Wirtschaft

Der Standort Deutschland wankt: “Man muss die Staatsform nicht mögen, aber China hat verstanden” | ABC-Z

Bei den Landtagswahlen in Ostdeutschland wählen die Menschen stellvertretend die Ampel ab. Bei VW steht erstmals in der Geschichte eine Werkschließung in Deutschland im Raum. In Dresden stürzt ohne Vorwarnung eine Brücke ein. Steht sie sinnbildlich für den fragilen Zustand der Bundesrepublik? “VW ist ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn Akteure oder Branchen die Zukunftsentwicklung verschlafen”, sagt David Wortmann. Dennoch blickt der Unternehmensberater und Investor im “Klima-Labor” von ntv optimistisch in die Zukunft. “Es gibt eine gewisse Asymmetrie zwischen der Wahrnehmung und den Fakten”, sagt Wortmann. Er ruft dazu auf, den deutschen “Angstblick” abzulegen und die deutsche Wirtschaft breiter aufzustellen: “Wir haben nach wie vor große Expertise und eine starke Forschungslandschaft.”

ntv.de: Wie steht’s um den Standort Deutschland?

David Wortmann: Die Botschaft, die aktuell hängenbleibt, ist: Deutschland steht am Abgrund. Der Brückeneinsturz in Dresden, die Probleme bei VW. Dazu kommen große Krisen wie der Klimaschutz. Aber ich bin Optimist, vielleicht sogar Zweckoptimist. Sich mit diesen Dingen nicht zu beschäftigen, kostet sehr viel mehr Geld. Eigentlich passiert auch ziemlich viel. Es gibt weltweit viele optimistische Signale. Insofern gucke ich positiv in die Zukunft.

David Wortmann war von 2001 bis 2005 wissenschaftlicher Mitarbeiter von SPD-Politiker Hermann Scheer, dem Kopf der Energiewende. Danach gründete er ein Solarunternehmen, heute berät er mit seiner Firma DWR Eco andere Unternehmen im Bereich “Grünes Wachstum” und investiert als Wagniskapitalgeber auch in diese.

(Foto: picture alliance /)

Die meisten Menschen sagen in Umfragen etwas anderes, sie haben eher Verlustängste.

Es gibt eine gewisse Asymmetrie zwischen der Wahrnehmung der Menschen und den Fakten, etwa bei den erneuerbaren Energien. Es hieß lange, und teilweise heute noch, dass das eine teure Art der Energieversorgung ist. Das ist nicht der Fall. Windenergie oder Solarenergie sind selbst in einem Land wie Deutschland, das weder super sonnenreich noch super windreich ist, die günstigste Art der Stromerzeugung. Dennoch haben die Menschen teilweise das Gefühl, dass der Strom zu teuer ist, weil der eine oder andere Populist immer noch versucht, damit Politik zu betreiben.

Aber das ist doch nicht der Grund, warum VW die erste Werkschließung in Deutschland prüft. VW ist auch kein Einzelfall, in vielen großen Unternehmen sind gut bezahlte Industriejobs gefährdet.

VW ist ein gutes Beispiel dafür, was passiert, wenn einzelne Akteure oder Branchen die Zukunftsentwicklung verschlafen. Man muss die Staatsform Chinas nicht mögen, aber China hat verstanden, dass es stark und konsequent in den Ausbau der erneuerbaren Energien und der Elektromobilität investieren muss. Auch von Elon Musk kann man halten, was man will. Trotzdem hat er mit Tesla einen neuen Markt und ein erfolgreiches Unternehmen geschaffen.

Ist es nicht gerade der schlechte Absatz von Elektroautos, der VW zu schaffen macht?

Hersteller wie Tesla sind im hochpreisigen Segment gestartet. Der Roadster oder das Model S waren für Kunden mit einer größeren Zahlungsbereitschaft gedacht. Darüber ist man in die Massenfertigung eingestiegen. VW arbeitet eher im niedrigen Preissegment. Dem Unternehmen ist es schwergefallen, dort ebenfalls ein attraktives Angebot zu machen, weil E-Autos aktuell verhältnismäßig teuer sind und nicht ganz ins Portfolio von Volkswagen passen.

VW ist selbst schuld?

Das wäre wahrscheinlich zu einfach. Alle Autohersteller und auch die Gesellschaft haben diskutiert, was der Treibstoff der Zukunft ist. Erst war es der umweltfreundliche Diesel, dann waren es E-Fuels oder Wasserstoff. Das hat die Konsumenten verwirrt. Welches Auto soll ich mir denn jetzt kaufen? Das war ein großes Durcheinander.

Und was machen wir jetzt mit VW? Schließen wir deutsche Werke, entlassen wir Mitarbeiter oder setzen wir auf die Vier-Tage-Woche, die wir uns eigentlich auch nicht leisten können?

Ich sitze nicht im Vorstand von VW, würde aber konsequent in neue Antriebstechnologien investieren. Das kann natürlich bedeuten, dass das eine oder andere Werk, das auf alte Technologien setzt, geschlossen werden muss.

Aber an diesem Punkt waren wir doch schon: Herbert Diess, der Vorgänger von Oliver Blume an der Spitze von VW, ist mit seiner konsequenten E-Auto-Strategie gescheitert, auch an den Gewerkschaften.

Wahrscheinlich hätte diese Strategie wirklich konsequent fortgeführt werden müssen, selbst Diess war im Vergleich ja relativ spät dran. Dann würde Volkswagen heute woanders stehen. Aber das ist verschüttete Milch. Diese Transformation, also die Veränderung von A nach B und zu hoffentlich etwas Besserem, wird immer noch stattfinden, jetzt allerdings mit größeren Verwerfungen: Wahrscheinlich muss zeitweilig Personal abgebaut werden, um in die neue Sparte investieren zu können.

Wenn man sich die Aussagen von VW-Chef Blume anhört, sind die Probleme aber nicht mit einem bezahlbaren E-Auto gelöst. Irgendetwas scheint generell schief zu laufen. BMW und Daimler geht’s nur unwesentlich besser.

Die Bundesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, Deutschland in die Zukunft zu führen. Leider sind in der Ampel-Koalition nicht immer ganz konfliktarm verschiedene politische Vorstellungen aufeinandergetroffen, wie das passieren soll. Das ist die große Frage unserer Zeit. In den USA hat man sich mit dem Inflation Reduction Act für einen großen Wurf entschieden. Die unterstützen Zukunftstechnologien mit milliardenschweren Subventionen. Die Chinesen haben eine ganz andere Herangehensweise und Kostenstruktur. Dafür muss sich Europa etwas einfallen lassen.

Herbert Diess gibt der Ampel eine Mitschuld an den Problemen von VW. Er beklagt das Fehlen klarer Linien. Sie auch?

Absolut. Die Menschen brauchen Leitlinien, Inspiration, Motivation und Kommunikation. Aber dieses Dreierteam hat keine gemeinsame Sprache gefunden. Der Bundeskanzler ist auch nicht als großer Kommunikator bekannt. Politik bedeutet meines Erachtens auch, dass man nicht immer das umsetzt, was gewünscht, sondern richtig ist. Das können Dinge sein, die punktuell schmerzhaft sind, einen Umbau bedeuten, aber das Land insgesamt in eine bessere Zukunft führen. Die Art von Führung fehlt in der Politik. In Teilen ist die Wirtschaft inzwischen weiter.

Wo zum Beispiel?

Die Stahlindustrie steht als Branche unter sehr hohem Wettbewerbsdruck, gerade auch durch China. Die Kosten, den Sektor zu dekarbonisieren und Stahl mit weniger CO2 herzustellen, sind unglaublich hoch. Aber gerade die sagen: Wir wollen in Zukunft grünen Stahl herstellen, auch am Standort Deutschland.

Wo finde ich das Klima-Labor?

Das “Klima-Labor” können Sie bei ntv.de lesen oder sich bei RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify und auch über den RSS-Feed anhören.

Sie haben Fragen an uns? Schreiben Sie eine E-Mail an podcasts@ntv.de oder nehmen Sie Kontakt zu Clara Pfeffer und Christian Herrmann auf.

Wir möchten die Stahlindustrie nicht kleinreden, aber die wird nicht darüber entscheiden, ob Deutschland in 15 Jahren ein gesunder Wirtschaftsstandort ist. Das steht und fällt mit Weltmarken wie VW. Befürchten Sie nicht, dass Länder wie China uns längst abgehängt haben, ehe wir die richtige Strategie für die Zukunft finden?

Die Automobilindustrie ist prägend für Deutschland, aber vielleicht sollten wir lernen, uns breiter aufzustellen, diesen Angstblick abzulegen und auf Industrien setzen, wo wir ebenfalls wettbewerbsfähig sind.

Welche sind das?

Hinter den erneuerbaren Energien steht eine sehr breite Industrie. Im Bereich Elektrolyse und grüner Wasserstoff haben wir derzeit in Europa auch einen komparativen Wettbewerbsvorteil.

Der grüne Wasserstoff steckt aber auch noch in den Kinderschuhen …

Deswegen sollte man diese Branche auch nicht vernachlässigen. Dem grünen Wasserstoff steht eine große Zukunft offen. Auch in anderen Wertschöpfungsketten der Elektromobilität, wie der Ladeinfrastruktur, können wir eine gute und größere Rolle spielen. Wir haben nach wie vor große Expertise und eine starke Forschungslandschaft im Bereich der erneuerbaren Energien, auch wenn die Versuche, die deutsche Solarindustrie wiederzubeleben, gescheitert sind. Ich bleibe optimistisch, denn jetzt den Kopf in den Sand zu stecken, bringt nichts.

Mit David Wortmann sprachen Clara Pfeffer und Christian Herrmann. Das Gespräch wurde zur besseren Verständlichkeit gekürzt und geglättet. Das komplette Gespräch können Sie sich im Podcast “Klima-Labor” anhören.

Klima-Labor von ntv

Was hilft wirklich gegen den Klimawandel? Das “Klima-Labor” ist der ntv-Podcast, in dem Clara Pfeffer und Christian Herrmann Ideen, Lösungen und Behauptungen auf Herz und Nieren prüfen. Ist Deutschland ein Strombettler? Vernichtet die Energiewende Industrie & Arbeitsplätze? Warum erwarten so viele Menschen ihren ökonomischen Abstieg? Warum sind immer die Grünen schuld? Sind Seeadler wirklich wichtiger als Windräder? Kann uns Kernkraft retten?

Das Klima-Labor von ntv: Jeden Donnerstag eine halbe Stunde, die informiert, Spaß macht und aufräumt. Bei ntv und überall, wo es Podcasts gibt: RTL+, Amazon Music, Apple Podcasts, Spotify, RSS-Feed

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