Wohnen

Nicht fürs Geld: Romane von Woody Allen und Louis Kohlenstoff.Kalium. | ABC-Z

Warum er sich ausgerechnet einer sterbenden Kunstform bediene – diese in ihrer Übertreibung komische, im Kern aber ernst gemeinte Frage stellte der Late-Night-Moderator Bill Maher jüngst dem Comedian Louis C.K., der gekommen war, um über seinen ersten Roman zu sprechen. Es sei doch verrückt, so Maher, er habe kürzlich gelesen, dass es in einem Land mit etwa 340 Millionen Einwohnern genüge, 10.000 Exemplare eines Buches zu verkaufen, um einen Erfolg zu landen. Daraufhin die an den Gast gerichtete rhetorische Frage, die den Niedergang des amerikanischen Buchmarkts auf den Punkt bringen sollte: „So you’re doing it for the money, right?“ Der Witz hatte eine ernüchternde Pointe: Literatur ist zu einem kulturellen Nischenprodukt geworden; Geld verdient man heute anderswo.

Louis C.K. war in den Zehnerjahren einer der größten, mit höchsten Ehrungen versehenen Stars der amerikanischen Comedy-Welt. Mühelos füllte er in seinen besten Zeiten den Madison Square Garden – an drei Abenden hintereinander. Seine Bühnenprogramme und seine Serien, insbesondere die Sitcom „Louie“, lebten von einer verzweifelten Komik: Im Zentrum stand das Leiden am eigenen Körper, an der Vaterschaft, am Sex, an den Übertreibungen des spätmodernen Lebens, das er nur im Zustand des Verlachens, besonders auf eigene Kosten, zu ertragen schien. Es war faszinierend und berührend, ihm zuzusehen, aber auch etwas beunruhigend; den Verdacht, dass hinter all den Pointen über Fettleibigkeit, Depressionen und abgründiges Begehren auch ein persönliches Ringen stand, wurde man nie ganz los.

Nicht ganz ausgeschlossen, aber auf Abstand gehalten

Nicht jeden überraschte es daher, als 2017 mehrere Frauen den Vorwurf der sexuellen Belästigung erhoben; der Komiker habe sich vor ihnen entblößt und selbst befriedigt. Schnell kam der Verdacht auf, dass Kunst und Wirklichkeit an diesem Punkt ineinander übergingen: Witze über Masturbation, stets im Modus der öffentlichen Selbsterniedrigung vorgetragen, gehörten immer schon zum Programm von Louis C.K. Aber immerhin: Er bestätigte rasch in einer Erklärung die Vorwürfe und zog sich eine Zeit lang zurück, um bald darauf allerdings – für manche zu früh – seine Karriere neu aufzubauen. Und das mit einigem Erfolg. Gänzlich ausgeschlossen hat ihn der Kulturbetrieb also nicht, wenn er ihn auch weiterhin auf Abstand hält.

Louis C.K.: „Ingram“. A Novel.BenBella Books

„Ingram“ ist ein unerwartetes Buch, nicht nur, weil Komik darin keine nennenswerte Rolle spielt. Es handelt von einem Jungen zu einer Zeit, die an jene der Großen Depression erinnert. Ingram ist neun, als ihn die Eltern fortschicken, weil sie ihm das Nötigste nicht bieten können. Auf dem Weg zum jungen Erwachsenen versucht er, zu überleben und Halt zu finden. Schauplatz ist ein hartes, von schwerster Arbeit und Rassismus geprägtes Texas. Der Erzählton ist nicht eigenständig, sondern nachahmend; nach Mark Twain, J. D. Salinger oder Cormac McCarthy soll er klingen. Zudem bezieht sich das Buch ausdrücklich auf „Moby Dick“ – bereits der ungewöhnliche Name „Ingram“ erinnert fern an „Ishmael“ – und verdeckt auf Johnny Cashs „Folsom Prison Blues“.

An die Buben überall

Daraus, dass hier eine fast ausschließlich männliche Literaturtradition und Erzählwelt aufgerufen wird, macht der Autor keinen Hehl. Im Gegenteil, er schließt das Publikum mit ein, indem dem Buch die Widmung „to all boys everywhere“ gibt. Vielleicht soll es eine literarische Antwort auf jene Frage sein, die seit einiger Zeit in „anti-woken“ Zirkeln der USA diskutiert wird, zum Beispiel vor einigen Wochen im Podcast der Journalistin Bari Weiss: „Can Reading Fix Men?“ Die oft beschworene Krise der Männlichkeit, die Tatsache, dass insbesondere junge Männer seltener Beziehungen eingingen, nicht arbeiteten oder sich an der Universität einschrieben und dazu weitaus häufiger als Frauen unter ernsten psychischen Problemen litten – der Roman soll all das heilen.

Einen Bezug zu dem Skandal um seine Person stellt Louis C.K. in seinem Buch nur vermittelt her, anders als in seiner seither entstandenen Bühnenprogrammen, in denen er aus Peinlichkeit und Scham immer wieder komische Funken schlägt. Im Roman dagegen beschreibt er nur, wie der pubertierende Ingram die Masturbation entdeckt und dafür einen hohen Preis bezahlt. Für Bill Maher war das in seiner Sendung eine willkommene Vorlage: „Where do you get your ideas?“ Befreites Gelächter im Publikum, als sei endlich der Elefant im Raum benannt. Louis C.K. nahm den Ball souverän auf und entgegnete mit Ironie, aber auch Selbstgefälligkeit: „Well . . .  write what you know.“

„Ingram“ (erschienen bei Ben Bella, 288 Seiten) ist erkennbar das Buch eines in der Gattung unerfahrenen Autors. Es ist eher an soziologischen denn an ästhetischen Kategorien zu messen: In seiner Beschwörung einer amerikanischen Welt von gestern schwingt ein spürbares Unbehagen an der Gegenwart mit. Wäre sein Roman ein Kleidungsstück, wäre er eine Vintage-Jacke, die mit künstlich aufgeriebenem Stoff, ­Flicken und Löchern den Eindruck von ­Heavyness und Intensität erwecken soll – aber ziemlich traurig wirkt.

Woody Allen
Woody Allendpa

Der Zufall will es, dass fast zeitgleich ein anderer Großkünstler der amerikanischen Unterhaltungskultur, dessen Name seit einigen Jahren nie ohne den Zusatz „umstritten“ oder „kontrovers“ in den Mund genommen wird, seinen ersten Roman veröffentlicht: Woody Allen. Den Vorwurf des sexuellen Missbrauchs an seiner Adoptivtochter Dylan Farrow bestreitet er bis heute und hat darauf hingewiesen, dass die Ermittlungen zu keiner Anklage führten. Der Kontext war im Zuge von MeToo allerdings ein anderer: Seither machen viele einen Bogen um ihn.

„What’s with Baum?“ ist ein typischer Woody-Allen-Film – nur eben als Buch. Es erzählt von einem mittelalten jüdischen Schriftsteller in der Krise. Nicht nur mit dem Schreiben geht es bergab; auch privat gibt es Spannungen. Der Sohn seiner Lebensgefährtin schreibt ebenfalls Romane, die von der Kritik gelobt werden und zugleich kommerziell erfolgreich sind. Für Asher Baum ist das kaum zu ertragen. Und dann verliert er auch noch seinen Verlag, nachdem der Vorwurf aufgekommen ist, er habe eine Journalistin im Aufzug sexuell belästigt. Baum flüchtet sich in hilflose Erklärungsversuche, teils ins Sexistische, teils ins Rassistische gehend: Ihm sei schwindelig geworden, und als er sich ­irgendwo habe festhalten wollen, sei da eben diese Brust gewesen . . .

Woody Allen: „What's With Baum?“ A Novel.
Woody Allen: „What’s With Baum?“ A Novel.Post Hill Press

Das dramaturgisch Geschickte an diesem Roman: Baum wird beschrieben in einer Phase, in der die Wolken sich bereits über ihn zusammengezogen haben, der Sturm aber noch nicht losgebrochen ist. Nur, dass er zerstörerisch sein und die Reste von Baums Reputation hinweg­fegen wird, steht außer Frage. „What’s with Baum?“ (erschienen bei Post Hill Press, 192 Seiten) ist ein Roman der gestundeten Zeit – und einer, der auf keiner Seite einen Zweifel daran lässt, dass hier ein erfahrener Erzähler am Werk ist. Woody Allen hat seit Jahrzehnten Kurzgeschichten geschrieben und veröffentlicht, und auch seine Filme sind oft literarisch angelegt, man denke nur an „Hannah und ihre Schwestern“ mit seiner Kapitelstruktur und den Verweisen auf Ibsen und E. E. Cummings.

Eine Beschuldigung gleiche heute schon einer Verurteilung, sagt eine Romanfigur

Die Bezüge im Roman zu Allens eigener Situation liegen offen zutage. Dem öffentlichen Bild des Regisseurs entsprechend ist Asher neurotisch, ängstlich, liebt New York, Jazz, Kunstgalerien und die ­Filme Ingmar Bergmans. Dazu kommen Sätze, die fast schon darum bitten, als Selbstkommentar gelesen zu werden – und zugleich als Erweiterung von Allens Autobiographie und Selbstrechtfertigungsschrift „Apropos of Nothing“ von 2020 in die Sphäre der Fiktion: „In today’s culture an accusal is as good as a convic­tion“, sagt Baums Agent.

Wie naheliegend es ist, die Romane von Louis C.K. und Allen als literarische Verwandte zu lesen, zeigen die sie begleitenden Fotos der Autoren: Beide haben sich an Schreibmaschinen ablichten lassen. Das erzeugt ein auratisches Bild von Autorschaft, das seinen Ort tief im zwanzigsten Jahrhundert hat: raschelndes Papier und mechanischer Lärm statt Bildschirm, Textverarbeitung und Künstliche Intelligenz. Man kann derlei Sehnsüchte bedienen, sollte sich aber darüber bewusst sein, dass die Zahlen, die Bill Maher als Beleg für die sterbende Literatur ins Feld führt, nur das eine sind. Das andere sind Bücher und Autoren, die wenig mehr zu bieten haben als Gesten des Rückzugs, des Rückblicks, der leisen Klage. Während man dies Woody Allen weniger zum Vorwurf machen kann – schließlich entstammt er der Welt, die er mit seinem Buch noch einmal zum Leben erweckt –, muss sich Louis C.K. diese Kritik schon gefallen lassen: Wenn nicht nur er „Ingram“ für einen großen Roman hält, sondern auch die Leser, dann hat er der Literatur einen Bärendienst erwiesen.

Hinweis der Redaktion: Von beiden Romanen ist bislang keine Übersetzung ins Deutsche angekündigt. Der Rowohlt Verlag, der lange Woody Allens Bücher auf Deutsch veröffentlicht hat und diesen auf seiner Homepage per Zitat als „größten lebenden Komiker“ bewirbt, teilte auf Anfrage der F.A.Z. mit, dass er Allens Debütroman nicht veröffent­lichen werde. 

Back to top button