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Christen in Syrien: “Wir können uns auf nichts verlassen” | ABC-Z

Stand: 23.12.2025 03:21 Uhr

Im Jahr 2011 lebten in Syrien rund 1,5 Millionen Christen. Jetzt, nach dem Krieg, sind es noch etwa 300.000. Viele von ihnen misstrauen der neuen Regierung – andere suchen Zuversicht in ihrem Glauben.

Die griechisch-orthodoxe Mar-Elias-Kirche steht im Altstadtviertel Bab-Touma der syrischen Hauptstadt Damaskus. Hier leben vorwiegend christliche Syrerinnen und Syrer. Straßenzüge, Cafés und Geschäfte sind mit grünen Tannen und allerlei Glitzer weihnachtlich geschmückt.

Priester Petros al-Bischara steht ernst zwischen den Kirchenbänken und seine Gedanken wandern immer wieder zurück zu diesem blutigen Tag im Juni 2025. Er hält damals gerade einen Gottesdienst, als sich ein Attentäter in die Luft sprengt. “Ich habe diesen Gottesdienst geleitet, und durch die Explosion stürzte der Altar auf mich.”

25 Menschen sterben und etwa 60 werden verletzt. Priester Petros überlebt wie durch ein Wunder und auch Gottesdienstbesucherin Abeer Hanna kommt mit dem Leben davon. Als die Bombe explodiert, verliert sie das Bewusstsein. Als sie es wiedererlangt, hält sie die Augen noch eine Weile geschlossen.  

“Als ich meine Augen aufmachte, sah ich die Leichen um mich herum, und dass die ganze Kirche in Trümmern lag. In diesem Moment habe ich mir gewünscht, ich wäre nicht mehr aufgewacht.”

Skepsis gegenüber der Übergangsregierung

Das Attentat in der griechisch-orthodoxen Mar-Elias-Kirche ist das erste dieser Dimension nach dem Sturz des syrischen Diktators Baschar al-Assad Anfang Dezember 2024 und dem Ende des brutalen Bürgerkriegs. Die syrische Übergangsregierung schreibt die Tat später dem sogenannten Islamischen Staat zu. Gleichzeitig proklamiert eine Extremistengruppe den Anschlag für sich.

Nicht nur die christliche Minderheit ist alarmiert. Im komplizierten Gefüge des Vielvölkerstaates Syrien misstrauen auch Drusen, Alawiten oder Schiiten der Übergangsregierung von Ahmad al-Scharaa, zumal auch Massaker an Alawiten und Drusen stattfanden.

Die Übergangsregierung hat allen religiösen und ethnischen Minderheiten Toleranz und Sicherheit zugesichert, doch Priester Petros al-Bischara bleibt skeptisch. Die Menschen seien angespannt, beschreibt er die Seelenlage seiner Gemeinde. Grund seien fehlende Sicherheit und Instabilität: “Es gibt eine sehr große materielle Not und Armut. Es ist alles sehr teuer geworden. Die Menschen versuchen, irgendwie durchzukommen.”

“Die Extremisten sind präsent”

1,5 Millionen Christinnen und Christen lebten 2011 in Syrien, die meisten im Nordosten des Landes, in Aleppo, Homs, Hama, Latakia oder Damaskus. Hunderttausende wurden durch den Krieg vertrieben und entwurzelt, und rund 120 Kirchen und Gebetsorte sind zerstört. Rund 300.000 Christen sind schätzungsweise geblieben und sie machen inzwischen nur noch knapp drei Prozent der syrischen Bevölkerung aus.

Ihre Lage ist ein untrügliches Barometer für Toleranz und Sicherheit im Land. Petros al-Bischara gehört zum griechisch-orthodoxen Patriarchat von Antiochien. Seine Haltung gegenüber der Übergangsregierung formuliert er zurückhaltend: “Das Problem ist das Chaos. Die Extremisten sind präsent. Der Staat versucht, uns das Gefühl zu geben, dass er an unserer Seite ist. Aber in Wirklichkeit gibt es nichts Klares.”

Der Glaube gibt Zuversicht

Er verspüre weder Angst noch Anspannung, versichert hingegen Elias Abboud. Der syrische Christ spaziert gerade durch das Stadtviertel Bab-Touma in Damaskus. Jesus Christus sei schließlich auferstanden und der Tod beeinflusse Christen nicht. “Die Mar-Elias-Kirche wurde zerstört, wir haben sie wiederaufgebaut. Das Gefühl des Glaubens überdeckt bei weitem die Angst.”

Nur wenige Gemeindemitglieder seien nach dem Trauma des Anschlags nicht wieder in die Mar-Elias-Kirche zurückgekehrt, so Priester Petros al- Bischara, doch in ganz Syrien müssten Christinnen und Christen mit der Unsicherheit leben, wie es weitergeht. “Wir haben noch keinen festen Boden unter den Füßen. Es gibt keine klaren Verhältnisse für uns, und alle denken ans Auswandern.”

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