Junge Deutsche in der Ukraine: Von der Schulbank in den Krieg | ABC-Z

Manche wollen Europa schützen, andere suchen das Abenteuer: Es gibt Jugendliche und junge Männer aus Deutschland, die freiwillig in der Ukraine an der Front kämpfen wollen. Doch nicht alle werden vom ukrainischen Militär aufgenommen.
Rollende Panzer und Militärkonvois, zerbombte Gebäude, ständiger Sirenenalarm und Drohnenangriffe. Das ist der brutale Alltag in einigen Städten in der Ukraine. Dort freiwillig an der Front zu kämpfen, ist für die meisten Jugendlichen in Deutschland unvorstellbar. Es gibt aber ein paar von ihnen, die sich der ukrainischen Armee anschließen wollen, um das Land in ihrem Kampf gegen die russische Invasion zu unterstützen.
Der 18-jährige Noah aus Darmstadt ist einer von ihnen. Er hat im Sommer sein IT-Fachabitur gemacht und entwickelt in seiner Freizeit Apps, um Flugbahnen von Granaten zu berechnen. Zudem steuert er zivile Drohnen. Noah will zu einer Drohnen-Einheit in der Ukraine. “Ich würde tatsächlich Drohnen-Einheiten präferieren, weil es mir schon mal bekannt vorkommt”, sagt er dem Y-Kollektiv.
Dass der Soldatenberuf in der Ukraine auch bedeutet, Menschen zu töten, ist Noah bewusst. “Das ist jetzt – brutal oder zynisch gesagt – für den größeren Sinn, um die demokratische Weltordnung aufrechtzuerhalten”, sagt er.
Als Dachdeckermeister an der Front
Der 25 Jahre alte Franco kämpft bereits freiwillig in der Ukraine. Er wollte zunächst humanitär helfen, merkte aber schnell, dass die Ukraine keine Handwerker braucht, sondern Soldaten.
Seit zwei Jahren kämpft der gelernte Dachdeckermeister bereits an der Front. Von seinen Kameraden, mit denen er in die Ukraine gekommen ist, kämpft keiner mehr. “Gestorben sind von denen fünf, der Rest wurde schwer verwundet”, schildert der Deutsche. Sie stammten alle aus Europa.
Wie viele deutsche Freiwillige derzeit insgesamt in der Ukraine kämpfen, ist unklar. Laut ukrainischen Behörden sind es vermutlich mehrere hundert. Wer sich der Armee anschließen will, kann sich online bewerben, etwa auf der Webseite der Internationalen Legion zur Verteidigung der Ukraine. Auch bei der Spezialeinheit “Azov International Battalion” sind online Bewerbungsformulare zu finden.
Elite-Einheit im “Safe House” untergebracht
Dass sich schon 18-Jährige freiwillig für den Grabenkampf melden, sieht Soldat Franco skeptisch. “Natürlich sind da wahrscheinlich auch ein, zwei dabei, die überhaupt nicht wissen, was los ist. Du sagst denen bewusst: Du wirst hier sterben, weil das hier kein Trainingslager ist.”
Da die Gefahr eines gezielten Luftangriffs groß ist, ist die Einheit an einem geheimen Rückzugsort untergebracht. Das “Safe House” befindet sich im Umland der vom Krieg gezeichneten Stadt Charkiw. Mehrere Stadtteile sind dort vollkommen zerstört.
Charkiw ist gerade mal 30 Kilometer von der russischen Front entfernt. Vor allem in den Randgebieten kommt es fast täglich zu Drohnenangriffen. Und trotzdem kann man nach Charkiw noch mit der Bahn reisen.
Karte der Ukraine und Russlands, hell schraffiert: von Russland besetzte Gebiete
Soldat “Lefty”: Demokratie verteidigen
Der 20 Jahre alte “Lefty” kämpft ebenfalls an der Front bei Charkiw. “Lefty” ist der Deckname des Soldaten, weil er mit links wohl genauso gut schießen kann wie mit rechts. Er berichtet, dass auch schon sein Vater und sein Großvater beim Militär gewesen seien.
“Lefty” riskiert sein Leben im Kampf gegen die russischen Aggressoren. Mit 18 Jahren reiste er kurz nach seinem Realschulabschluss in die Ukraine. “Die ganzen Verbrechen, die da passiert sind, waren für mich nicht akzeptabel. Vor allem nicht auf europäischen Boden”, sagt er. Das Treffen mit ihm und seinem Kameraden Strato, der halb Norweger, halb Schweizer ist, fand auf einem Parkplatz in der Nähe der Front statt.
Der russische Angriffskrieg ist für “Lefty” ein Angriff auf die Demokratie, die es zu verteidigen gilt. “Demokratie und Freiheit, die es in der Russischen Föderation einfach nicht gibt.” Er wolle nicht zulassen, dass noch mehr Menschen unter diesen Einfluss geraten.
Für ihn spielt auch Abenteuerlust eine Rolle bei den Einsätzen. “Es gibt auch immer viele gute Momente, vor allem nach einer Mission – die Erinnerungen und die Geschichten, die man mitnimmt. Solange keiner fällt.”
“So blöd, sich das anhört”, sagt “Lefty”. “Das fühlt sich manchmal auch ein bisschen an wie ein Videospiel. Man hat aber natürlich die Nahtoderfahrung.” Immer wieder sterben Soldaten an der Front. Wie viele ukrainische Soldaten bislang gefallen sind, ist unklar. Die Ukraine hält sich mit entsprechenden Angaben zurück. Im Februar sagte Präsident Wolodymyr Selenskyj im Interview mit dem Journalisten Piers Morgan, dass bislang 45.1000 Soldaten getötet und etwa 390.000 verletzt worden seien. Unabhängig überprüfen lässt sich das kaum. Militär-Experten schätzen die Zahl jedoch deutlich höher ein.
Beim Rekrutierungsgespräch in Kiew
Genauso alt wie Noah aus Darmstadt, der sich mit dem Zug auf eine Reise in die Ukraine begab, ohne dass seine Eltern davon wissen. In einem Café in Kiew traf der 18-Jährige sich zu einem Gespräch mit einem Rekrutierer von “Azov International”.
Das Azov-Regiment gilt als Spezialeinheit in der Ukraine. In der Vergangenheit war es wegen rechtsextremen Verbindungen umstritten. Eigenen Angaben zufolge grenzt sich die Einheit inzwischen klar davon ab.
Nicht jeder, der kämpfen möchte, wird genommen. Für Noah gibt es nach seinem Rekrutierungsgespräch eine Absage. Es sei zu früh für ihn, Soldat zu werden, sagt der Rekrutierer. “Ich rede gerade mit dem Kind, nicht mit dem Soldaten”, sagt er dem Y-Kollektiv. Noah möchte trotz der Enttäuschung nicht aufgeben – und es zum Beispiel in der ukrainischen Rüstungsindustrie versuchen.





















