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Abtreibungen in der Uckermark: Verfolgt wegen Menschlichkeit | ABC-Z

Berlin taz | So hoch kann der Preis für Menschlichkeit sein: Bis zu drei Jahre Haft drohen der polnischen Ärztin Maria Kubisa. Ihr „Verbrechen“: Sie hat Frauen unterstützt, die sich aufgrund ungewollter Schwangerschaften in lebensgefährlichen Situationen befanden. Am Donnerstag beginnt das Verfahren gegen die Leiterin der Gynäkologie im Krankenhaus Prenzlau vor dem Amtsgericht Stettin in Polen.

„Das ist absurd, einfach verrückt“, sagt Janusz Rudzinski. Auch der deutsch-polnische Frauenarzt mit Sitz in Schwedt – wie Prenzlau im Brandenburger Landkreis Uckermark – steht wegen Beihilfe zur Abtreibung im Visier der Stettiner Staatsanwaltschaft. „Die Gesetze sind mittelalterlich“, kritisiert der 85-jährige Arzt im Ruhestand.

Polen hat eines der restriktivsten Abtreibungsgesetze Europas. Seit Mitte der 1990er Jahre ist der Schwangerschaftsabbruch dort verboten, unter Führung der national-konservativen PiS-Partei wurde das Gesetz im Oktober 2020 weiter verschärft. Seitdem sind Schwangerschaftsabbrüche nur noch in Ausnahmefällen erlaubt: bei Inzest, Vergewaltigung oder wenn die Frau in Lebensgefahr ist.

Die Rechtslage in Polen ist für viele Frauen lebensbedrohlich. Seit 2020 sind mindestens sechs Schwangere gestorben, weil ihnen eine Abtreibung verweigert worden war. Laut einem Bericht von Health Policy Watch vom August 2024 werden in Polen jährlich zwischen 80.000 und 93.000 Schwangerschaftsabbrüche vorgenommen, davon lediglich einige Hundert legal.

Auch die Beratung ist strafbar

Bereits die Beratung zu einem Abbruch kann nach Paragraf 152 des Strafgesetzbuches mit bis zu drei Jahren Haft wegen Beihilfe bestraft werden. Im März 2023 war erstmals eine Geburtshelferin deshalb verurteilt worden. Auch sie hätte bis zu drei Jahre Haft erhalten können, wurde jedoch zu acht Monaten gemeinnütziger Arbeit verurteilt.

Aus diesem Grund wenden sich viele Frauen an NGOs und Initiativen, wie Ciocia Basia („Tante Barbara“), die ihnen Informationen über Behandlungsoptionen bereitstellen und Frauen nach Berlin bringen, um ihnen hier eine legale und sichere Abtreibungen zu ermöglichen. Andere polnische Frauen suchen in grenznahen Städten in Brandenburg Hilfe und werden bei Ärz­t*in­nen wie Janusz Rudzinski oder Maria Kubisa fündig. Auch in Deutschland ist die Abtreibung zwar grundsätzlich rechtswidrig, bleibt aber bis zur 12. Schwangerschaftswoche straffrei, sofern die Frau zuvor ein Beratungsgespräch bei einer Schwangerschaftskonfliktberatungsstelle absolviert hat.

Rudzinski sieht daher in seiner Tätigkeit keinen Rechtsbruch: „Ich helfe den Frauen in Deutschland und nicht in Polen. Hier ist das legal“, betont er. Rudzinski ist als freiberuflicher Frauenarzt in Schwedt an der Oder tätig, wo er am Telefon polnische Patientinnen berät und ihnen Termine im Krankenhaus Prenzlau vermittelt. Nach polnischem Recht gilt das bereits als Beihilfe zum Schwangerschaftsabbruch. Nach deutschem Recht ist das legal. Er sei „neugierig“, wie die Staatsanwaltschaft den Vorwurf des Rechtsbruchs begründen möchte, sagt der Deutschpole.

Anders verhält es sich bei der Ärztin Maria Kubisa, die neben ihrer Tätigkeit in Prenzlau auch eine Praxis in Stettin betreibt, in der sie einmal die Woche Frauen behandelt. Die Stettiner Staatsanwaltschaft wirft ihr sechs Fälle vor, in denen sie angeblich Schwangerschaftsabbrüche in Polen durchgeführt haben soll.

Fälle ereigneten sich während der Coronapandemie

Kubisa selbst äußerte sich am Dienstag nicht zu dem Vorwurf. Janusz Rudzinski ist ebenfalls mit den Fällen vertraut und berichtet gegenüber der taz: „Es handelt sich um Frauen, die während der Coronapandemie aufgrund der Grenzschließungen nicht zu mir nach Deutschland kommen konnten.“ Die Frauen seien durch ihre Situation psychisch sehr belastet gewesen, eine habe Suizid begehen wollen. Normalerweise verweise er solche Patientinnen nach Prenzlau. Während der Pandemie habe er jedoch Maria Kubisa gebeten, die Frauen in ihrer Praxis in Stettin zu untersuchen und beraten.

„Die Frauen waren nur zum Gespräch bei Maria Kubisa. Sie hat sicherlich keine Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt“, ist er überzeugt. Dafür benötige man entsprechende Instrumente, die in der Stettiner Praxis nicht vorhanden gewesen seien, da sie dort zu diesem Zeitpunkt gar keine Abbrüche durchgeführt habe.

Die Namen der sechs Patient*innen, bei denen sie Abbrüche durchgeführt haben soll, seien während Hausdurchsuchungen bei der Ärztin gefunden worden, vermutet Janusz Rudzinski. Insgesamt fünf Razzien seien in den vergangenen Jahren bei Kubisa durchgeführt worden, zuletzt im Januar 2024: Sechs Beamte der Sonderbehörde zur Korruptionsbekämpfung stürmten ihre Praxis in Stettin, während sie dort Pa­ti­en­t*in­nen behandelte. Sie durchsuchten die Räumlichkeiten, beschlagnahmten ein Handy, zwei Laptops, Notizhefte sowie 6.000 Patient*innenakten.

„Die PiS, die auch die Kontrolle über die Justiz erlangt hat, wollte ein Exempel statuieren, um Menschen wie Maria Kubisa zu stigmatisieren und davon abzuhalten, in Brandenburg Abtreibungen anzubieten“, sagt eine Aktivistin von Dziewuchy Berlin, einer polnischen Gruppe, die sich gegen das restriktive Abtreibungsgesetz stellt, der taz.

Einschüchterungsversuche PiS-Partei naher Staatsanwälte

Auch Rudzinski wertet das Verhalten der Staatsanwaltschaft als Einschüchterungsversuch durch Ermittler, die der PiS-Partei nahestehen und ihn und Kubisa vor einer möglichen Änderung des Abtreibungsrechts verstärkt ins Visier nehmen. „Der Stettiner Staatsanwalt begeht Rechtsbrüche und arbeitet nach stalinistischen Methoden“, kritisiert er.

Hintergrund ist das Versprechen des polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk, seit Oktober 2023 im Amt, das Abtreibungsrecht zu lockern. Bisher ist das Vorhaben an der ablehnenden Haltung seines Koalitionspartners, der christlich-konservativen Bauernpartei PSL, gescheitert.

Janusz Rudzinski zeigt sich vom Vorgehen der Stettiner Staatsanwaltschaft wenig beeindruckt: „Ich nehme das nicht ernst. Ich habe keine Angst.“ Er werde weiterhin alles tun, was mit deutschem Recht vereinbar ist, um zu helfen, betont er. Und was Maria Kubisa betreffe? „Ich bin mir sicher, dass sie nicht ins Gefängnis muss.“

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