Abkommen mit Kurden in Syrien: Am Checkpoint von Ashrafiyeh | ABC-Z

Vor dem Checkpoint stauen sich im Sonnenuntergang ein Dutzend Autos und Minivans. Wer ihn überqueren will, muss aussteigen: und zu Fuß laufen, über einen kleinen Berg aus Schotter zwischen zwei Betonpollern. Sandsäcken, Bauschutt und Erde versperren abseits des Checkpoints den Eingang ins Viertel. Der Rest von Aleppo ist überwiegend sunnitisch geprägt. Seit über zehn Jahren kontrollieren kurdische Streitkräfte die beiden Viertel.
Das soll sich nun ändern: Am 10. März, drei Monate nach dem Fall des alten Regimes von Baschar al-Assad, unterschrieben der Anführer der kurdischen Milizen in Syrien, Mazloum Abdi, und der neue syrische Präsident Ahmed al-Scharaa ein Abkommen: Es soll die SDF, die Streitkräfte des selbstverwalteten kurdischen Nordostens Syriens, in die staatliche Armee integrieren. Ein Schritt in diese Richtung ist die Vereinbarung über den Abzug der kurdischen Kräfte innerhalb Aleppos. Wenige Tage später verließen laut lokalen Medien Einheiten der SDF die Stadt Aleppo gen Osten.
Doch offenbar sind die kurdischen Sicherheitskräfte bisher nicht vollständig abgezogen. Obwohl einige Checkpoints innerhalb der Viertel seit dem Abkommen verwaist sind, bleiben kurdische Sicherheitskräfte präsent, an den Checkpoints der beiden Viertel Ashrafiyeh und Scheich Maqsoud. Das bestätigen mehrere Einwohner*innen der taz. Die Soldaten am Checkpoint tragen Olivgrün oder Tarnfleck. Seit dem Abkommen hätten sie die kurdischen Symbole von ihren Uniformen entfernt, sagt eine Anwohnerin.
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Serena Bilanceri
Eine Viertelstunde Stau am Checkpoint
Dass die beiden Viertel überhaupt so lange von kurdischen Kräften geschützt wurden, hat mit dem Krieg in Syrien zu tun: Im Sommer 2012 drangen Rebellen in die Stadt vor, das Assad-Regime reagierte mit heftigen Bombardements. Mit dem Rückzug der syrischen Staatsstreitkräfte aus den kurdischen Vierteln zu dringenderen Fronten übernahmen YPG-Kämpfer die Kontrolle. Sie ist der bewaffnete Arm der Partei der Demokratischen Union in Syrien und gilt als PKK-nah. Zwischen 2012 und 2016 kämpften Rebellen und Regime um die Stadt. Die syrische Luftwaffe, unterstützt von russischen Streitkräften, bombardierte sie schwer. Hunderttausende wurden vertrieben, Zehntausende starben, die Stadt wurde zerstört. Als die Truppen Assads 2016 die Kontrolle über die Stadt zurückerlangten, zogen sich die Rebellen zurück. Es blieben zwei kurdische Enklaven unter Kontrolle der SDF.
Zeinab Haidar, Bewohnerin von Ashrafiyeh
Für die Bevölkerung hat das Konsequenzen im Alltag: „Wir müssen manchmal eine Viertelstunde warten. Es gibt Stau an den Checkpoints, weil nur zwei Straßen offen sind“, sagt Zeinab Heidar, eine 34-jährige Kurdin, die seit sieben Jahren in Ashrafiyeh lebt. „Aber die Viertel sind sicherer als andere Teile Aleppos.“ Sie fühle sich durch die Anwesenheit der kurdischen Polizei und des Militärs beschützt, etwa vor Anschlägen. Und auch in ihrer Freiheit: „Wir können nachts frei rumlaufen, im Sommer kurze Kleidung anziehen.“
Etwa zwei Millionen Kurd*innen leben in Syrien, 5 bis 10 Prozent der Bevölkerung. Unter Assad waren die Kurd*innen marginalisiert, teils staatenlos. Auch die kurdische Sprache wurde nie offiziell anerkannt. Die Kurden gelten oft als liberaler als die arabische Mehrheit. In den kurdischen Vierteln Aleppo sorgen sich so einige Menschen vor der neuen Regierung. Zwar garantiert das Abkommen zwischen SDF und Übergangsregierung ihnen Freiheit, doch der islamistische Hintergrund der neuen Machthaber schreckt manche.
Bisher fühlt sich Zeinab Heidar in ihrem Viertel Ashrafiyeh sehr sicher. In enger Jeans und weißem Pullover läuft sie mit schnellen Schritten durch die staubigen Straßen, die braunen Haare hochgesteckt. Ihre elegante Erscheinung scheint kaum zur Umgebung – den zerstörten Gebäuden, dem Müll an den Straßenrändern – zu passen. Sie zeigt auf eine Reihe von Wohnhäusern, die cremefarbenen Ziegel sind mit Einschüssen durchlöchert.
Zu Fuß über den Checkpoint in das andere Aleppo
Zuerst kam der Krieg nach Aleppo und dann das Erdbeben, im Jahr 2023. Viele Einwohner*innen bauten ihre Häuser nach beiden Ereignissen nicht wieder auf. Ihnen fehle das Geld, sagt Heidar. Aus dem Viertel Ashrafiyeh etwa seien viele ausgewandert, auch ins Ausland. Heidar ist Anwältin, und findet doch selbst gerade kaum Arbeit. Sie wünscht sich, „dass die Menschen zurückkommen, ihr Zuhause wieder aufbauen“. Und Sicherheit für alle Kurd*innen in Syrien.
Wer Ashrafiyeh wieder verlassen will, durchläuft dasselbe Prozedere wie auf dem Weg hinein: Der Taxifahrer hält vor dem Checkpoint. Zu Fuß geht es hindurch, auf die anderen Seite, in das andere Aleppo.
Eine Anfrage der taz an die SDF, wie lange noch kurdische Streitkräfte in den beiden Vierteln verbleiben werden, bleibt bislang unbeantwortet. Am Tag der Recherche dieses Textes gab die staatliche Nachrichtenagentur Sana bekannt: Ein zweites Kontingent von SDF-Kräften habe Ashrafiyeh und Scheich Maqsoud verlassen.
Mitarbeit: Lisa Schneider