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Wie Yanni Gentsch dafür kämpft, dass Voyeur-Aufnahmen strafbar werden – Panorama | ABC-Z

Yanni Gentsch trägt große Ohrringe, beim Sprechen gestikuliert sie wild. Wenn sie lacht, drehen sich die Menschen zu ihr um. Sie spricht schnell, wählt ihre Worte aber gleichzeitig so sorgfältig aus, man könnte sie beinahe drucken. Fragt man sie nach ihrem Beruf, dann sagt sie: hauptberuflich Joggerin. Nein, natürlich ein Spaß, sie arbeite seit vielen Jahren in einer Werbeagentur, aber die Menschen kennen sie eben als Joggerin aus dem Park, die einen Voyeur zur Rede gestellt hat, deshalb sprechen sie sie auf der Straße oder im Klamottenladen an.

Es war nur ein kurzes Handy-Video, das Yanni Gentsch, 31, bekannt gemacht hat. Ein kurzes Video, das zum großen Thema wurde – weil sich viele darin selbst wiedererkannten. Der Name Yanni Gentsch steht für eine Reihe von Frauen, die sich Übergriffe nicht mehr gefallen lassen, die sich selbst ermächtigen und in die Offensive gehen. Und dabei an Grenzen stoßen.

Joggen geht Yanni Gentsch auch heute noch, aber im Kölner Grüngürtel war sie seit Februar nicht mehr laufen, wegen der Erinnerungen. Zehn Monate ist es her, dass sie von einem fremden, älteren Mann von hinten beim Joggen gefilmt wurde. „Er hat direkt auf meinen Hintern gefilmt“, sagt sie. Unmissverständlich habe der Mann, der auf dem Fahrrad hinter ihr hergefahren sei, das Handy gehalten.

„Warum ziehen Sie denn so eine Hose an?“, sagte der Mann zu seiner Verteidigung

Gentsch hat das bemerkt, weil die Sonne an jenem Nachmittag tief stand und das Fahrrad des Mannes einen Schatten warf. „Als ich stehen geblieben bin, ist er mir quasi direkt in die Arme gefahren“, sagt sie und seufzt. Unzählige Male hat sie den Vorfall schon nacherzählt. Privat, aber auch öffentlich. Zum ersten Mal wenige Stunden, nachdem es passiert ist. Anstatt schneller zu laufen oder den Mann zu ignorieren, hat Gentsch die Konfrontation mit ihm gesucht. Die „Intervention“, wie sie es nennt, hat sie gefilmt und auf Instagram hochgeladen.

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Mehr als 16 Millionen Menschen haben sich angeschaut, wie sie den Mann auffordert, das Video zu löschen, „ja, auch aus dem ‚Zuletzt gelöscht‘-Ordner“. Wie er erst leugnet, was er getan hat („ich habe Sie nicht gefilmt“), sich dann rechtfertigt („es tut mir leid, mein Gott, ich mache das normal nie“) und die Schuld für sein Verhalten am Ende bei ihr sucht („warum ziehen Sie denn so eine Hose an? Das verstehe ich nicht“). „Typisches Täterverhalten“, sagt sie dazu heute. Für sie war es selbstverständlich, zu teilen, was ihr passiert ist. „Wir erleben das doch ständig“, sagt sie. Wir, Frauen.

Nachdem der fremde Mann ihren Hintern im Park gefilmt hat, hat Yanni Gentsch sich einen Hund zugelegt. Und sie hat versucht, den Mann anzuzeigen. Vergebens. In Deutschland ist es keine Straftat, den Po oder auch die Brüste eines Menschen zu fotografieren, solange diese intimen Bereiche mit einem „Schutz vor Anblick“ – also Kleidung – versehen sind. Das Gesetz schütze die Täter, nicht die Opfer, sagt Gentsch immer wieder. Deshalb hat sie die Petition mit der Forderung ‚Voyeuraufnahmen strafbar machen‘ gestartet. Fast 160 000 Menschen haben mittlerweile unterschrieben.

Wenige Wochen nachdem Gentsch im August die Petition dem nordrhein-westfälischen Justizminister Benjamin Limbach (Grüne) überreicht hat, erstattete eine andere Influencerin Anzeige gegen einen Drogeriemarkt, weil intime, dort ausgedruckte Bilder entwendet worden seien. Zur gleichen Zeit wandte sich eine weitere Joggerin auf Instagram an die Öffentlichkeit, auch sie warf einem Mann vor, sie beim Laufen gefilmt zu haben. Und gerade erst machte die Geschichte einer Frau aus Fürth die Runde, die beim Joggen belästigt wurde und den Mann kurzerhand festnahm – was sie konnte, weil sie Polizistin ist. Am Telefon sagt Gentsch, es ist ein paar Tage nach dem Treffen in Köln, zu dem jüngsten Fall: „Ich hoffe, dass jetzt endlich etwas passiert. Das war ein junger Mann, mein Alter, es passiert überall, andauernd, von allen möglichen Männern.“

Gentsch ist angetrieben von der „Female Rage“, weiblicher Wut, die sich über Jahrzehnte angestaut hat

Yanni Gentsch ist Medienprofi. Sie weiß ganz genau, welches Bild sie öffentlich abgeben will – und welches nicht. Da ist die Aktivistin, die sofort auf alles reagiert, was zu ihrer Agenda passt. Die keine Angst hat, sich zu zeigen, im Gegenteil, die teilt und teilt, manchmal sei sie sieben Stunden am Tag auf Instagram, sagt sie. In ihrer Instagram-Bio steht: „powered by female rage“.

Damit ist die kollektiv gefühlte und historisch gewachsene Wut von Frauen auf die bestehenden Machtverhältnisse gemeint. „Ich bin müde davon, belästigt zu werden, nur weil ich existiere“, sagt Gentsch. Sie ordnet sich in eine Denkschule ein, zu der sich auch die feministische Autorin Tara-Louise Wittwer zählt, die der Female Rage in ihrem kürzlich erschienen Buch Nemesis’ Töchter gleich mehrere Kapitel widmet. Oder auch die Klimaaktivistin Luisa Neubauer. Gentsch spricht über sie als „die Tara“ und „die Luisa“.

Yanni Gentsch redet gerne über Grenzen, über Strukturen, die sich ändern müssen, über Machtverhältnisse, den Kern des Feminismus also. In ihrer aktivistischen Rolle teilt Gentsch Bilder und Videos von Demonstrationen, wehrt sich gegen Hass im Netz, postet Fotos von sich und Bundesjustizministerin Stefanie Hubig (SPD), die Anfang kommenden Jahres einen Gesetzesentwurf in den Bundestag einbringen will, um Voyeuraufnahmen strafbar zu machen. Dieser Teil von Yanni Gentsch ist laut, entschlossen und selbstsicher. Für diesen Teil wird sie geliebt und gehasst, sie polarisiert im Internet mindestens so sehr wie die Frauen, auf die sie sich gerne bezieht.

Ihr Leben spiele sich zwischen ihrem Zuhause und dem Hundepark ab, erzählt Yanni Gentsch. (Foto: Sarina Laudam)

Da ist aber noch ein anderer Teil. Ein leiserer, privater, der Raum bekommt, wenn Yanni Gentsch erschöpft ist von der ganzen Kommunikation nach außen. „Ich habe im Februar eine Weile gebraucht, um zu checken, dass es etwas zu verarbeiten gibt“, sagt sie. Das Video habe sie damals im Autopilot aufgenommen. Bei allem, was danach kam – ein Schwall an Nachrichten, Kommentaren, Medienanfragen –, habe sie einfach sehr gut funktioniert. Erst als ein anderer Mann ein Video veröffentlichte, in dem er auf Gentschs Video reagierte, den Typen als ekelhaft beschrieb, die Tat als sexuellen Übergriff, konnte sie zum ersten Mal weinen. „Am liebsten hätte ich drei Tage das Haus nicht verlassen“, sagt sie. „Ich bin ja auch Betroffene.“

Auch Catcalling steht in Deutschland nicht unter Strafe

Das Hupen eines vorbeifahrenden Autos, das Pfeifen eines vorbeilaufenden Mannes, ein zu langer Blick, eine Berührung in der U-Bahn, eine Beschimpfung, einfach so. Yanni Gentsch passiert all das immer noch. Nur weil man sich wehrt, ist man ja nicht automatisch sicher. Und nur weil man sich einmal gewehrt hat, sagt Gentsch, hat man nicht automatisch die Kraft, das immer zu tun. Auch sie hat Tage, an denen sie die Kapuze tief ins Gesicht zieht, wenn sie das Haus verlässt, und weghört, wenn ihr ein Mann hinterschmatzt, ruft oder pfeift.

In der polizeilichen Kriminalstatistik tauchen für 2024 insgesamt 13 835 Fälle von sexueller Belästigung auf. In 12 779 Fällen war das Opfer eine Frau. Zahlen zu Catcalling, also aufdringlichen Blicken, anzüglichen Bemerkungen oder Kussgeräuschen, führt das Bundeskriminalamt nicht. Und auch Begegnungen mit Voyeuren, wie sie Gentsch beim Joggen erlebt hat, sind in der Kriminalstatistik nicht erfasst. Denn sowohl Catcalling als auch viele Fälle von Voyeuraufnahmen fallen nicht unter die Paragrafen 184i und 184k des Strafgesetzbuches. Sexuelle Belästigung, seit 2017 eigenständiger Straftatbestand, setzt in der Regel eine körperliche Berührung voraus. Seit 2021 ist außerdem das sogenannte „Upskirting“ strafbar, bei dem eine Kamera unter den Rock gehalten wird. Dabei umgeht der Täter, anders als beim Filmen eines Hinterns in einer Sporthose, den „Schutz vor Anblick“, wie es im Gesetz heißt.

Wahrscheinlich, sagt Gentsch, ist ihr Video auch deshalb so viral gegangen. Es zeige die Diskrepanz zwischen dem Gesetz und der Lebensrealität von mehr als 50 Prozent der Bevölkerung. In den allermeisten Fällen hätten diese mehr als 50 Prozent, „wir Frauen“, nicht die Möglichkeit, den Täter zur Rede zu stellen, denn meistens sei der, nachdem er geschmatzt, gepfiffen oder einen dummen Spruch gebracht habe, längst verschwunden, bis man realisiert habe, was gerade passiert sei. „Es ist schlimm genug als Frau auf dieser Welt, und Sie sind einer von den Männern, der dazu führt, dass es so ist“, sagt Gentsch in ihrem Video zu dem Mann, der sie beim Joggen gefilmt hat. Viele Frauen, unter anderem Tara-Louise Wittwer, bedankten sich unter dem Video für ihren Mut.

Eigentlich sei sie introvertiert, sagt Yanni Gentsch. Manchmal möchte sie tagelang das Haus nicht verlassen

Drei Tage nach dem Vorfall hat Yanni Gentsch ihren Followern zum ersten Mal ihre „Hose des Tages“ gezeigt. „Hab gehört, dass die Hose, die man trägt, sehr viel aussagt“, schreibt sie dazu, dreht sich im Kreis, lacht in die Kamera. Unzählige Hosen, kurze, lange, weite, enge, bunte, einfarbige, Denim, Chino, Stoff, sollten folgen. Die Präsentation der Hosen ist eine wenige Sekunden andauernde Show, manchmal verbeugt sich Yanni Gentsch danach. Es wirkt, als würde sie sich etwas zurückholen, was ihr der Mann im Park genommen hat. Das Gefühl, das sie zum Teil auf Instagram, aber noch viel mehr im persönlichen Gespräch vermittelt – ja, wir sind auf dem richtigen Weg – findet in der Hose des Tages Ausdruck.

Wenn man genau hinschaut, kann man hinter diesem Format ein Stück von der privaten Yanni Gentsch erahnen. Eine Frau, die Mode mag. Der Ästhetik wichtig ist. Die sich über Bestätigung von außen freut, aber auf keinen Fall den Eindruck erwecken will, von irgendetwas oder irgendjemandem abhängig zu sein. Männer tauchen auf ihrem Instagram-Profil nie auf, sogar ihr Hund ist ein Weibchen. Ob sie denn Männer in ihrem Leben hat? „Manche leider, manche zum Glück“, sagt sie. Das muss genügen.

Seit einigen Monaten steht in ihrem Profil, sie sei offen für Kooperationen und Werbepartnerschaften. Seither hat sie auch ein Management, das sich um ihre Mails kümmert. Kürzlich stammte die Hose des Tages von einer nachhaltigen Modemarke und hatte einen Promo-Link. Ob sie nun Geld mit ihrem Aktivismus verdient? Gentsch schüttelt den Kopf. Von der Werbung könne sie sich gerade mal einen Kaffee kaufen. So bekannt sei sie dann ja auch wieder nicht.

Es ist nicht die Karriere einer Influencerin, von der Yanni Gentsch träumt. Wenn man sie fragt, was sie sich für die Zukunft wünsche, dann ist da, natürlich, das, wofür sie öffentlich steht: der Fortgang ihrer Petition, über die im November die Justizministerkonferenz diskutierte (Ergebnis: Es herrscht Uneinigkeit). Andererseits sind da Dinge, die sie nicht online teilt. Das Private, vielleicht der Teil von ihr, der im Februar die eigene Betroffenheit erst nach zehn Tagen beweinen konnte. Wenn Gentsch davon spricht, ist ihre Stimme leiser, die Gesten sind weniger ausladend, sie wirkt fast ein wenig verletzlich. Da sei etwa der Wunsch, erzählt sie, einen Job zu finden, in dem sie ausgeglichener sei, mit dem sie aber trotzdem ihr Leben finanzieren könne. „Außerdem möchte ich auswandern“, sagt sie. Nach Kopenhagen, das sei die schönste Stadt der Welt. Als Grund nennt Gentsch nicht etwa das Hygge-Flair oder die historische Architektur, sondern dass es in der ganzen Stadt so viel weniger Werbeplakate gibt. „Ich bin sowieso immer reizüberflutet“, sagt sie. Kopenhagen, das sei Ruhe für den Kopf.

Ihre Hündin Sury hilft Gentsch dabei, sich emotional zu regulieren

Auch das ist Yanni Gentsch. Die Frau, die die Umgebung immer ganz genau im Blick hat und davon jeden Tag aufs Neue erschöpft ist. Die absolute Ruhe braucht, um ihre Akkus aufzuladen. „Manchmal kann ich gar nicht lange genug allein sein, um all das zu verarbeiten“, sagt sie. Und dass sie zur Entspannung eher doomscrolle, als ein Buch zu lesen, und dazu neige, tagelang das Haus nicht zu verlassen. Auch deshalb habe sie die Mischlingshündin Sury aus dem Tierschutz adoptiert, eine kleine Freundin, die sie jeden Tag vor die Tür zwingt.

Vor etwa einem Jahr ist Yanni Gentsch ihrer Hündin Sury in einem Park im Kölner Süden zum ersten Mal begegnet. Eine Tierschutzorganisation suchte für den Mischling damals ein neues Zuhause.
Vor etwa einem Jahr ist Yanni Gentsch ihrer Hündin Sury in einem Park im Kölner Süden zum ersten Mal begegnet. Eine Tierschutzorganisation suchte für den Mischling damals ein neues Zuhause. (Foto: Corinna Koch)

Den Hundepark im Kölner Süden bezeichnet Yanni Gentsch als ihr natürliches Habitat. Zwischen ihrer Wohnung und hier spiele sich eigentlich ihr gesamtes Leben ab. „Als alleinerziehende Mama hat man schon einiges zu tun“, sagt sie, hebt Sury aus dem Lastenrad und bindet ihr ein Halstuch um, farblich perfekt abgestimmt auf ihr hellbraun meliertes Fell. Seit Sury vor ein paar Wochen beinahe im Park verloren gegangen wäre, lässt sie die Hündin nicht mehr von der Leine. Sie sei besonders ängstlich, brauche lange, bis sie Menschen vertraue. „Trotzdem wird sie immer wieder angefasst, ohne dass die Menschen um Erlaubnis fragen“, sagt Gentsch. „Und mit Menschen meine ich Männer.“

Die Hose des Tages, heute Baggy Fit, schwarz und aus Stoff, ist mittlerweile voller Schlamm. An einem grauen Nachmittag im Dezember und mit einem jungen Hund im Schlepptau lässt sich das wohl kaum vermeiden. Gentsch möchte trotzdem noch ein Foto machen. Wenigstens authentisch, sagt sie zu dem Schlamm auf ihren Klamotten. Sury springt mit ihren dreckigen Pfoten an ihr hoch. Yanni Gentsch nimmt sie auf den Arm. Sie ist das einzige Lebewesen, das sie ohne Erlaubnis berühren darf.

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