Urlaub bei Locals in Malaysia: zu Gast im Homestay | ABC-Z

Die Luftfeuchtigkeit schraubt die gefühlte Temperatur auf Saunaniveau hoch, Schweißperlen kullern ungehindert die Schläfen hinab, während die Hände ein paar dünne Wurzeln umklammern, um zu verhindern, dass die Füße von den noch dünneren Wurzeln abrutschen ins schlammbraune Wasser. Kurz muss ich an die Krokodile denken, von denen Cobra gestern erzählt hat. An Stränden und Flüssen werden sie gelegentlich gesichtet, von den Mangroven hat er nichts gesagt. Oder doch?
Cobra, der eigentlich Jeffry Yahya heißt, ist unser Gastvater. Zwei Tage lang sollen wir, zwei Kleinkinder samt Eltern, sein Zuhause als das eigene betrachten. Cobra betreibt gemeinsam mit rund 50 anderen Familien aus 15 Dörfern das Misompuru Homestay in Sabah, einem Bundesstaat im malaysischen Teil der Insel Borneo. Das Konzept: Die Familien nehmen Touristen bei sich auf und lassen sie am ganz normalen Dorfleben teilhaben. Man schläft unter einem Dach, isst zusammen, sucht vormittags gemeinsam Muscheln in den Mangroven und döst nachmittags in der Hängematte.
Über einen Feldweg rollen wir mit dem Mietwagen an Kokospalmen vorbei, auf dem Boden wachsen Ananas. Cobras Haus versteckt sich fast vollständig hinter dichtem Grün. Trotzdem bleibt unsere Ankunft in der Dämmerung nicht lange unentdeckt. Zuerst kommen die Mücken. In Schwärmen. Aber kaum haben wir unsere Schuhe ausgezogen und auf den schweren Holzmöbeln auf der Terrasse Platz genommen, schauen auch die ersten neugierigen Dorfkinder vorbei. Ein paar schüchterne Blicke später zieht die ganze Meute samt Federballschlägern und unserem Vierjährigen los und lässt sich erst zum Abendessen wieder blicken.
Alles, was auf dem Tisch landet, kommt aus dem Garten oder den Mangroven: das Hühnchen mit der Chili-Ananas, gebratene Fische und Muscheln, Wassermelone und Mango. Nirgendwo in Malaysia haben wir so gut gegessen wie hier. Cobra erzählt von den Affen, die die Mangos im Garten fressen. „Aber wir lassen die Tiere in Ruhe. Das haben wir durch den Tourismus gelernt“, sagt er. Affen, die durch den Garten tollen, sind eine Touristenattraktion; tote Affen schlecht fürs Geschäft.
Malaysia ist kein armes Land, das Bruttoinlandsprodukt pro Kopf ist fast doppelt so hoch wie im Nachbarland Thailand. Trotzdem sind die Unterschiede zwischen den ländlichen Regionen und den großen Städten – allen voran Kuala Lumpur mit seinen Shoppingmalls voller Designermarken – nicht zu übersehen. Um Touristen auch in abgelegene Gegenden zu locken und damit Armut und Landflucht zu bekämpfen, hat das malaysische Tourismusministerium vor 30 Jahren das Homestay-Experience-Programm ins Leben gerufen. Mit wachsendem Erfolg: Annähernd eine halbe Million Gäste beherbergten die Homestays im Vor-Corona-Jahr 2019, insgesamt 6,5 Millionen Euro spülte das in die Dorfkassen. Landesweit gab es im Jahr 2023 gut 3300 Homestay-Betreiber.
Dschungeltrekking und Kautschukzapfen
Die Voraussetzungen sind gut: Tropischer Regenwald und unzählige indigene Volksstämme mit eigener Küche und eigener Kultur machen die Dörfer interessant, die guten Englischkenntnisse der Bevölkerung erleichtern die Verständigung. Je nach Lage und kulturellem Hintergrund bieten die Homestays ihren Gästen die verschiedensten Aktivitäten an, vom Dschungeltrekking bis zum Kautschukzapfen, vom Kochkurs bis zum Drachenfliegen. Uns lockt vor allem die versprochene Authentizität. Das echte Borneo. Begegnungen auf Augenhöhe. Einfache Verhältnisse statt Klimaanlagen-Luxus. Selbstversorgung statt Supermarkt.
Doch die Suche nach dem richtigen Homestay gestaltet sich schwierig. Überall im Land gibt es Nachahmer, die ohne Zertifizierung am Erfolg teilhaben wollen; ohne das Dorf- und Familienleben, den Kampung-Lifestyle mitzuliefern. Andere Homestays werben mit Folklore: Demonstrationen jeglicher Handwerkskunst und Tanzvorführungen, bei denen bleichbeinige Urlauber ungelenk zwischen den Einheimischen hertrippeln. Mir war das schon immer ein Graus.

Das traditionelle „Longhouse“, das Misompuru im Programm hat, meiden wir deshalb bewusst. Das lange Bambushaus, in dem jede Familie ein eigenes Zimmer bewohnte, das soziale Leben aber auf der gemeinsam genutzten Veranda stattfand, ist heute eine reine Touristenunterkunft. Die etwa 25.000 Rungus in Nord-Sabah haben sich längst ihre eigenen Häuser gebaut, sind vom Animismus zu Christentum und Islam übergelaufen. Was sich nicht verändert hat, ist ihr Verhältnis zu den Mangroven. „Sie sind unser Leben“, sagt Cobra. Hier finden die Menschen aus seinem Dorf Nahrung: Krebse, Muscheln, Garnelen, Fisch. Ein Selbstbedienungsladen der Natur auf einer Fläche fast dreimal so groß wie der Frankfurter Flughafen. Am nächsten Morgen wollen wir mit.
Die Nacht wird ruhig und gemütlich. Die Lizenzen des Tourismusministeriums sind unter anderem an gewisse Hygienestandards und adäquate Schlafräume gebunden. Eine der Auflagen, die die Behörden den Homestays machen: Touristen brauchen anständige Toiletten – dafür gibt es sogar staatliche Fördergelder, bis zu 1000 Euro pro Haus. Anschnallgurte brauchen sie offenbar nicht, weshalb unser Sohn vor Freude jauchzend auf der Ladefläche von Cobras Pick-up mit zum Mangrovenwald fährt.

Mindestens einmal die Woche kommt unser Gastvater. Flink klettert er über die Wurzeln, immer tiefer hinein in den Wald. Erst in Badelatschen, dann barfuß. Für unseren Vierjährigen sind die Mangroven ein Kletterparcours, ein riesiger Abenteuerspielplatz, dessen Ende nicht zu erahnen ist. Die Wurzeln tragen uns ohne das leiseste Knacken, obwohl viele kaum dicker als ein Daumen sind. Wir lauschen durch das Sirren der Zikaden auf das dumpfe Geräusch der Muschelschalen, wenn Cobra mit seiner Machete im flachen Wasser stochert. Und wenn er eine der Muscheln aus dem Wasser zieht, groß wie eine Kinderfaust, jubeln wir, als hätten wir einen Schatz gefunden.
Besserer Lebensstandard durch Tourimus
Ohne Touristen verbringen die Rungus oft den halben Tag in dem surrealen Märchenwald, klettern kilometerweit hinein, die Hängematte im Gepäck. Wir lassen es nach zwei Stunden gut sein, kontrollieren noch die Krebsfallen und schenken den Tieren, die zu klein sind, die Freiheit. Die Muscheln aber serviert Cobras Frau zum Mittagessen.
Am Nachmittag gehen die Kinder mit einfachen Bambusstöcken und kleinen Tintenfischen als Köder am Teich hinter dem Haus angeln. Der Wildwuchs ringsum ist wohl orchestriert: Hier ist die niederländische, dort die russische, ein Stück weiter die japanische Ecke des Gartens. Mit jedem Besucher pflanzt Cobra einen Baum, ein Beitrag zur Nachhaltigkeit, den die Regierung unterstützt.
Vorrangiges Ziel des Homestay-Programms als Strategie für ländliche Entwicklung jedoch ist es, neue Jobs zu schaffen und so den Lebensstandard der Menschen zu verbessern. Funktioniert hat das zum Beispiel beim Vorzeigeprojekt Desa Murni, für das sich schon 1988 fünf Dörfer auf der Malaiischen Halbinsel zusammengeschlossen haben, um Touristen den Aufenthalt im Kampung schmackhaft zu machen. Der finanzielle Erfolg der Homestay-Pioniere nahe Temerloh im Bundesstaat Pahang rief die Regierung auf den Plan: 1995 weitete sie die Idee aufs ganze Land aus.

Das monatliche Haushaltseinkommen in Desa Murni lag im Durchschnitt bei 100 bis 300 Euro. Heute können Haushalte je nach Auslastung ihres Homestays und zusätzlicher touristischer Angebote zwischen 500 und 1200 Euro im Monat verdienen“, sagt der Vorsitzende des lokalen Homestay-Komitees, Khairul Hakimin bin Dato Haji Sahariman. Die Regierung habe in den Ausbau der Straßen, die Strom- und Wasserversorgung investiert. Außerdem seien die Dorfbewohner, meist Bauern und Kautschukproduzenten, wieder stolz auf ihr kulturelles Erbe: „Die meisten Familien bewahren jetzt ihre traditionellen Holzhäuser, statt sie durch moderne Betonbauten zu ersetzen. Handwerkskunst und kulturelle Darbietungen wie Tänze werden wieder an die nächste Generation weitergegeben“, so Khairul.
Zuerst waren wir skeptisch. In Desa Murni versteht man sich mittlerweile als Kampungstay, eine Art Fortsetzung des Homestay-Programms. Es gibt WLAN und einen Swimmingpool für Gäste, die hier die Wahl haben, ob sie bei einer Familie oder in einer eigenen Holzhütte mitten im Dorf unterkommen möchten. Doch gerade als wir absagen wollen, kommt eine Nachricht von Bazlin, die uns während des Aufenthalts betreuen soll: „Heute Abend seid ihr zu einer Hochzeit eingeladen.“
Zeremonie bis tief in die Nacht
Tatsächlich feiert Bazlins Kollegin ihre Malam Berinai, eine Zeremonie am Vorabend der Hochzeit, bei der die Braut mit Henna bemalt wird. Die Braut begrüßt uns so herzlich, als wären wir alte Freunde, und ihre Schwiegereltern ruhen nicht eher, bis wir sämtliche Spezialitäten des Buffets probiert haben, während sich unsere einjährige Tochter friedlich neben den anderen schlafenden Kleinkindern zusammenrollt. Dazu gibt es Tee und Karaoke bis tief in die Nacht.
Viel zu früh werden wir am nächsten Morgen von lauten Stimmen geweckt. Am Gemeindepool scheint eine ganze Schulklasse im Flipflop-Weitwurf gegeneinander anzutreten. Doch die Kontrahenten tragen alle das gleiche T-Shirt: „Family Weekend“ steht darauf. Tatsächlich machen neben Besuchern aus Japan und Südkorea vor allem inländische Touristen das Gros der Homestay-Teilnehmer aus, auch unter den jährlich 10.000 bis 15.000 Gästen in Desa Murni.

Ein paar Flipflop-Würfe darf unser Vierjähriger machen, dann holt Bazlin uns ab: Es gibt Reisbrei mit Erdnüssen zum Frühstück, wir besichtigen eine Fischfarm und eine Kautschukplantage, bevor es weitergeht in eine ruhige Wohngegend. Die Familie von Norhanasiah Binti Harun ist eine von mehr als 40, die in Desa Murni Gäste aufnehmen. Und die Hausherrin ist eine leidenschaftliche Congkak-Spielerin. Die Regeln bleiben ein Rätsel, aber Norhanasiah freut sich diebisch darüber, dass es uns gelingt, ihr einige Murmeln aus den Mulden des Holzschiffs abzuluchsen.
Etwa fünf- bis siebenmal im Jahr nimmt die Familie Gäste auf. Damit alle Haushalte gleichermaßen am Programm teilhaben können, werden die meisten Homestays von Komitees innerhalb der Dörfer gemanagt. Und die kümmern sich nicht nur um eine faire Verteilung der Besucher, sondern setzen auch bei der Versorgung der Touristen auf lokale Kleinunternehmer. „Für viele Dorfbewohner, die früher Jobs in der Stadt gesucht haben, gibt es jetzt neue Geschäftsmodelle, vom Transportservice über Catering bis hin zum Tourguide“, sagt Khairul und betont, dass vor allem junge Leute und Frauen von dieser Entwicklung profitieren.
Wir sehen das ein bisschen anders. Monatelang sind wir durch Malaysia gereist, haben Schnorchelausflüge und Nachtwanderungen durch den Dschungel gemacht, Millionen Fledermäuse ihre Höhle verlassen sehen und Babyschildkröten am Strand freigelassen. Und was war das Schönste auf unserer Reise? Der Besuch bei den Kindern, sagt unser Vierjähriger.





















