Absicherung gegen Russland: Nato fordert 49 weitere Kampftruppen-Brigaden | ABC-Z
Nach bislang unveröffentlichten Nato-Plänen müssen die Alliierten zur Absicherung gegen Russland deutlich mehr Truppen und Waffen stellen – auch Deutschland. Das Papier liegt WELT AM SONNTAG vor. Handlungsbedarf gibt es auch bei der Luftverteidigung. Dafür sind „erhebliche“ Finanzmittel nötig.
Als der Niederländer Mark Rutte am Dienstag in Brüssel die Nachfolge des Norwegers Jens Stoltenberg antrat, benannte der neue Nato-Generalsekretär die zwei großen Aufgaben seiner Amtszeit. Neben der weiteren Unterstützung der Ukraine gehe es um die Absicherung der transatlantischen Allianz selbst gegen Russland, so Rutte. Beides ist teuer, seine wichtigste Botschaft zum Amtsantritt lautete deshalb: Es gebe „keine Ausrede“ dafür, nicht mehr Geld in Rüstung zu investieren.
Seit 2022 bewertet die Nato Russland als die bedeutendste und unmittelbarste Bedrohung für die Sicherheit der Mitgliedstaaten. 2023 wurde politisch einhellig festgelegt, dass die Nato bereit, willens und in der Lage sein müsse, jeden Zentimeter des verbündeten Territoriums zu verteidigen. Im Frühjahr 2024 wurde den Alliierten schließlich „die Gesamtheit der minimal benötigten Fähigkeiten“ übermittelt, die für dieses Ziel zwingend erforderlich sind, wie es in vertraulichen Dokumenten des Bundesministeriums der Verteidigung heißt, die WELT AM SONNTAG vorliegen. Darin wird aufgezeigt, welchen Zuwachs an militärischen Fähigkeiten die Nato-Kommandeure für notwendig erachten.
Diese „Minimum Capability Requirements“ (MCR), festgelegt von US-General Christopher Cavoli und dem französischen Admiral Pierre Vandier, den zwei höchsten militärischen Befehlshabern der Allianz, enthalten eine Reihe von zusätzlichen Forderungen an die Mitgliedstaaten. Hielt man im Jahr 2021 noch 82 Kampftruppen-Brigaden für ausreichend, sollen es künftig 131 sein. Das ist ein Plus von 49 dieser Großverbände, die in der Bundeswehr eine Stärke von jeweils rund 5000 Soldaten haben. Zur Führung und Unterstützung dieser Truppen soll die Zahl der „Warfighting Corps“ von sechs auf 15 steigen, die der Divisions-Hauptquartiere von 24 auf 38.
Handlungsbedarf gibt es auch bei der Ausrüstung, insbesondere bei Luftverteidigung, Munition, weitreichenden Präzisionswaffen sowie Logistik und Transport. So soll die Zahl der bodengebundenen Flugabwehreinheiten von 293 auf 1467 steigen – ein Mehr von 1174. Dazu zählen Waffensysteme wie Patriot, Iris T-SLM, Skyranger sowie der Nah- und Nächstbereichschutz. Auch die Zahl der Hubschrauberverbände soll wachsen, von 90 auf 104.
Das sind die Gesamtbedarfe der 32 Alliierten. Bis zu einem Treffen der Nato-Verteidigungsminister im Oktober 2025 werden die MCR nun als verpflichtende Fähigkeitsziele auf die Mitgliedstaaten verteilt. „Die Quantität der Zuweisung ergibt sich aus dem relativen ‚Reichtum‘ und der Größe der Bevölkerung eines Alliierten“, heißt es im Papier des Verteidigungsministeriums. Deutschland seien zuletzt „circa 9,28 Prozent aller Gesamtfähigkeiten zugewiesen“ worden. Entsprechend gehen die Planer von Boris Pistorius (SPD) davon aus, dass die Bundeswehr „fünf bis sechs weitere Kampftruppenbrigaden“ werde stellen müssen, dazu den Stab eines „zusätzlichen Warfighting Corps“ und einen weiteren Hubschrauberverband. Derzeit verfügt die Bundeswehr über acht Brigaden, eine neunte ist im Aufbau, eine zehnte bis 2031 geplant.
„Die Erfüllung der Nato-Fähigkeitsziele als nationale Priorität“
Schon diese Verbände sind finanziell, personell und materiell nicht ausreichend hinterlegt. Für die zu erwartenden neuen Fähigkeitsziele, so heißt es im Papier, seien „erhebliche weitere Finanzmittel“ nötig. Zwar beziehe sich der laufende Nato-Planungsprozess auf die Jahre ab 2031, jedoch forderten die Befehlshaber des Bündnisses in den MCR, „die für die am dringlichsten benötigten Fähigkeiten erforderlichen Beschaffungen schnellstmöglich einzuleiten“. Die Umsetzung der Nato-Ziele würde „für die Alliierten vermutlich deutlich mehr als zwei Prozent Verteidigungsinvestitionen vom Bruttoinlandsprodukt abverlangen“, wird prognostiziert.
Eine Ablehnung der Planungen sei nicht ratsam, heißt es weiter, würden dadurch doch die „Akzeptanz des Prozesses beschädigt“ und „die Glaubwürdigkeit des gesamten Bündnisses und vor allem seiner strategischen Kommandeure infrage“ gestellt. Ohnehin dienen die laufenden Verhandlungen vor allem der Transparenz und gegenseitigen Information, die Zuteilung erfolgt am Ende in einem Top-Down-Prozess. Das Verteidigungsministerium teilte auf Anfrage mit, die Bundesregierung stufe „die Erfüllung der Nato-Fähigkeitsziele als nationale Priorität“ ein und werde „den erheblichen Aufholbedarf der Bundeswehr gezielt decken“.
Politikredakteur Thorsten Jungholt ist zuständig für die Berichterstattung über Bundeswehr, Sicherheitspolitik, Justiz und die FDP.