Darmstadt: Forscherin entwickelt neue Roboter-Generation | ABC-Z

Tiago ist höchst gelenkig. Er kann hoch- und runterfahren, sich drehen, sich seitlich oder auch nach vorne oder rückwärts bewegen. Und das alles gleichzeitig, wenn nötig. Jetzt gerade soll der weiße Roboter eine Küchentür öffnen. Im Labor der Robotikforscherin Georgia Chalvatzaki an der TU Darmstadt hat ihr Team eine komplette Küchenzeile aufgebaut – mit Herd, Spüle, Schränken und Kochutensilien. All das soll der Roboter einmal greifen und bedienen können.
Per Fernsteuerung dirigiert eine Doktorandin den Greifarm Tiagos in Richtung des rechteckigen Griffs, der leuchtstiftrosa an der Küchentür prangt. Computer analysieren jede Bewegung, die eine Kamera und Sensoren festhalten. So werden Daten für das komplexe System gesammelt, das schon für eine scheinbar so einfache Greifbewegung erforderlich ist.
Noch kann Tiago nicht so in der Küche hantieren wie ein Mensch. „Doch irgendwann wird es einmal so sein, wie wir es vielleicht in Filmen gesehen haben“, sagt Georgia Chalvatzaki und lacht. „Dann putzt der Roboter oder erledigt den Abwasch, während wir ein Buch lesen, mehr Zeit für die Familie oder Freizeit haben.“ Ideen für autonom fahrende Autos habe es schon vor Jahrzehnten gegeben. Heute seien sie Realität. Roboter, die sanft mit dem Menschen umgehen und in Echtzeit lernen, werden ebenfalls noch jahrelange Entwicklungszeit erfordern, aber genau daran forscht die gebürtige Griechin, die seit 2023 Professorin für interaktive Roboterwahrnehmung und Lernen am Fachbereich Informatik der TU Darmstadt ist.
Roboter sollen Lücken im Gesundheitswesen schließen
Die 37 Jahre alte Wissenschaftlerin betrachtet Roboter, Menschen und ihre Umwelt als ein integriertes System. Sie und ihr Team wollen Roboter entwickeln, die aus Erfahrung und aus der Interaktion mit dem Menschen und der Umgebung lernen und ihr Verhalten kontinuierlich anpassen können. Chalvatzaki sieht die Maschinen dabei nicht als Ersatz für Menschen, sondern als ihre Partner. Sie stellt sich „Home-Roboter“ vor, die Hausarbeiten übernehmen, bei der Pflege älterer oder kranker Menschen helfen und so Lücken im gesellschaftlichen Leben und Gesundheitswesen füllen könnten, die in Zukunft immer größer werden. Für ihre vielversprechenden Bemühungen, dieses Ziel zu erreichen, hat sie kürzlich den mit 1,1 Millionen Euro dotierten Alfried-Krupp-Förderpreis erhalten.
Schon ihre Promotion hat die Forscherin, die in Athen Elektro- und Computertechnik studiert hat, 2019 über menschenzentrierte Ansätze in der Assistenzrobotik geschrieben. Kontakte unterhielt sie dafür unter anderem zu Kliniken in Deutschland und Heidelberg, mit denen sie bei der Entwicklung eines Roboterrollators zusammenarbeitete. „Mich haben damals viele ältere Menschen gefragt, ob ihnen der Roboter jetzt auch ihre Medizin oder das Essen bringen kann.“
Für sie Ansporn, weiter in dieser Richtung zu forschen. Als Postdoc kam sie an die TU Darmstadt, weil sie unbedingt mit Jan Peters zusammenarbeiten wollte. Der Professor ist Experte für autonome Robotik und verstärkendes, auf einem Belohnungssystem basierendes Lernen. Dieses Verfahren wendet Chalvatzaki auch in ihrer eigenen Forschung an.
Objekte erkennen und ihre Funktion verstehen
In ihrem Labor arbeitet sie mit 13 Doktoranden und Postdocs zusammen. Füttern wollen die Forscher das Robotergehirn mit Algorithmen, die nicht auf Millionen von Daten basieren wie andere KI-Anwendungen. Den Roboter von einem Menschen steuern zu lassen, der ihm jede Tätigkeit zuvor beibringt, ist dabei eine Lösung, aber eine sehr aufwendige, wie Chalvatzaki erklärt. Sie und ihr Team wollen deshalb Datenmuster finden, die es möglich machen, dass der Roboter eigenständig nach einer Tasse greift oder eine Tür öffnet. Dafür nutzen sie Simulationen und visuelle Daten. Eingeführt haben sie etwa geometriebasierte Lernmethoden, die die Struktur des dreidimensionalen Raumes mit Positionsbestimmung und Orientierung in das Training integrieren. Ein Ziel ist, dass sich der Roboter in der 3D-Welt zurechtfindet, Objekte erkennt und ihre Funktion versteht.
Die Wissenschaftler wollen den Transfer zwischen simulierter und realer Welt ermöglichen. Dafür lassen sie den Roboter Handlungen ausprobieren, durch Erfahrung und Korrekturen lernen. Sie arbeiten in ihre Modelle zum Beispiel das Wissen ein, dass für das Öffnen einer Kaffeekanne rotierende Handbewegungen nötig sind. Daten, die sie dann auf andere Tätigkeiten übertragen. Dies ermöglicht dem Roboter präzise und flüssige Bewegungen.
Hinzukommen sollen dann Fähigkeiten wie Kochen, Putzen und pflegerische Arbeiten sowie an Menschen angepasste Geschwindigkeit und sanfte Interaktion. „Das ist der große Unterschied zu Industrierobotern, die nach vorgegebenen Abläufen agieren“, sagt Chalvatzaki, die für ihre Arbeit zahlreiche Auszeichnungen wie die Aufnahme ins Emmy-Noether-Programm der Deutschen Forschungsgemeinschaft erhalten hat.
Sie ist sicher, dass Roboter künftig Teil der Gesellschaft werden, hilfreiche Partner und Ergänzung für den Alltag, um nicht nur alten oder kranken Menschen Unabhängigkeit und Mobilität zu geben. Dafür müssten sie auf jeden Fall zuverlässig sein – etwa, wenn es um die tägliche Medikamentenausgabe geht. In naher Zukunft will sie Kontakte zu Pflegeorganisationen und Kliniken aufbauen, um sie als Partner zu gewinnen und mehr darüber zu hören, wo ein Bedarf für Roboter besteht.
Die Professorin glaubt, dass der erste Prototyp eines Home-Roboters vielleicht in zehn bis 15 Jahren auf dem Markt kommen könnte. Wie ein Mensch müsse er nicht unbedingt aussehen, findet sie. Roboter sollten intelligente Maschinen bleiben – auch optisch. Das Potential ist in jedem Fall groß. In Europa sind schon Entwicklungen im Einsatz, an denen Chalvatzaki und ihr Team mitgearbeitet haben. Roboter arbeiten als Regaleinräumer in Supermärkten, im Koffermanagement an Fraport-Flughäfen in Griechenland oder in der englischen Landwirtschaft, wo sie beim Eintopfen von Pflanzen eingesetzt werden, wie Chalvatzaki berichtet. „Das läuft bereits erfolgreich.“





















