Abschied von der erfolgreichen Stute Dalera: Eine wie keine – Sport | ABC-Z
Für einen „Freudenauftritt“ flossen in der voll besetzten St. Jakobshalle ungewöhnlich viele Tränen. „Es ist sehr schwer“, hatte die viermalige Olympiasiegerin Jessica von Bredow-Werndl schon vor der Verabschiedung ihrer Sportpartnerin eingeräumt. Nach den Trakehner Hengsttagen in Neumünster und den Amadeus Horse Indoors in Salzburg boten die CHI Classics Basel, das Schweizer Weltcup-Turnier, den würdigen Rahmen für das endgültige Farewell von TSF Dalera BB. Ein letztes Mal zeigte die mittlerweile 18-jährige Stute ihre Gold-Kür von Paris und wurde mit Ovationen gefeiert.
Nicht nur die Reiterin und ihr Team, auch viele Zuschauer rührte der letzte große Auftritt zu Tränen. Von Bredow-Werndl und ihre „Queen“ waren das prägende Dressurpaar der vergangenen Jahre. Zweimal hintereinander gewannen sie olympisches Doppel-Gold, dazu alle Championatstitel. Nur die Weltmeisterschaft 2022 verpassten sie, weil die Reiterin zum zweiten Mal Mutter wurde. 2021 in Tokio und im vergangenen Sommer in Paris begeisterte die 38-Jährige mit Dalera ein Millionenpublikum – obwohl der Dressursport durch Skandale in Verruf geraten ist. Der feingliedrigen Reiterin und ihrer eleganten, braunen Trakehnerstute flogen die Herzen zu, wo immer sie in den vergangenen Jahren auftraten. Harmonie, Leichtigkeit und Anmut gepaart mit technischer Präzision, Kraft und Dynamik – diese Kombination gibt es nur sehr selten und noch seltener in solcher Beständigkeit.
Sie sei mit Dalera „auf einer anderen Ebene tief verbunden“, beschrieb von Bredow-Werndl das Erfolgsgeheimnis. „Ich weiß, was Dalera denkt und sie weiß, was ich denke. Das spüren die Zuschauer“, erläuterte sie. Alles nur Einbildung? Studien belegen, dass sich Herzschlag und Atmung von Pferd und Mensch synchronisieren können, ähnlich wie bei Verliebten. Nachgewiesen wurde auch, dass Pferde menschliche Mimik erkennen und sich merken können, ob jemand am Vortag freundlich oder grantig war.
Schon früh zeigte sich Dalera besonders bewegungsfreudig, gelehrig, leistungsbereit und unkompliziert
Natürlich sind Lebewesen unterschiedlich talentiert und lernwillig. Für den Spitzensport braucht es besondere Eigenschaften, die Dalera offenbar von Anfang an mitbrachte. Verena Sammer, ihre erste Ausbilderin, beschrieb die damals schon 1,76 Meter große, schlaksige Vierjährige im Gespräch als besonders bewegungsfreudig, gelehrig, leistungsbereit und unkompliziert. Pferdewirtschaftsmeister Werner Bergmann sah die Easy-Game-Tochter auf einem Lehrgang unter ihrer Züchterin Silke Druckenmüller und erkannte das Potenzial sofort. „Innerhalb von fünf Minuten hat die Stute mir gehört. Ich habe sie nicht mal geritten“, erzählte er am Telefon. Ein Video zeigt, wie Dalera bereits als Sechsjährige piaffierte und passagierte. Schon damals war sie laut Bergmann „mit ganz feinen Hilfen zu reiten“.
„Schweren Herzens“ verkaufte der Berufsreiter die Stute an Béatrice Bürchler-Keller. Die Schweizerin aus der Nähe von Basel ist eine ebenso passionierte wie erfahrene Pferdefrau und ehemalige Dressur-Olympiarichterin. Da ihre Pferde grundsätzlich nicht zum Verkauf stehen, bekam Dalera bei Susanne Eggli ausreichend Zeit zu reifen, bevor sie in Aubenhausen bis zur höchsten Klasse gefördert wurde. Von Bredow-Werndl hatte sich damals mit Unee BB, einem weiteren Pferd von Bürchler-Keller, schon im internationalen Spitzensport etabliert.
:Die Dressurkönigin lernt den Hass im Netz kennen
Jessica von Bredow-Werndl erfährt Beschimpfungen wegen eines Videos, in dem ein Pferd sich ihr als Reiterin widersetzt. Um Tierschutz geht es dabei nicht, eher um die Frage: Dürfen Olympiasieger auch mal scheitern?
Mit der neunjährigen Dalera gewann die Oberbayerin 2016 eine erste ländliche S-Prüfung. Im Dezember 2017 siegte das Paar überzeugend im Finale des renommierten Louisdor-Preises. Danach entwickelte sich die Stute rasant. Schon bei der Weltmeisterschaft 2018 stand sie im deutschen Gold-Team. „Nach der Europameisterschaft 2019 habe ich gewusst, dass alles möglich ist“, erinnert sich die Reiterin. In Rotterdam gewann das Paar Kür-Bronze, die erste internationale Einzel-Medaille.
„Es ist nur ein Moment, wenn du mit der Medaille oben stehst. Der Weg dahin zählt“, sagt Bredow-Werndl
Viel Edelmetall ist in den vergangenen sechs Jahren zusammengekommen. Die gemeinsame Reise sei wie ein Märchen gewesen, aber auch ein anstrengendes. „Mit Erfolgsdruck umzugehen und immer noch einen obendrauf zu setzen, ist schwer“, weiß die frühere Weltranglistenerste. Mentale Unterstützung holte sie sich unter anderem bei Felix Gottwald, Österreichs erfolgreichstem Olympiasportler. Die Titelverteidigung in Paris geriet zur emotionalen Achterbahnfahrt. Es war ein Schock, als von Bredow-Werndl und Dalera ausgerechnet in der Teamwertung, dem Grand Prix Spezial, patzten. Zum ersten Mal nach drei Jahren wurde das Paar international geschlagen. Immerhin, der zweite Platz reichte, um das Team-Gold zu sichern. Zu guter Letzt gewann das Paar mit einer fehlerfreien Kür auch Einzel-Gold und schrieb olympische Geschichte. Zwei Titel bei zwei aufeinander folgenden Spielen mit demselben Pferd, das war zuvor nur Nicole Uphoff mit Rembrandt gelungen.
Natürlich ist die Reiterin stolz darauf, was sie mit Dalera erreicht hat. „Aber es ist nur ein Moment, wenn du mit der Medaille oben stehst. Der Weg dahin zählt. Nicht der Erfolg, sondern die Pferde stehen über allem“, stellt die Olympionikin fest. Darin war und ist sie sich mit Daleras Besitzerin einig. Kurz nach der Abschiedsgala ihrer Stute stand Bürchler-Keller schon im Stall und beobachtete ihre Stute lächelnd beim Fressen. Ein paar Tage zuvor saß sie selbst im Sattel. Ein Social Media-Video zeigte, wie eifrig Dalera unter ihr piaffierte und passagierte. „Sie ist ein Fabelwesen“, ist die Grande Dame der Schweizer Dressur überzeugt.
Im kommenden Jahr könnte eine neue Aufgabe als Mutter auf die dann 19-jährige Stute zukommen – wenn sie tragend wird. In jedem Fall wird die „Queen“ bis zu ihrem Lebensende in Aubenhausen umsorgt und geritten werden. „Dressur dient der Gesunderhaltung und macht Pferde schöner“, beruft sich von Bredow-Werndl auf die klassische Reitlehre. Sportlich stehen bei ihr jetzt die Nachwuchspferde im Fokus. Mit Got it BB und Kismet peilt sie im Herbst die Qualifikation zum Louisdor-Preis-Finale an. Gespannt ist sie auch auf die Entwicklung von Discover, den sie im Mai 2024 von ihrem Bruder übernommen hat. Mehr will sie nicht verraten: „Klappe halten und reiten“, lautet ihre Devise.