Stinker wider Willen: Moore erzeugen in Bayern sechs Prozent der CO₂-Emissionen – Bayern | ABC-Z

„Achtung, Lebensgefahr! Zutritt verboten“ steht auf einem Schild am Rand eines Waldstücks zwischen Rettenberg und Wertach. Nichts wirkt hier lebensgefährlich: Fichten stehen dicht beieinander, auf den grünen Weiden nebenan grasen Kühe friedlich. Ein paar Schritte weiter dann die nächste Warnung: „Radfahrer Stopp!“ Dahinter beginnt eine Wiese, die vom Grün ins rostige Braun übergeht – der Übergang vom Nieder- ins Hochmoor.
Das Hühnermoos/Batzhainzenmoos gehört zu den zwölf Mooren, die im Projekt „Oberallgäuer Moorverbund“ des Landschaftspflegeverbunds Oberallgäu-Kempten zwischen 2023 und 2027 renaturiert werden sollen. Zwischen Altusried und Oberstdorf ziehen sich diese Moore wie eine Treppe durch die Landschaft – vom Talboden auf 700 Höhenmetern bis hinauf in alpine Lagen in 1700 Metern Höhe.
Die Moore sollen einen Biotopverbund bilden, der es Tieren und Pflanzen ermöglicht, entlang des Höhengradienten in kühlere Bereiche auszuweichen und sich genetisch auszutauschen. Gefördert wird das Projekt mit 823 000 Euro, 90 Prozent davon kommen vom Freistaat aus der Moorschutzförderung, den Rest steuert der Landschaftspflegeverband bei.

Die Oberallgäuer Moore gehören zu den wertvollsten in Bayern – nicht wegen ihrer Größe, sondern wegen ihrer Vielfalt, erklärt Julia Wehnert, Geschäftsführerin der Bund-Naturschutz-Kreisgruppe Kempten/Oberallgäu. Auf wenigen Kilometern wechseln hier Niedermoore, Hochmoore und seltene Deckenmoore einander ab. Es ist die Lage zwischen Kalkalpen und Flysch, die eine geologische Vielfalt schafft, welche die Region zu einem der artenreichsten Moorgebiete des Freistaats macht.
Im Hühnermoos hängt die Kälte des Morgens noch in der Luft, Kurzfühlerschrecken springen zwischen dem rostbraunen Gras auf. „Wir stehen hier an der Grenze zwischen Niedermoor und Hochmoor“, erklärt Maria Schweizer, Geoökologin und Projektmanagerin des „Oberallgäuer Moorverbunds“. Während Niedermoore vom Grundwasser gespeist werden und nährstoffreich sind, leben Hochmoore ausschließlich vom Regen und sind extrem nährstoffarm. Damit ändert sich die komplette Artenzusammensetzung.

Auf den traditionellen Streuwiesen im Niedermoor blühen gefährdete Arten wie der krautige, blau-lila Sumpfstern. Auch Schmetterlinge wie der grau-blau schimmernde Enzianameisenbläuling sind im Hühnermoor zu Hause. Der Tagfalter hat hier eine ökologische Nische gefunden und legt seine Eier nur auf Enzianpflanzen ab.
Im Hochmoor hingegen können nur echte Spezialisten überleben, allen voran die Torfmoose. „Torfmoose sind die eigentlichen Ökosystemingenieure der Moore und die Haupttorfbildner“, erklärt Schweizer. Etwa 35 Arten kommen hier vor, zum Teil mehrere 1000 Jahre alt. Daneben finden sich kälteliebende Arten, die sich seit der letzten Eiszeit etabliert haben – sogenannte Eiszeitrelikte wie der gefährdete Hochmoorgelbling. Den Lebensraum dieser Arten zu erhalten oder wiederherzustellen, sei eines der zentralen Ziele des Projekts.


Mit rund 220 000 Hektar Moorfläche gehört Bayern zu den moorreichsten Ländern Deutschlands. Doch rund 95 Prozent dieser ursprünglichen Moore gelten als zerstört – entwässert durch Landwirtschaft und Torfabbau seit dem 18. Jahrhundert. Die Folgen sind gravierend: Entwässerte Moore setzen große Mengen Kohlendioxid (CO₂) frei, rund sechs Prozent der bayerischen Treibhausgasemissionen stammen aus ihnen. Intakte Moore hingegen sind echte Klimaschützer: Ein Hektar Moorboden speichert im Durchschnitt so viel CO₂ wie sechs Hektar Wald. Gleichzeitig tragen Moore zum Arten-, Boden- und Hochwasserschutz bei. Trotzdem schreitet die Renaturierung kaum voran.

:Wenn der Boden unter den Füßen schmatzt
Der Mensch hat schon immer im Moor herumgefuhrwerkt, hat Ackerland aus ihm gemacht, Blumenerde, und alles trockengelegt. So wurde aus dem Klimahelden ein Klimakiller. Also: Alles wieder nass machen? Unterwegs in einer Kampfzone.
Dabei gibt es längst rechtliche und strategische Vorgaben zum Schutz der Moore: Viele Flächen liegen in geschützten Flora-Fauna-Habitat-Gebieten (FFH), außerdem ist die Renaturierung unter anderem in der bayerischen Biodiversitätsstrategie verankert. Ein verpflichtender Ausbau der Renaturierung ist damit aber nicht vorgeschrieben – in FFH-Gebieten gilt für Moore zum Beispiel nur ein Verschlechterungsverbot. Viel hängt daher von Freiwilligkeit, Förderprogrammen und Anreizen für die Eigentümer ab.
Ambitioniert klingt da Ministerpräsident Markus Söders Ankündigung aus dem Jahr 2021: Bis 2040 sollen 55 000 Hektar Moor wieder vernässt werden – ein zentraler Baustein des Klimaschutzgesetzes. Doch das Ziel sei „völlig realitätsfern“, sagt Alfred Karle-Fendt vom Bund Naturschutz. Zwischen Anspruch und tatsächlichem Fortschritt liege „eine gewaltige Differenz“.

:Nachrichten aus der Bayern-Redaktion – jetzt auf Whatsapp abonnieren
Von Aschaffenburg bis Berchtesgaden: Das Bayern-Team der SZ ist im gesamten Freistaat für Sie unterwegs. Hier entlang, wenn Sie Geschichten, News und Hintergründe direkt aufs Handy bekommen möchten.
Der Hauptgrund: fehlende ökonomische Anreize für die Landwirte. Karle-Fendt nennt das Gallmoos, ein Teilgebiet des Oberallgäuer Moorverbunds, als Beispiel: Als Wirtschaftsgrünland bringe ein Hektar dort jährlich etwa 8000 Euro ein, im Vertragsnaturschutz lediglich etwa 800 Euro. Würde man die Differenz ausgleichen, würde die Umsetzung von Söders Ziel Summen in dreistelliger Millionenhöhe pro Jahr erfordern. Realistisch seien bis 2040 deshalb eher 5000 Hektar, also nicht einmal ein Zehntel der angestrebten Fläche.
Eine weitere Bremse für die Moorrenaturierung: Die Bewirtschaftung entwässerter Moorböden wird weiterhin über Agrarsubventionen gefördert – ein Fehlanreiz, der die Wiedervernässung unattraktiv mache, sagt Karle-Fendt. Zwar gibt es mit dem Moorbauernprogramm eine Spezialförderung. Diese reiche aber meist nicht an die Agrarsubventionen heran. Zudem ist der Zugang zu den Flächen mühsam. Moorgrund ist historisch bedingt kleinteilig aufgeteilt und oft in Familienhand, ehemalige Entwässerungsgräben verlaufen häufig direkt auf Grundstücksgrenzen.


Dieses Problem kennt auch Maria Schweizer. „Wenn nur eine Person nicht mitmacht, blockiert das manchmal ein ganzes Gebiet“, weiß sie aus Erfahrung. Die Reaktionen der Grundstückseigentümer seien gemischt – manche winken sofort ab, ohne Begründung. Andere stellen selbst die Funktion der Moore als CO₂-Absenker infrage – oder den Klimawandel an sich. „Da wird es dann schwierig, zu argumentieren“, so die Projektmanagerin. Manche lassen sich aber doch mit den positiven Auswirkungen intakter Moore überzeugen.
Statt Flächen anzukaufen, arbeitet der Landschaftspflegeverband mit einfachen Einverständniserklärungen: Die Eigentümer erlauben die Renaturierung und verpflichten sich für zehn Jahre, nichts Gegenteiliges zu tun. Zwar versuche die Regierung parallel, Moorflächen anzukaufen, doch das gelinge selten: Die niedrigen Grundstückspreise bieten kaum einen Anreiz zum Verkauf.
Um die trockengelegten Moore wieder zu vernässen, wurden im Hühnermoos mehr als 600 Dämme gebaut. Die alle zehn Meter verlaufenden Entwässerungsgräben wurden gezielt aufgestaut.


Umgesetzt wird die Renaturierung vom Landschaftspflegeverband Oberallgäu-Kempten. Vor Ort kommen lokale Akteure zum Einsatz, etwa Landwirte, spezialisierte Fachfirmen und manchmal auch Freiwillige wie Schulklassen. Die Arbeiten sind aufwendig: Durch die Hanglagen sind viele Dämme nötig, um den Wasserstand gleichmäßig zu halten und die unterschiedlichen Höhenlagen auszugleichen.
Schon nach einem Jahr sind erste Erfolge sichtbar: Überall bilden sich kleine Seen, die Torfmoose beginnen, nachzuwachsen – etwa zehn Zentimeter pro Jahr. In den kommenden Jahren soll sich die Vegetation weiter verdichten – die Moore entwickeln sich Schritt für Schritt zurück in ihrem ursprünglichen, artenreichen Zustand.
Im Hühnermoos funktioniere die Renaturierung gut, resümiert Maria Schweizer. Dort konnten mehr als sieben der insgesamt neun Hektar wiedervernässt werden – ein Ausnahmefall. Ein Grund: Es handelt sich überwiegend um landwirtschaftlich kaum rentable Hochmoorflächen.

Die meisten Moorböden Bayerns liegen jedoch dort, wo die landwirtschaftliche Nutzung dominiert. Für Alfred Karle-Fendt sind Projekte wie die Moortreppe deshalb vor allem „punktuelle Spielwiesen“, die zeigen, dass Renaturierung funktionieren kann. Die eine Strahlkraft haben und Argumente liefern, um Skeptiker in der Kommunalpolitik mit ins Boot zu holen.
Doch der eigentliche Hebel liegt anderswo: Rund 110 000 Hektar landwirtschaftlich genutzter Moorböden – nur vier Prozent der bayerischen Agrarfläche – verursachen ein Viertel der landwirtschaftlichen CO₂-Emissionen. Wenn Bayern seine Klima- und Biodiversitätsziele erreichen will, müssen auch diese Moore wieder zu dem werden, was sie einst waren: Kohlendioxidspeicher und Rückzugsräume für seltene Arten.





















