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Warum ein Ebersberger Historiker sich Sorgen um die Zukunft macht – Ebersberg | ABC-Z

Der Grafinger Gastwirt Simon Ahammer scheute sich auch in der Zeit des Nationalsozialismus nicht vor klaren Worten. „,Grüß Gott’ ist mein Gruß, ‚Heil Hitler’, wenn ich muss“: Das machte der Wirt der Gaststätte „Zum Grandauer“ gerne mal deutlich. Beinahe hätte das für ihn schlimme Folgen gehabt, denn als seine Haltung bei einem Arbeitsgerichtsprozess in Ebersberg zur Sprache kam, hörte auch der Justizassistent Erich Bergmeier mit. Der Sicherheitsdienst-Spitzel meldete das an die örtliche NSDAP-Kreisleitung, am Ende landete die Information beim Sondergericht München.  Ahammer kam letztlich glimpflich davon, da Aussage gegen Aussage stand und sich kein weiterer Belastungszeuge finden wollte. Der Fall ist einer von vielen, die der Ebersberger Historiker Bernhard Schäfer in den vergangenen Jahren ans Licht gebracht hat. Auch lange nach Kriegsende arbeitet er an der Aufarbeitung der NS-Vergangenheit im Landkreis Ebersberg – und sieht nach wie vor ein großes Betätigungsfeld hier, wie er im SZ-Interview unterstreicht.

Der Historiker Bernhard Schäfer, der auch das Museum der Stadt Grafing leitet, stößt in den Archiven immer wieder auf Beispiele, wie Menschen die Zeit des Nationalsozialismus im Landkreis erlebten. (Foto: Christian Endt)

SZ: Sie befassen sich schon sehr lang mit der NS-Zeit im Landkreis, stoßen aber immer noch auf neue Fälle wie den des Simon Ahammer. Wie kommt das?

Bernhard Schäfer: Wer suchet, der findet. Wenn man so will. Grund ist, dass in den Archiven immer wieder neue Quellen erschlossen werden, die bisher nicht zugänglich waren, und auf die man jetzt zurückgreifen kann. So wird ständig Neues verfügbar. Die Möglichkeiten, sich mit dieser Zeit zu beschäftigen, sind noch lange nicht ausgeschöpft.

Spielt die Digitalisierung auch eine Rolle?

Durchaus. Institutionen, Archive und sonstige Einrichtungen haben in der Zwischenzeit einiges ins Netz gestellt, etwa das Bundesarchiv oder die Arolsen Archives. Hier wird man schon des Öfteren fündig, wenn man beispielsweise nach Orten oder Personennamen sucht. Das ist tatsächlich eine große Erleichterung.

Sind Ihnen aus den vergangenen Jahren besondere Geschichten in Erinnerung?

Ein Fall fällt mir spontan ein. Ich bin darauf gestoßen, als ich über jüdisches Leben in Grafing recherchiert habe. Dabei habe ich Dokumente im Landesentschädigungsamt gesichtet, wo Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung Anträge auf Entschädigung stellen konnten und dafür natürlich recht genau ihre Lage geschildert haben. Dort bin ich auf den Fall von Leo Steinfeld gestoßen, der eine Zeit lang in Grafing gelebt und ein Lichtspieltheater und ein Tanzcafé betrieben hat. Er stammte aus dem polnischen Lodz, ist dann in die Niederlande gegangen und hat dort seine Frau kennengelernt. Die beiden haben geheiratet und einen Sohn bekommen.

Kurz darauf sind sie verhaftet und nach Auschwitz deportiert worden. Leo Steinfeld selbst hat Auschwitz überlebt, bei der Evakuierung kam er Anfang 1945 nach Dachau, von dort noch ins Außenlager nach Mühldorf, bevor das ebenfalls evakuiert wurde und er in dem Zug landete, in dem Max Mannheimer auch saß. Als die Waggons in Poing kurz geöffnet wurden, hat Leo Steinfeld das Weite gesucht. Er fand in Gelting bei einer Familie Unterschlupf, hat hier die Endphase des „Dritten Reichs“ überlebt und lebte anschließend eben eine Zeit lang in Grafing. An den Fragebögen, die er ausfüllen musste, merkt man, dass er erst noch nicht wusste, dass seine Frau und sein Kind Auschwitz nicht überlebt hatten, das wurde ihm erst so allmählich bewusst. Er war ein gebrochener Mann und ist 1963 in München gestorben. Dort liegt er am Neuen israelitischen Friedhof begraben.

Auch wenn man sich ununterbrochen mit solchen Themen beschäftigt, lassen einen solche Schicksale nicht kalt, oder?

Nein, sicher nicht.

Es gibt natürlich nicht nur die Opferseite, sondern auch die der Täter. Sie selbst leben im Landkreis, haben Sie denn Hemmungen, Täterbiografien zu veröffentlichen, insbesondere, wenn vielleicht noch Nachkommen hier leben?

Nein, gar nicht. Es gibt ja hier einige Beispiele, deren Biografien ich schon intensiver beleuchtet habe, angefangen bei Kreisleiter Josef Windstetter aus Steinhöring oder auch Fritz Hintermayer aus Grafing, der der letzte Lagerarzt im KZ Dachau war. Oder auch der Mediziner Hans Deuschl, der aus einer alteingesessenen Brauerfamilie aus Grafing stammte, Leiter der Führerschule der Deutschen Ärzteschaft in Alt Rehse wurde und sich nicht so verhalten hat, wie man es von einem Arzt erwarten würde. Er hat auch vorgeschlagen, dass man die Hälfte der sowjetischen Kriegsgefangenen gleich umbringt, um die Lebensmittelversorgung für die anderen zu sichern. Von einigen der Genannten gibt es noch Nachkommen in der Region, aber ich habe keine Ängste, die Tatsachen dennoch zu nennen. Falls das jemandem nicht passt, hat mir das jedenfalls noch niemand ins Gesicht gesagt. Man weiß natürlich nicht, was hinter dem Rücken gesprochen wird.

Sehen Sie sich angesichts der schwieriger werdenden Zeiten in einer besonderen Verantwortung, die Erinnerung an die Zeit des Nationalsozialismus wachzuhalten?

Ja. Natürlich gäbe es schönere Felder der Beschäftigung mit der Geschichte. Beispielsweise könnte man sich mehr den Grafen von Ebersberg widmen oder den Weingütern des Klosters Ebersberg. So was ist durchaus erhebender, als wenn man sich mit der NS-Zeit auseinandersetzt. Ich will jetzt nicht vermessen klingen, aber natürlich will ich durch meine Forschungen auch die Möglichkeit anbieten, aus der Geschichte zu lernen – auch wenn man Zweifel haben kann, ob das überhaupt funktioniert. Wenn man sieht, wie sich die Dinge aktuell entwickeln, könnte man meinen, der Mensch ist überhaupt nicht fähig, aus der Geschichte zu lernen.

Aber, um noch einmal auf den Fall Ahammer zurückzukommen, daran lässt sich zeigen, wie leicht es etwa ist, das Denunziantenwesen in einer Gesellschaft zu etablieren. Im „Dritten Reich“ ging das ohne Weiteres, aber es funktioniert eben auch zu anderen Zeiten in anderen Gesellschaften.

Dass man Beispiele aus der unmittelbaren Nähe zeigt und nicht nur die großen Verbrecher der NS-Zeit im Blick hat, ist wichtig, oder?

Genau, es ist sehr wichtig, dass man nicht das „Dritte Reich“ mehr oder minder als Abstraktum betrachtet, mit Hitler, Göring, Goebbels und den anderen Akteuren, sondern dass man sieht, dass der Nationalsozialismus hier überall zugange war und überall Auswirkungen hatte. Wenn man im Fernsehen sieht, dass irgendwo so und so viele Menschen ermordet wurden, dann ist das halt erst mal weit weg. Wenn man aber sieht: So war es hier in Grafing oder in Markt Schwaben oder in Poing oder sonst irgendwo im Landkreis, dann wird es sehr viel unmittelbarer.

Wie ist Ihr Blick als Historiker auf die Nachrichten momentan?

Ich bin wirklich entsetzt zu sehen, wie leicht vermeintlich stabile Demokratien ins Wanken geraten beziehungsweise eben ganz bewusst ins Wanken gebracht werden, wie schnell man demokratische Strukturen aushebeln kann. Ganz konkret: Wir haben die Demokratie durch die Amerikaner anerzogen bekommen und haben uns über Jahrzehnte dieser Staatsform erfreuen können. Und dann sieht man, dass in Amerika das demokratische System spielend ausgehebelt werden kann. Natürlich besteht die Sorge, dass das möglicherweise auch hier passieren könnte.

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