Ad Acta“ beschäftigt sich mit den Mühlen der Justiz | ABC-Z
Immer wenn man sich gerade fragt, ob der sonntägliche „Tatort“ nicht vielleicht doch für die meisten nur noch leeres Übergangsritual ist, zwischen einer Arbeitswoche und der nächsten, eine Art visuelle Zeitansage gegen den Unglauben, dass der tollwütige Montag schon wieder vor der Haustür lauert und mit ihm die Ungerechtigkeit und Unkontrollierbarkeit der gesamten Welt, dann schafft es die Reihe, zu überraschen. Zwar sind Ungerechtigkeit und Unkontrollierbarkeit der Welt auch hier stets dominantes Thema, doch manchmal gelingt es einer Folge, den Zuschauer für einen kurzen Moment glauben zu lassen, dass es immer noch genug Menschen da draußen gibt, die ein aufrichtiges Interesse daran haben, die eigenen Interessen mit denen der Mitmenschen auszubalancieren. Ein solche Folge, die es vermag, eine Welt, deren Wochen aus lauter Montagen zu bestehen scheinen, zur Tür hereinzubitten, ist der Freiburger „Tatort: Ad Acta“ (Regie: Rudi Gaul).
Ein schöner, sanfter, junger Mann wird erschossen, ein Cross-Motorrad mit schwarz gewandetem Reiter röhrt über badische Wiesen, und es sieht erst einmal alles nach nicht viel respektive dem üblichen Übergangsritual aus. Akustisch ist allerdings schon in den ersten Minuten viel los (Musik: Verena Marisa), quasi als Vorgriff auf das, was kommt, die Ahnungen des Zuschauers lockend. Man wird sich in seiner Gewissheit noch schön vertun.
Qua Kapital fest im System verankert
Der Fall des ermordeten Tobias Benzinger (Jan Liem), Stiefsohn des Anwalts Rainer Benzinger (August Zirner), leiblicher Sohn von dessen Frau Maki (Akiko Hitomi), Mann des wütenden Witwers Nader (Hassan Akkouch) führt das Ermittlerteam Franziska Tobler (Eva Löbau) und Friedemann Berg (Hans-Jochen Wagner) bald in die Kanzlei Benzinger, wo Tobias in die Fußstapfen des Stiefvaters treten sollte. Der einst linke Feuerkopf, nun qua Kapital fest im System verankert, hat den Ruf, jene zu verteidigen, die oft „vorverurteilt“ werden. Seine Erfolgsquote bei Mandanten aus zwielichtigen Kreisen ist beachtlich. So wie das Haus mit den Panzerglasscheiben, die ihm das Leben retten, als der schwarz behelmte Angreifer auch auf ihn schießt.
Dieser „Tatort“ versucht nicht durch seinen doppelten erzählerischen Boden zu bestechen, nicht, wie so oft, durch die formschöne Inszenierung der Vergeblichkeit des Tuns seiner Protagonisten. Auch nicht durch erzählerisch klug konstruierte Ermittlungsarbeit. Er besticht durch fast jede Figur, durch den Platz, den jedes Ensemblemitglied bekommt, durch die Sprache; weil ihre Sollbruchstellen erkennbar werden – und nicht wie sonst in ausgestanzten Sätzen gesprochen wird. Eva Löbau verschwindet im Vergleich zu anderen „Tatort“-Ermittlern kunstvoll in ihrer Rolle. Sie gibt dem Zuschauer nicht das Gefühl, einer Figur an Drehbuchschnüren (Bernd Lange) zuzusehen, sondern einem Menschen. Zwischen vielen Rollen entwickelt sich eine einigermaßen glaubhafte Dynamik. Klischees, die oft, wenn wie hier Rockerbanden oder japanische Ehefrauen ins Spiel kommen, gern gnadenlos ausgeschlachtet werden, werden zwar berührt, aber mit Augenmaß.
Wenn auch die Kamera von Stefan Sommer sich schwenktechnisch in der Horizontalen mitunter schwer verausgabt, so gelingt es ihr dennoch gekonnt, Details von hundertmal beobachteten Vorgängen hervorzuheben, die in anderen „Tatorten“ unter den Tisch fallen: ein frischer Blick auf die Instrumente der Spurensicherung, die handlicheren Statussymbole einer Oberschichtenexistenz, die robuste Verpflegung in der Teeküche, der Wortwechsel zwischen Anwalt und Assistentin im sonst verwaisten Büro (Szenenbild: Andreas Christoph Schmid). Die Montage von Saskia Metten verflicht all diese Bilder samt ihrer ausgiebigen Licht- und Schattenspiele sowie Rückblenden zu einem dichten und bis zuletzt spannenden Fernsehfilm, der es schafft, die Welt wieder ein kleines bisschen geradezurücken. Soll er nur kommen, der Montag.
Tatort: Ad Acta, Sonntag, 20.20 Uhr, ARD.