Musikstreaming: Ein “Idiotensystem”, sagt Herbert Grönemeyer | ABC-Z

Rund zwei
Dutzend Pressemenschen warteten am Donnerstagnachmittag geduldig an der großen,
südlichen Treppe im Berliner Kanzleramt. Es ist jene Treppe, an der sich jedes
Jahr im Januar die Sternsinger mit dem Kanzler aufstellen und danach mit weißer
Signatur verewigen dürfen. Das Geländer der Südtreppe war auch schon mit
Sternen geschmückt, doch statt der Kinder in den Drei-Könige-Kostümen tauchten
plötzlich ganz andere Sternsinger auf: Peter Maffay, Balbina, Herbert
Grönemeyer, Christopher Annen von AnnenMayKantereit und noch einige mehr. Diese
neue Supergroup hatte sich zuvor mit dem im Kanzleramt amtsbedingt residierenden
Kulturstaatsminister Wolfram Weimer zu einem Gespräch hinter verschlossenen
Türen getroffen. Besonders scharf soll Herbert Grönemeyer dabei geworden sein,
so berichtete ein Teilnehmer. Und scharf wurde Grönemeyer jetzt auch
öffentlich: “Das ist ein System für Doofe!”
Grönemeyer
meinte mit dem System nicht die Demokratie, nicht das Kanzleramt, auch nicht
die Sternsinger, sondern Streamingdienste wie Spotify, die Musikhören per Abo
anbieten. Das Geld, das deren Abonnenten und Abonnentinnen monatlich zahlen, komme nämlich nur zum allerkleinsten Teil den Musikerinnen und Musikern zugute, die der jeweilige Abonnent tatsächlich höre, sagte Grönemeyer. Das
meiste Geld fließe aus einem großen Pool an die weltweiten Hits mit den meisten
Streams. Also beispielsweise an irgendwelche Brainrot-Songs, die bei Kindern
den lieben langen Tag in Dauerschleife durchlaufen und so beständig Klicks
sammeln.
“Wer die
meisten Klicks hat, hat gewonnen”, sagte Grönemeyer. So gerieten
mittelständische Unternehmen, die ernsthaft Musik produzieren und vertreiben,
in die wirtschaftliche Schieflage. Es gebe auch eine Art von Altersrassismus:
Kinder und junge Menschen, die mehr Zeit zum Streamen hätten, würden die Charts
bestimmen – offen blieb, welche Rolle etwa Rentner mit noch mehr Zeit als
Schulpflichtige in diesem Markt spielen könnten.
Noch
ungerechter werde dieses “Idiotensystem” dadurch, sagte Grönemeyer weiter, dass
sich Klicks bei Streamingdiensten im Darknet kaufen ließen. Die Klicks
ermöglichten sogar “enorme Geldwäsche”. Das System funktioniere so: Man stecke
sein Schwarzgeld im Darknet in Klicks für sich oder seinen Künstler und
kassiere dann sauberes Geld von den Musikstreamingdiensten.
Was hat
Wolfram Weimer damit zu tun? War er das Ziel der Attacke? Im Gegenteil: Endlich
habe man jemanden gefunden, sagte Grönemeyer, der ihnen, den Musikerinnen und
Musikern, zuhöre. Weimer bewies auch umgehend noch einmal, dass er das getan hatte.
Es gebe eine unfaire Verteilung der Erlöse, sagte er, den Musikerinnen und
Musikern in Deutschland gehe es schlecht: “Wir haben hier ein Marktdesign, das
unfair ist.”
Weimer, der
ursprünglich einmal als Verteidiger freier Märkte bekannt geworden ist,
wiederholte nicht nur das fast schon planwirtschaftlich klingende “Marktdesign”
noch mehrfach; plötzlich, wie schon vor einigen Wochen beim Thema Google, waren
auch wieder Worte wie “Regulatorik” und “Kartellrecht” zu hören. “Wir wollen
mehr Transparenz im System.”
Vertreterinnen
der Filmbranche zeigten sich zuletzt in den Diskussionen um eine Abgabenpflicht
für Plattformen wie Netflix wenig glücklich über Weimers Agieren. Wie genau der
Kulturstaatsminister jetzt mehr Transparenz und vor allem Gerechtigkeit im Musikstreaming
erreichen will, blieb bei dem Termin vor der Südtreppe des Kanzleramts trotz
Nachfragen weitgehend unklar. Als Nächstes möchte Weimer jedenfalls die großen
Major-Labels und die Musikstreamingplattformen ins Kanzleramt einladen. Er
verstehe sich dabei eher wie ein Mediator in einer Tarifverhandlung, sagte
Weimer. Und rief zum Abschied noch einmal: “Frohe Weihnachten!”





















