich jeder einzelne Satz dieser völlig Fremden sprach mir aus der
Seele. Und schon da wusste ich: Ich habe ADHS. Ich wusste, dass das die Antwort
ist auf meinen permanenten Ausnahmezustand, irgendwo zwischen Turboantrieb und
Totalschaden, Ekstase und Stand-by; immer so viel zu wollen, aber so wenig
umzusetzen; die Unzuverlässigkeit, Verpeiltheit, fehlende Konzentration, das
kreative Um-die-Ecke-Denken; sich nur für das motivieren zu können, was einen
interessiert. Ständig so zu tun, als hätte man alles im Griff, obwohl das
Gegenteil der Fall ist.