Wie Trump Amerika verändert hat: “Alle haben Angst – die USA sind zu einer Oligarchen-Wirtschaft verkommen” | ABC-Z

Wie Trump Amerika verändert hat“Alle haben Angst – die USA sind zu einer Oligarchen-Wirtschaft verkommen”
22.12.2025, 17:06 Uhr
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Donald Trump ist noch nicht einmal ein Jahr im Amt und hat die USA bereits radikal verändert. Explodierende Preise, allgegenwärtige Angst vor Repressionen und eine zunehmende Machtkonzentration zwischen Politik und Großkonzernen: Die Finanzmarktexpertin und Wahl-New-Yorkerin Sandra Navidi zieht im Gespräch mit ntv.de eine schonungslose Bilanz. Der Zukunft der USA sieht sie mit Sorge entgegen. “Ich halte es nicht mehr für ausgemacht, dass wir künftig noch freie Wahlen sehen werden”, warnt die Juristin. Trump zerstöre “in Rekordzeit die Grundfesten der Vereinigten Staaten: Demokratie, gesellschaftlichen Zusammenhalt und wirtschaftliche Stabilität”.
ntv.de: Wie fühlt sich Amerika knapp ein Jahr nach Donald Trumps Rückkehr ins Weiße Haus an?
Sandra Navidi: In New York bekommt man von den Veränderungen insgesamt weniger mit. In Städten wie Los Angeles oder Chicago ist das anders: Menschen in hispanisch geprägten Vierteln trauen sich kaum noch auf die Straße. Aber auch bei mir in Manhattan ist die Stimmung miserabel. Alle haben Angst. Juristen wie ich fürchten um das Rechtssystem, Ärzte um den Zusammenbruch des Gesundheitssystems und Wissenschaftler um die Zukunft der Forschung. Eltern haben Angst, dass ihre Kinder wegen alter Social-Media-Beiträge in Schwierigkeiten geraten könnten. Der Sohn eines Freundes hat seinen Studienplatz in Harvard verloren, weil der Universität Bundesmittel entzogen wurden. Selbst Banker an der Wall Street sind inzwischen genervt. Deregulierung und Steuersenkungen fanden sie gut, aber Trumps Unberechenbarkeit, seine wirtschaftspolitischen Alleingänge und seine undemokratischen Tendenzen machen auch ihnen Angst.
Wie sehr spüren die Amerikaner Trumps Wirtschaftspolitik inzwischen im Portemonnaie – beim Einkaufen und bei den Lebenshaltungskosten?
Der Preisanstieg ist schockierend. Mein Folgers-Kaffee kostete jahrelang etwa 12 Dollar pro Dose. Dann 15 und zuletzt 28 Dollar. Milka-Schokolade ist rund ein Drittel teurer geworden und ein Stück Käse, das so groß ist wie ein Seifenstück, kostet mittlerweile 15 Dollar. Gleichzeitig explodieren die Wohnkosten. Krankenversicherungen sind für viele kaum noch bezahlbar. Für Familien mit Kindern ist das verheerend. Entsprechend katastrophal ist die Verbraucherstimmung.
Sehen Sie in Ihrem direkten Umfeld Gewinner und Verlierer von Trumps Politik?
Manhattan ist zwar nicht repräsentativ. Es ist Finanzzentrum und Touristenmagnet, überall wird gebaut. Aber auch hier wird es schwieriger. Das Leben hier können sich fast nur noch sogenannte Knowledge Worker leisten, also Akademiker aus der Finanzwelt, aus dem Rechtssystem, aus der Medizin- oder Tech-Branche oder anderen großen Konzernen. Bei neuen Mietverträgen in Manhattan entspricht die Medianmiete bis zu 60 Prozent eines typischen Haushaltseinkommens. Die teuren Business-Restaurants sind weiterhin voll, aber die normalen Lokale – selbst bei mir an der Upper East Side – spüren den wirtschaftlichen Rückgang. Bei meinem Stamm-Feinkosthändler stand man früher Schlange. Inzwischen sind oft mehr Angestellte als Kunden anwesend. In äußeren Stadtteilen wie Brooklyn, Queens oder der Bronx treffen die steigenden Preise die Menschen aber viel härter. Dort sind auch die Hochburgen der politischen Gegenbewegung.
Wie hat sich die Unternehmenslandschaft in den vergangenen elf Monaten verändert?
Es herrscht Unsicherheit. Unternehmen können nicht mehr langfristig planen und halten Investitionen zurück. Viele haben Stellen abgebaut oder Entlassungen für 2026 angekündigt. Insgesamt sind mehr als eine Million Arbeitsplätze betroffen. Trumps zentrales Versprechen, durch Zölle Industrieproduktion zurückzuholen, hat sich nicht erfüllt. Das verarbeitende Gewerbe ist seit neun Monaten rückläufig.
Trumps protektionistische Politik hat aber nicht nur Verlierer. Welche Branchen profitieren – und wer gerät besonders unter Druck?
Profiteure sind vor allem die Stahl- und Aluminiumindustrie, Teile der Autoindustrie, bestimmte Maschinenbauer sowie Energie- und Rohstoffunternehmen. Unter Druck stehen dagegen alle Branchen, die auf Vorprodukte angewiesen sind: Elektronik, Automobilindustrie, Maschinenbau. Die Zölle wirken dort wie eine zusätzliche Steuer.
Was bedeutet diese Entwicklung für den Arbeitsmarkt – steuern die USA auf eine dauerhaft gespaltene Wirtschaft zu?
Was wir in den USA sehen, ist eine Wirtschaft in K-Form. Das obere Bein des K steht für die wohlhabendsten zehn Prozent der Bevölkerung. Die stemmen rund die Hälfte des Konsums. Branchen, die von dieser Gruppe leben, laufen stabil. Das sind beispielsweise Freizeit, Hotellerie, Bildung und Gesundheitswesen. Das andere Bein des K zeigt hingegen nach unten. Kleine und mittlere Unternehmen stellen in den USA etwa die Hälfte aller Arbeitsplätze. Die haben in den vergangenen Monaten massiv Stellen abgebaut, sind also besonders hart von der Zollpolitik betroffen. Denn anders als die großen Konzerne haben sie keine Abteilungen, um Lieferketten und Zölle zu managen. Wenn auf eine Bestellung von 100.000 Dollar plötzlich noch einmal 145.000 Dollar Zölle hinzukommen, ist das existenzbedrohend. Über diese Pleiten wird oft nur in lokalen Medien berichtet.
Kritiker werfen Trump und der reichen Elite, mit der er sich umgibt, vor, käuflich zu sein. Ist das übertrieben?
Die USA sind innerhalb weniger Monate zu einer klassischen Oligarchen-Wirtschaft verkommen. Elon Musk hat Trump das Amt mit fast 300 Millionen Dollar an Spenden faktisch erkauft. Tech-Investor Peter Thiel hat JD Vance ins Amt des Vizepräsidenten gehievt. Tech-Milliardäre besetzen Schlüsselpositionen. Trumps Umfeld ist ein Geflecht aus politischen Ämtern und persönlichen Geschäftsinteressen. Trumps Busenfreund Steve Witkoff ist für “Frieden” im Mittleren Osten und Russland zuständig und arbeitet nebenbei an Geschäftsdeals zur eigenen Bereicherung. Trumps Schwiegersohn Jared Kushner sitzt überall mit am Tisch, wo Geld zu verdienen ist. Trumps Strafzölle gelten für alle Unternehmen – bis auf diejenigen, die für Ausnahmen bezahlen. Zugang zum Präsidenten kann man kaufen: eine Million Dollar für ein Gruppendinner, fünf Millionen für ein persönliches Treffen. “Checks and Balances”, also demokratische Kontrollmechanismen, funktionieren nur noch eingeschränkt. Reiche und Mächtige unterwerfen sich Normen und Gesetzen, wenn es ihnen passt. Und wenn das Justizsystem sie erwischt – kein Problem. Auch Begnadigungen sind jetzt käuflich zu erwerben.
Wie hat Trumps Politik die Stimmung an der Wall Street verändert?
Die Selbstzensur von Bankern und CEOs ist schockierend. Ein hochrangiger Analyst von JP Morgan sagte im Frühjahr öffentlich, er könne seinen Kunden seine wahren Sorgen nicht mitteilen – aus Angst vor Konsequenzen für das Unternehmen. Als der Chefökonom von Goldman Sachs eine negative Wirtschaftsprognose veröffentlichte, forderte Trump dessen Entlassung – zusammen mit der des CEOs. Viele meiner Gesprächspartner würden sich öffentlich niemals so äußern wie hinter verschlossenen Türen – aus Angst vor Repressionen. So etwas gab es in den USA noch nie.
Hinzu kam in diesem Jahr die Panik rund um den sogenannten Mar-a-Lago-Accord, der eine gezielte Schwächung des Dollars und einen Zwangsumtausch von Staatsanleihen in Papiere mit einer Laufzeit von 100 Jahren zu null Zinsen vorsah. Dieser Plan wurde zumindest bislang noch nicht umgesetzt. Allein die Idee hat an der Wall Street jedoch bereits für Schockwellen gesorgt.
Gleichzeitig sind die Börsenindizes zweistellig gestiegen. Wie passt das zur Nervosität in Politik und Realwirtschaft?
Die Märkte waren sehr volatil, aber sie haben sich auch an Trumps Zickzackkurs gewöhnt. Viele Zölle wurden angekündigt und wieder zurückgenommen – der sogenannte “Taco Trade”. Im Gegensatz zur Wirtschaft schlägt die Finanzindustrie aber aus dieser Volatilität auch viel Geld.
Politisch ist der Rückhalt stark geschrumpft. Selbst in Trumps eigenem Lager wächst der Widerstand, auch weil viele Wähler finanziell nicht mehr über die Runden kommen. Aus Angst vor Trumps Zorn trauen sich aber nur wenige Abgeordnete zu widersprechen.
Trump hat den Amerikanern ein “goldenes Zeitalter” versprochen. Wie groß ist die Kluft zwischen dieser Erzählung und der wirtschaftlichen Realität?
Die Diskrepanz ist grotesk: Trump behauptet, die “Bezahlbarkeitskrise” (affordability crisis), die besagt, dass die Kosten für Güter und Dienstleistungen so stark gestiegen sind, dass sich viele Menschen kein angemessenes Leben mehr leisten können, sei eine Erfindung der Demokraten. Gleichzeitig sehen die Menschen aber ihre Rechnungen an der Supermarktkasse, ihre steigenden Krankenkassenbeiträge und die Zahl ihrer Freunde, denen gekündigt wurde. Trump verhält sich wie jemand, der mit allen Mitteln an der Macht bleiben möchte, obwohl er keine dritte Amtszeit bekleiden darf. Das Wahlsystem wird seit Jahren untergraben, und gleichzeitig droht er mit dem Einsatz des Militärs im Inneren.
Schauen wir nach vorn: Was bedeutet das Jahr 2025 für die Zukunft der USA?
Ich halte es nicht mehr für ausgemacht, dass wir künftig noch freie Wahlen erleben werden. Donald Trump zerstört in Rekordzeit die Grundfesten der Vereinigten Staaten: Demokratie, gesellschaftlichen Zusammenhalt und wirtschaftliche Stabilität. Profiteure sind jene, die dieses System befeuern – allen voran er selbst. Für Europa ist das eine Warnung, aber auch eine Chance. Es zwingt Europa, endlich auf eigenen Beinen zu stehen – politisch, wirtschaftlich, militärisch und technologisch. Ich glaube an Europa. Aber es muss jetzt dringend handeln, wenn es seine Zukunft selbst schreiben will.
Mit Sandra Navidi sprach Diana Dittmer





















