Fluchen macht offenbar stark – Wissen | ABC-Z

Was entfährt einem Kopf, der sich gerade heftig an einem Hindernis gestoßen hat? Ein „Mist!“? Ein „Verflucht!“? Oder Derberes? Glaubt man einem Team britischer und amerikanischer Psychologen, ist dies eine durchaus praxisrelevante Frage. Offenbar kann es sich lohnen, sich ein Schimpfwort zurechtzulegen und gelegentlich gezielt herauszulassen. Fluchen, so lassen sich die Ergebnisse der Forscher zusammenfassen, dient nicht nur spontanem Frustabbau, sondern wirkt wie ein kostenloses und legales Aufputschmittel.
Die Wissenschaftler um Richard Stephens von der britischen Keele University haben in mehreren Experimenten gezeigt: Wenn Menschen ein Schimpfwort von sich geben, das sie auch zum Beispiel beim Kopfanstoßen äußern würden, steigert das ihre körperliche Leistung. Mit einem wiederholten „Verdammt!“ auf den Lippen verbesserten Studienteilnehmer etwa die Stärke ihres Händedrucks und ihre Geschwindigkeit auf dem Fahrrad. Wenn sie fluchten, erzielten sie bis zu zehn Prozent mehr Leistung – verglichen mit den Ergebnissen, die sie nach dem Artikulieren eines neutralen Wortes erzielten. Auch andere Forschende zeigten, dass die physische Performance nach dem Fluchen zulegt. Es sei mittlerweile eine „gut replizierte und zuverlässige“ Erkenntnis, sagte Stephens in einer Pressemitteilung.
Weniger zuverlässig lässt sich die Frage beantworten, was die Wunderwirkung des Fluchens erklärt. Die erste Hypothese von Stephens und Kollegen war, dass die kleine soziale Grenzüberschreitung einen Adrenalinschub auslöst, der den Körper in besondere Leistungsbereitschaft versetzt. Die Vermessung von körperlichen Parametern der Probanden konnte das allerdings nicht belegen.
„In vielen Situationen halten sich Menschen bewusst oder unbewusst davon ab, ihre volle Stärke einzusetzen.“
Der bislang beste Erklärungsansatz der Gruppe ist daher, dass das Schimpfen über die Psyche wirkt. Das Fluchen ist demnach eine Art Befreiungsschlag gegen das Zögern und Zaudern, das dem rationalen Erwachsenenleben eigen ist. „In vielen Situationen halten sich Menschen bewusst oder unbewusst davon ab, ihre volle Stärke einzusetzen“, erklärt Stephens. Mit dem Fluchen werde diese soziale Zurückhaltung offenbar über Bord geworfen, und alle Kraft richte sich auf die aktuelle Aufgabe.
Diese These versuchten die Forscher in ihrer jüngsten, gerade im Fachblatt American Psychologist veröffentlichten Arbeit zu untermauern. In Experimenten mit insgesamt 300 Probanden erfragten sie auch, wie die Teilnehmer sich nach dem Fluchen fühlten. Es zeigte sich, dass sich die Probanden weniger ablenken ließen. Zugleich spürten sie einen Schub ihres Selbstbewusstseins und gerieten häufiger in einen Flow. Das ist jener Zustand, in dem Menschen so in eine Tätigkeit versinken, dass sie alles um sich herum vergessen. Diese Phänomene lassen sich den Autoren zufolge als ein Ausdruck für das Lösen der inneren Bremsen verstehen. Sie führten vermutlich dazu, dass Fluchende kurzfristig frei von geistigem Ballast und fokussierter agieren – und so ihre Leistung steigern.
Ganz sicher sind sich die Autoren allerdings nicht, denn auch andere Faktoren, etwa positive Erwartungen der Probanden, könnten eine Rolle gespielt haben. Zudem bleibt offen, ob die Methode auch für komplexere Situationen wie Prüfungen oder Gehaltsverhandlungen taugen könnte. Die Forscher zeigen sich zuversichtlich, dass ein Schimpfwort immer dann hilfreich sei, wenn Menschen zu sehr zögern, sich unsicher oder unwohl fühlen. Doch getestet haben sie das strategische Fluchen hauptsächlich in einer Disziplin namens „Stuhl-Push-up“. Dabei stemmen sich die Teilnehmer mit den Armen auf einem Stuhl in die Höhe, um Gesäß und Beine möglichst lang in der Luft zu halten. Bei allem Respekt lässt sich festhalten: Diese Fähigkeit ist im gewöhnlichen Alltag verdammt unbrauchbar.





















