Politik

Acht Lehren aus Brandenburg-Wahl: SPD gewinnt gegen Scholz, AfD jubelt und Merz hat ein Problem | ABC-Z

Gemessen an seinen 2,6 Millionen Bewohnern war es “nur” Brandenburg. Doch das Drama zur Landtagswahl hat es in sich: Ministerpräsident Woidke krönt seine Aufholjagd. Die AfD holt ein Rekordergebnis. Die CDU fängt sich eine heftige Klatsche, genauso wie Grüne und Linke. Wer jetzt regieren soll, ist unklar.

1. Es wird kompliziert in Brandenburg

Wie soll Brandenburg künftig regiert werden? Auf den ersten Blick haben die Wählerinnen und Wähler ein klares Votum abgegeben: Dietmar Woidke soll im Amt des Ministerpräsidenten bleiben. Die Frage nach dem Wie ist nach diesem Wahlergebnis aber unklar. Die SPD hat auf Kosten ihrer Regierungspartner CDU und Grüne zugelegt. Die Grünen sind nun ganz raus. SPD und CDU kommen zusammen nur auf 44 der 88 Landtagssitze. Das reicht zum Regieren nicht. BSW und AfD könnten jedes Gesetz blockieren, wenn sie geschlossen dagegen votieren. Woidke wird sich also mit dem BSW ins Benehmen setzen müssen. Entweder duldet das BSW die rot-schwarze Landesregierung, wird hierfür aber inhaltlich einiges einfordern, oder aber die SPD versucht es gleich mit einer Koalition mit der Newcomer-Partei von Sahra Wagenknecht. Zusammen kommen beide Parteien auf eine Mehrheit von 46 Stimmen.

2. Woidke siegt gegen Scholz – und rettet den Kanzler

Nicht ein Wahlplakat mit dem Kanzler und fast kein gemeinsamer Wahlkampftermin: Keinesfalls wollte Dietmar Woidke mit Olaf Scholz und seiner Ampelkoalition im Bund in Zusammenhang gebracht werden. Der Ministerpräsident setzte auf seine hohen persönlichen Beliebtheitswerte und auf die weitverbreitete Ablehnung der AfD. Weil er nur mit der SPD als stärkster Kraft im Amt bleiben wollte, sahen sich viele Wählerinnen und Wähler bemüßigt, ihr Kreuz bei den Sozialdemokraten zu machen. “Wer Woidke will, muss SPD wählen”, hatte Woidke plakatieren lassen. Das “trotz allem” durften sich die Leser in Klammern dazudenken. Die Wette ist aufgegangen – paradoxerweise zum Wohl von Olaf Scholz. Hätte die SPD die Landesregierung in Brandenburg verloren, wäre der SPD-interne Druck auf den unbeliebten Kanzler noch weiter gestiegen.

3. Die AfD siegt auch mit Platz zwei

Sie haben zwar Woidke nicht aus dem Amt gefegt, dennoch hatten die Blauen allen Grund zum Jubeln: Die fast 30 Prozent Stimmenanteil bedeuteten einen Rekordwert der AfD im Land. Die Partei hat im Sommer noch einmal mächtig zugelegt und dabei war die hohe Wahlbeteiligung von rund 74 Prozent offensichtlich nicht zu ihrem Nachteil. Die AfD kommt nun auf ein Drittel der Sitze im Landtag und kann fortan wichtige Entscheidungen blockieren. Sollte das BSW eine rot-schwarze Landesregierung tolerieren, wäre die AfD die einzig echte Oppositionspartei in Brandenburg. Einmütig betonten Landeschef Hans-Christoph Berndt und die Bundesparteivorsitzende Alice Weidel, dass sich alles im Sinne der AfD entwickele und die Zeit auf ihrer Seite sei. Dem ist, auch mit Blick auf die Ergebnisse in Sachsen und Thüringen drei Wochen zuvor, schwer zu widersprechen.

4. Merz ist Kanzlerkandidat, die CDU schmiert ab

Mit einem ihrer schlechtesten Landtagswahlergebnisse überhaupt kann die CDU nicht zufrieden sein. Doch man rechnet sich mildernden Umstände dazu: Die Trunkenheitsfahrt des CDU-Spitzenkandidaten Jan Redman mag zwar genauso wenig hilfreich gewesen sein wie die Wahlempfehlung von Sachsens Ministerpräsidenten Michael Kretschmer für Dietmar Woidke. Ein Großteil der Verluste dürfte aber auf die Zuspitzung des Wahlkampfes zwischen SPD und AfD zurückgehen. Dennoch: Wenige Tage nach Bekanntgabe der Kanzlerkandidatur von Friedrich Merz für die Union ist zumindest kein Merz-Effekt festzustellen. Auch bei den anderen Ostwahlen war nicht zu beobachten, dass die dortigen CDU-Verbände von einer besonderen Beliebtheit des CDU-Vorsitzenden profitiert hätten. Merz weiß das und hat seine Kanzlerkandidatur sicherheitshalber festgezurrt, bevor ihm ein selbstbewusster Bayer das absehbar schlechte Brandenburg-Wahlergebnis vorhalten könnte.

5. Sahra Wagenknecht schafft den Hattrick

In drei Ländern ist das Bündnis Sahra Wagenknecht erstmals zur Wahl angetreten. Überall kommt das BSW auf Anhieb auf zweistellige Ergebnisse und wird sprunghaft zum Faktor bei der Regierungsbildung. Diesen Erfolg hat im Winter niemand kommen sehen. Zumal die Partei in den Ländern je wenige Dutzend Mitglieder hat und ihre Spitzenkandidaten – mit Ausnahme von Katja Wolf in Thüringen – praktisch unbekannt waren. Ein Drittel der BSW-Wähler in Brandenburg nannte laut Infratest dimap den Krieg in der Ukraine als wichtigstes Thema. Zweites wichtiges Thema war die Migrationspolitik. Somit hat das BSW vor allem mit Bundesthemen punkten können. Regierungsbeteiligungen macht Wagenknecht davon abhängig, ob sich künftige Landesregierungen im Bund gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine und gegen die Stationierung von US-Langstreckenraketen in Deutschland starkmachen. Möglich, dass darüber Regierungsbildungen in allen drei Ostländern scheitern.

6. Grüne und Linke darben

Die Grünen sind wieder Westpartei, die Linke ist nicht einmal mehr Ostpartei. Grünen-Kandidatin Marie Schäffer verpasst den Direkteinzug in den Landtag. Weil die Partei ihr Ergebnis von 2019 mehr als halbiert und damit unter der 5-Prozent-Hürde bleibt, ist die Partei raus aus dem Landtag. So ist es ihr schon in Thüringen ergangen, in Sachsen gelang der Wiedereinzug mit 5,1 Prozent denkbar knapp. Von Hass ist die Rede, wenn es um die Wahrnehmung der Grünen im Osten geht, vor allem in den ländlichen Gebieten. Das hat mit eigenen Fehlern wie beim Heizungsgesetz zu tun und der klaren Positionierung für mehr Waffenlieferungen an die Ukraine. Genauso spielt aber mit hinein, dass die Partei von fast allen Mitbewerbern attackiert wird. In Brandenburg machten AfD, CDU und Freie Wähler Stimmung gegen die Grünen. Die Linke nahm dagegen niemand aufs Korn: Sie galt schon lange vor dem 22. September als abgeschrieben. Die Nachfolgepartei von SED und PDS war lange Zeit die Ostpartei schlechthin. Doch der Titel gebührt inzwischen AfD und BSW.

7. Es sind hochpolitische Zeiten

Viel wurde in den vergangenen Monaten über die Demokratiefähigkeit der Ostdeutschen diskutiert. Deutlich über 70 Prozent Wahlbeteiligung in allen drei Ländern sprechen ihre eigene Sprache: Es ist den Menschen nicht egal, wer regiert. Politische Themen bewegen die Wähler und die bewegen sich ins Wahllokal. Was sich verändert hat: Bei früheren Wahlen waren Erfolge etwa von der rechtsextremen NPD an der oft niedrigen Wahlbeteiligung festgemacht worden. Jetzt gehen so viele Menschen wie nie seit den frühen 90er Jahren wählen und dennoch sind Populisten (BSW) und Rechtsextreme (AfD) stark. Die Mobilisierung auf allen Seiten ist hoch, die Stimmung aufgeheizt. Schließlich stehen sich doch sehr entgegengesetzte Positionen gegenüber, etwa in der Frage des Ukraine-Kriegs oder der Notwendigkeit von Klimaschutz. Brandenburg hat diesen Trend bestätigt, auch der AfD-Stimmanteil unter den jungen Wählern war wie in Sachsen und Thüringen hoch. Ob und wie die offensichtlich tiefen Gräben zwischen den Ansichten der Menschen zugeschüttet werden können, darauf hat diese Wahl keine Antwort gegeben.

8. Die Macht der starken Männer zieht – noch

In Brandenburg und Sachsen haben sich am Ende die zwei Amtsinhaber durchgesetzt und ihre Partei jeweils zur stärksten Kraft gemacht: der Christdemokrat Michael Kretschmer und der Sozialdemokrat Dietmar Woidke. Beide haben sicherlich auch vom Amtsbonus profitiert, sie waren als Personen bekannt im Land und waren auch nach der Logik vom “Spatz in der Hand …” eine naheliegende Wahl. Dennoch: Beide haben sich in den vergangenen Wochen auf körperlich höchst fordernde Art und Weise ins Zeug geschmissen, um die Menschen zu überzeugen. Die Termindichte, die teils unmöglichen Gespräche mit patzigen bis hasserfüllten Wählerinnen und Wählern, die ständigen Interviews: Wer tut sich so etwas freiwillig an? Demokratische Werte hochzuhalten ist dieser Tage ein Kraftakt, von dem niemand erwarten darf, dass sich auch in Zukunft genügend Männer und Frauen finden, die das können und wollen. Die starken Schultern von Kretschmer und Woidke ähneln bei näherer Betrachtung eher einem seidenen Faden.

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