Blutvergiftung: Sepsis erkennen und schnell behandeln | NDR.de – Ratgeber | ABC-Z
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Auslöser einer Sepsis können eine Wunde oder eine Infektion irgendwo im Körper sein. Wenn Bakterien in den Blutkreislauf gelangen, kann sich daraus eine gefährliche Blutvergiftung entwickeln.
Pro Jahr erkranken in Deutschland nach Angaben des Aktionsbündnisses “Deutschland erkennt Sepsis” mindestens 230.000 Menschen an den Folgen einer Blutvergiftung (Sepsis), mindestens 85.000 sterben. Damit ist sie hierzulande eine der häufigsten Todesursachen. Ein vereiterter Zahn, ein Infekt mit Husten oder eine Wunde an der Hand genügen: Gelangen Bakterien in den Blutkreislauf, kann sich binnen weniger Stunden eine lebensgefährliche Blutvergiftung entwickeln.
Symptome einer Blutvergiftung sind unspezifisch
Schnelle Atmung, schneller Puls, Fieberschübe, Ganzkörperschmerzen, ein zu niedriger Blutdruck und erhöhte Entzündungswerte im Blut – das sind oft typische Zeichen einer Sepsis. Trotz ihrer Gefährlichkeit wird eine Sepsis oft nicht oder zu spät erkannt, denn die Symptome können auch durch andere Erkrankungen, zum Beispiel eine Grippe, verursacht sein. In einigen Fällen (circa zwölf Prozent) treten die typischen Symptome auch gar nicht auf. Vor allem bei älteren Menschen werden Anzeichen wie Verwirrtheit, Fieber und Störungen der Organfunktion zudem häufig zunächst übersehen oder fehlgedeutet. So vergeht wertvolle Zeit und die Überlebenschancen der Betroffenen sinken.
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Plötzliche Verwirrtheit ist ein Alarmzeichen
Klagt ein Betroffener über schwerstes Krankheitsgefühl, entwickelt er Fieber, atmet er schnell und macht er dabei einen verwirrten Eindruck, sind das eindeutige Alarmzeichen für eine Sepsis. Entscheidend ist die plötzliche Verwirrtheit, die bei anderen schweren Infektionen wie einer Grippe nicht auftritt. In diesem Fall ist keine Zeit zu verlieren, denn es droht ein Organversagen und der Betroffene muss schnellstmöglich intensivmedizinisch behandelt werden: Sofort den Notarzt rufen (Rettungsleitstelle 112)!
Dass man eine Blutvergiftung an einem blauen oder roten Strich von einer Wunde zum Herzen erkennen könne, ist ein Irrglaube. Ein solcher Strich ist vielmehr ein Symptom einer entzündeten Lymphbahn. Unbehandelt kann sich daraus allerdings auch eine Blutvergiftung entwickeln, da die Lymphbahnen letztlich in einer Vene münden.
Wer hat ein erhöhtes Risiko?
Ab einem Alter von 50 Jahren steigt die Gefahr, eine Sepsis zu erleiden – ältere Menschen ab etwa 75 Jahren, Menschen ohne Milz und Immunsupprimierte haben aufgrund eines schwachen Immunsystems ein erhöhtes Risiko. Diabetiker sind ebenfalls besonders gefährdet und sollten ihren Blutzucker gut einstellen. Für sie alle ist es wichtig, sich impfen zu lassen – zum Beispiel gegen Grippe, Erreger der Lungenentzündung und auch gegen das Coronavirus.
Was passiert bei einer Sepsis?
Eine Sepsis beginnt immer mit einer Infektion, zum Beispiel einer eitrigen Wunde, einer Zahnwurzel-, Harnwegs-, oder Nasennebenhöhlenentzündung, einer Gallenblasen- oder Lungenentzündung, einem geplatzten Blinddarm oder Magen-Darm-Erkrankungen. Auch nach Operationen und anderen medizinischen Eingriffen, wie dem Legen eines Dauerkatheters, kann es zu einer Sepsis kommen, wenn dabei Erreger in die Blutbahn gelangen.
In der Regel gelingt es dem Immunsystem, die Erreger erfolgreich zu bekämpfen. Bei einer Sepsis aber gerät die Lage außer Kontrolle: Die Krankheitserreger und von ihnen produzierte Giftstoffe verteilen sich über die Blutbahn und das Immunsystem reagiert darauf mit einer heftigen Entzündung im ganzen Körper.
Die weißen Blutkörperchen setzen Gifte und Botenstoffe frei, die die Erreger bekämpfen, aber auch kleine Blutgefäße schädigen und regelrecht durchlöchern. Große Mengen Flüssigkeit gelangen so ins Gewebe, die Blutgerinnung gerät außer Kontrolle und immer mehr winzige Blutgerinnsel verstopfen die Gefäße im ganzen Körper. Im weiteren Verlauf kommt es durch den resultierenden Sauerstoffmangel oft zu lebensbedrohlichen Störungen der Organfunktionen – bis hin zum sogenannten septischen Schock.
Fast jeder dritte Betroffene überlebt nicht
Auch wenn Intensivmediziner durch Beatmung, Blutwäsche, Kreislaufunterstützung, Gerinnungstherapie und künstliches Koma viele Organfunktionen vorübergehend ersetzen oder unterstützen können, ist die Sepsis eine sehr schwere Erkrankung, die fast jeder dritte Betroffene trotz maximaler Therapie nicht überlebt.
Bei einem septischen Schock stirbt sogar jeder Zweite. Da die Überlebenschance vor allem davon abhängt, wie frühzeitig die richtige Therapie eingeleitet wird, sollte eine Sepsis niemals verschleppt werden. Treten im Verlauf einer Infektionskrankheit plötzlich Symptome wie Kurzatmigkeit, Herzrasen, Wahrnehmungs- oder Gedächtnisstörungen auf, ist das ein dringender Notfall, der im Krankenhaus abgeklärt werden muss.
Behandlung mit Antibiotika
Um den Krankheitserreger zu identifizieren, nehmen Ärzte vor Therapiebeginn Blut ab und versuchen, die Keime im Brutschrank zu vermehren. Dann lässt sich besser bestimmen, um welchen Erreger es sich genau handelt und wie er am besten zu behandeln ist. Aber nur in 30 bis 40 Prozent der Fälle lässt sich der Erreger überhaupt genau ermitteln.
Bisher stehen nur wenige Medikamente zur Verfügung, die das Fortschreiten der Sepsis so lange aufhalten, bis die Keime identifiziert werden und die passenden Antibiotika gegeben werden können. Schon bevor die Ergebnisse vorliegen, wird deshalb meist auf Verdacht mit Antibiotika behandelt, die gegen viele verschiedene Keime wirken. Denn je früher die Therapie beginnt, desto höher ist die Überlebenschance. In der ersten Stunde beträgt sie noch 80 Prozent. Mit jeder Stunde sinkt die Überlebenschance jedoch und es steigt die Möglichkeit des Organversagens oder dass Arme, Beine und Finger absterben.
Spätfolgen: Post-Sepsis-Syndrom
Überlebende leiden oft an Spätfolgen einer Sepsis, dem sogenannten Post-Sepsis-Syndrom. Viele Betroffene, die eine Sepsis überstanden haben, brauchen lange, um sich zu erholen. Für jeden Tag Intensivtherapie rechnen Experten eine Woche Erholung. Und: Viele Betroffene leiden auch noch nach Jahren unter den Spätfolgen: Chronische Erschöpfung, Appetitlosigkeit, posttraumatische Belastungsstörung, Bewegungseinschränkungen und kognitive Defizite sind typisch. Auch Organschäden und Durchblutungsstörungen oder gar Verlust von Extremitäten können die Folge sein.
Sepsis: Hohe Sterblichkeit in Deutschland
Im Vergleich zu Ländern wie USA, Australien oder Großbritannien ist die Sterblichkeit in Deutschland wesentlich höher. Expertinnen und Experten fordern deshalb mehr Impfungen (vor allem gegen Pneumokokken, sowie jährliche Corona- und Grippeschutzimpfungen), Reduzierung von vermeidbaren Krankenhausinfektionen, eine bessere Aufklärung in der Bevölkerung und eine bessere Früherkennung. Um die Überlebenschancen der Betroffenen zu steigern, fordern Experten regelmäßige Schulungen für Ärzte und Pflegepersonal, damit diese die einzuleitenden Schritte immer wieder trainieren. Wichtig ist dabei auch die fachübergreifende Zusammenarbeit von Anästhesisten, Chirurgen, Apothekern, Radiologen und Intensivpflegekräften
Schnelltest identifiziert Keime
In Jena haben Ärzte und Naturwissenschaftler einen Chip entwickelt, der innerhalb von drei bis vier Stunden den für die Sepsis verantwortlichen Keim entlarven und sogar zeigen kann, ob dieser gegen bestimmte Antibiotika resistent ist oder nicht. Mit den bisherigen Laborverfahren liegen diese Informationen erst nach 24 oder 48 Stunden vor. Der damit erreichbare Zeitgewinn erhöht die Überlebenschance der Betroffenen deutlich. Bis die Neuerung aber tatsächlich im medizinischen Alltag ankommen wird, werden aber wohl trotzdem noch ein paar Jahre vergehen.
Sepsis-Früherkennung: Einsatz von KI wird getestet
Um Menschen vor einer Sepsis zu bewahren, wird auch Künstliche Intelligenz (KI) eingesetzt. Denn das Behandeln einer beginnenden Sepsis ist einfach, sie frühzeitig zu erkennen aber schwierig. Am Uniklinikum Greifswald misst beispielsweise eine KI mittels eines Trackers am Handgelenk von frisch operierten Patienten rund um die Uhr Vitalwerte wie Atem- und Herzfrequenz, Temperatur, Sauerstoffsättigung und Blutdruck. Fallen Werte ab, wird eine Ärztin oder ein Arzt übers Handy alarmiert und kann die Patientin oder den Patienten sofort behandeln. Nur eine mögliche Bewusstseinsveränderung bei den Betroffenen müssen Pflegekräfte und Ärztinnen und Ärzte noch selbst regelmäßig beurteilen. Noch läuft die Anwendung in einer Studie.
Auch am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel soll in Zukunft eine KI helfen – sie heißt MAIA. Diese greift auf alle Daten von Patientinnen und Patienten zu, die im Krankenhaus angelegt werden – Befunde, Blutwerte, Vitalparameter. MAIA vergleicht diese aktuellen Informationen laufend mit Millionen anonymisierten Datensätzen ehemaliger Patientinnen und Patienten und schlägt Alarm, wenn sie anhand des Vergleichs erkennt, dass eine Sepsis droht. So ist frühzeitiges Eingreifen für Medizinerinnen und Mediziner möglich.
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