Diamond League: Kugelstoß-Olympiasiegerin Ogunleye zieht Saisonbilanz | ABC-Z
„Ich realisiere, ich bin bei den Großen dabei“, sagt Yemisi Ogunleye beim staunenden Blick ins König-Baudouin-Stadion. Hier springt Armand Duplantis, der schwedische Überflieger mit dem Stab, dort Jaroslawa Mahutschich, die ukrainische Hochsprung-Ikone. Später rennt Jakob Ingebrigtsen, das norwegische Laufwunder. Es ist das Diamond-League-Finale der Leichtathletik: 32 Disziplinen an zwei Abenden, nur Topleute am Start. „Und dann merke ich: Du bist selbst eine der Besten der Besten.“
Die Kugelstoßerin aus Germersheim in der Pfalz wird noch immer als „die überraschende Olympiasiegerin“ angekündigt – auch an diesem Freitagabend. Und die 25-Jährige von der MTG Mannheim empfindet es selbst noch als „unglaublich, was in dieser Saison passiert ist“.
Glasgow, Rom, Paris lauten die Eckdaten ihrer erstaunlichen Reise im nun abgelaufenen Wettkampfjahres: „Ich gehe aus dieser Saison mit drei Medaillen aus allen Höhepunkten, die ich bestritten habe.“ Plus Bonus zum Finale. Bei der Hallen-WM in Glasgow Anfang März gelang ihr mit 20,19 Metern der Durchbruch in die internationale Spitze und Platz zwei. Im Juni in Rom legte sie bei den Europmeisterschaften eine Bronzemedaille nach, ehe ihr im August mit glatten 20 Metern in Paris der größtmögliche Erfolg gelang: Olympia-Gold.
Und auch der Abstecher nach Brüssel hat sich für die Kugelstoßerin noch einmal gelohnt. Vor 37.000 Zuschauern im gut gefüllten Stadion unweit des ikonischen Atomiums gelingen ihr im dritten Versuch 19,72 Meter – Rang drei und 7000 Dollar (6315 Euro) Prämie im glänzend besetzten Saisonfinale, an dem nur die besten sechs Kugelstoßerinnen des Jahres teilnehmen durften.
Den mit 30.000 Dollar (27.065 Euro), einem Diamanten und einer Wildcard für die WM 2025 in Tokio dotierten Sieg sichert sich die kanadische Hallen-Weltmeisterin Sarah Mitton mit 20,25 Metern vor Freiluft-Weltmeisterin Chase Jackson aus den USA (19,90).
„Was ich machen darf, ist ein Privileg“
Selten leuchten die Stars der Leichtathletik mit so viel gemeinsamer Strahlkraft in so kurzer Zeit wie beim Finale der Diamond League. 16 Entscheidungen fallen am Freitagabend innerhalb von zweieinhalb Stunden – weitere 16 werden am Samstag folgen.
Es gibt keine Vorkämpfe, keine Längen, es knallt an allen Ecken des Stadions. Jeder Moment bringt einen weiteren Champion hervor. Insgesamt 82 Medaillengewinner von Paris sind beim Kampf um die Diamanten gemeldet. Und Yemisi Ogunleye ist mittendrin, deren Augen strahlen, als wäre sie selbst ein Stern. Und die eine besondere Energiequelle für sich zu nutzen weiß.
Aus ihrem Glauben an Gott zieht die junge Sportlerin die Kraft, zu wissen, „dass ich am richtigen Ort zur richtigen Zeit bin“. Dieses Vertrauen gebe ihr auch Selbstvertrauen im Wettkampf wie im Leben außerhalb des Stadions: „Ich bin genug, so wie ich bin.“
Yemisi Ogunleye ist eine von nur zwei deutschen Starterinnen an diesem Freitag im Diamond-League-Finale. Kristin Pudenz ist die andere, die sich für Brüssel qualifiziert hat, belegt mit 57,74 Metern beim Sieg von Olympiasiegerin Valarie Allman aber nur den sechsten und letzten Platz im Diskuswerfen.
Gemeinsam mit ihrer Trainerin Iris Manke-Reimers, mit der sie seit zehn Jahren ein unzertrennliches Duo bildet und der sie absolut vertraut, hat Yemisi Ogunleye die Reise in die europäische Metropole angetreten. „Was ich machen darf, ist ein Privileg“, sagt sie: „Nicht jede hat diese Chance dazu. Viele würden gerne mit mir tauschen.“ Aus diesem Bewusstein heraus „denke ich immer daran, dankbar zu sein, für das was ich habe und jeden Moment zu genießen, und mich daran zu erfreuen, was mir Gott geschenkt hat“.
Im Wettkampf selbst ist sie ganz bei sich. Da geht es ihr nur darum, „die Kugel weit zu stoßen“. Dann verschwendet sie keinen Gedanken daran, dass direkt hinter ihr der Star Duplantis zum Stabhochspringen anläuft – und diesmal zwar keinen weiteren neuen Weltrekord, aber mit 6,11 Metern immerhin einen Stadionrekord aufstellt. oder das gegenüber Jaroslawa Mahutschich einmal mehr im Hochspriung gewinnt.
Zu Hause ist das anders: „Wenn ich vor dem Fernsehen sitze und Diamond League schaue bei Meetings, bei denen ich selbst nicht starte, bin ich erstaunt, was für Leistungen die Stars bringen“, sagt sie lachend: „Und nun bin ich wieder ganz erstaunt, dass ich selbst dazu gehöre.“
Yemisi Ogunleye hat ein für sie herausragendes Jahr mit einem sehr guten Resultat abgeschlossen. Sie wird nun nach Spanien in Urlaub fahren, am Strand die Ruhe genießen und die Saison verarbeiten. Nach dem Finale sagt sie: „Mein Glaube kann wirklich Berge versetzen.“ Und sie gibt sich überzeugt: „Er wird mich genauso weiterhin tragen.“
Nur einen ganz besonderen Gedanken trägt sie noch mit sich, der aus ihrer persönlichen Leidenschaft für Musik entspricht. „Mein Wunsch wäre, dass der Gottesdienst so gefüllt wäre wie hier das Stadion.“ Yemisi Ogunleye geht jeden Sonntag in die Kirche, und „ein Gospelkonzert in so einem Stadion – oder ein Gottesdienst mit so vielen Menschen, die aus einem Grund kommen, der Liebe zu Jesus, das wäre mein allergrößter Wunsch“. Und am Schönsten wäre es, wenn sie dabei singen dürfte.