BVB: Niclas Füllkrug – „Ich kann verstehen, dass Dortmund die Ablöse mitnehmen wollte | ABC-Z
Niclas Füllkrugs Wechsel von Borussia Dortmund zu West Ham United in die Premier League zählte zu den überraschenderen Transfers in diesem Sommer. Im Interview aber lässt der Nationalstürmer durchblicken, dass es ein logischer Schritt war. Zwei Umstände waren dafür ausschlaggebend.
Vergangene Woche hatte Niclas Füllkrug seinen Wechsel zu West Ham United in diesem Sommer mit einem ungewohnt deutlichen Hinweis über seine Enttäuschung vom Verhalten von Borussia Dortmund begründet. Er wolle niemandem „auf die Füße treten“, sagte der 31 Jahre alte Stürmer einleitend, „doch der Transfer, den der BVB getätigt hat, war nicht der größte Vertrauensbeweis“.
Mit der Verpflichtung von Serhou Guirassy fühlte sich der 31-Jährige in diesem Sommer offenkundig nicht mehr im gleichen Maße wertgeschätzt. Was folgte, war jedenfalls der Transfer zum Londoner Premier-League-Klub.
Frage: Herr Füllkrug, viele Dortmund-Fans waren überrascht, dass Sie den Verein nach nur einem Jahr Richtung West Ham verlassen haben. Können Sie Ihre Entscheidung erklären?
Niclas Füllkrug: Ich durfte in der vergangenen Saison mit der Nationalmannschaft eine Heim-EM mit unvergesslichen Momenten erleben und mit dem BVB das Champions-League-Finale spielen. Dadurch haben sich für mich, auch aufgrund der Kadersituation bei Borussia Dortmund, Möglichkeiten ergeben, mit denen ich mich einfach beschäftigen musste. Ich bin jetzt 31 Jahre alt. West Ham hat sich dann wahnsinnig um mich bemüht. Die Premier League finde ich unfassbar reizvoll. Das war die große Chance, noch mal ein komplett neues Kapitel in meinem Leben aufzuschlagen. Dieser Schritt hat sich richtig angefühlt.
Frage: Auf der DFB-Pressekonferenz vor dem Länderspiel gegen Ungarn sagten Sie, dass der Transfer von Serhou Guirassy für Sie nicht der größte Vertrauensbeweis gewesen sei.
Füllkrug: Ich weiß nicht, ob Vertrauensbeweis das richtige Wort war. Aber: Ich habe es in den vergangenen drei, vier Jahren geschafft, immer ein noch besseres Niveau zu erreichen. Das soll so bleiben. Ganz wichtig ist dafür, einen Klub zu haben, in dem ich eine zentrale Rolle spiele, bei dem ich wichtig bin. Bei dem auch der Spielstil ein Stück weit auf mich ausgerichtet ist.
Frage: Dortmund schlug vergangene Saison mit 258 Flanken die wenigsten in der Bundesliga.
Füllkrug: Ich bin ein Mittelstürmer, der oft mit dem ersten Kontakt trifft, der auf Flanken angewiesen ist. Der BVB erhofft sich von einem Stürmer viele Treffer. Aber ein Angreifer erhofft sich natürlich auch, wenn er zum BVB wechselt, mehr Chancen auf Tore.
Frage: Sie erzielten 15 Pflichtspiel-Treffer und gaben zehn Torvorlagen für Dortmund. Wie bewerten Sie Ihre Zeit beim BVB?
Füllkrug: Ich glaube, dass ich die Lücke im Sturm unverhofft gut füllen konnte. Als ich 2023 verpflichtet wurde, haben nur die Wenigsten damit gerechnet, dass ich 43 Pflichtspiele für Dortmund mache.
Frage: Davon 39 Partien von Beginn an.
Füllkrug: Für sein Vertrauen bin ich dem Trainer (Edin Terzic, die Redaktion) deshalb sehr dankbar. Ich habe vor allem in der Champions League wichtige Treffer erzielt. Insgesamt war es eine gute Saison, wenn man bedenkt, dass es meine erste war mit Bundesliga, Champions League, DFB-Pokal und Nationalmannschaft. Diese neue zusätzliche Belastung hat in einigen Phasen schon ein wenig geschlaucht. Am Ende war es für alle Seiten aber ein feiner und fairer Deal.
Frage: Ist Dortmund mit Ihnen – was die Personalie Guirassy betrifft – ehrlich umgegangen?
Füllkrug: Sebastian Kehl hat es öffentlich kommuniziert, dass er mich rechtzeitig informiert habe. Das stimmt. Das fand ich sehr fair. Ich habe ihm aber auch ehrlich meine Meinung dazu gesagt. Es bleibt aber nichts hängen. Und ich bin dem BVB in vielen Punkten sehr dankbar, ganz besonders den Fans.
Frage: Waren Sie überrascht, dass Dortmund Ihnen die Freigabe erteilte, nachdem Sie Ihren Wechsel-Wunsch hinterlegt hatten?
Füllkrug: Nein. Am Ende weiß ich auch nicht, ob der BVB – als er mich vor einem Jahr holte – überhaupt damit gerechnet hat, mit mir nochmals eine so hohe Transfereinnahme zu generieren (für den Wechsel kassiert Dortmund bis zu rund 30 Millionen Euro Ablöse, die Redaktion). Ich kann verstehen, dass sie diese Ablösesumme mitnehmen wollten.
Frage: Was waren Ihre Highlights beim BVB?
Füllkrug: Auf jeden Fall die besonderen Nächte in der Champions League mit den Spielen gegen Atlético Madrid, gegen Paris St. Germain und das Finale gegen Real Madrid – alles immer mit der unglaublichen Unterstützung der Anhänger. Das sorgte immer wieder für Gänsehaut-Momente, davon werde ich noch meinen Enkelkindern erzählen.
Frage: Wie hat Sie West Ham überzeugen können?
Füllkrug: Zu Tim Steidten (Technischer Direktor von West Ham, die Redaktion) habe ich seit unserer gemeinsamen Zeit bei Werder einen guten Kontakt. Er hat einen großen Anteil. Ausschlaggebend waren am Ende dann die Gespräche mit Trainer Julen Lopetegui.
Frage: Wieso?
Füllkrug: Ich hatte sofort ein gutes Gefühl. Er erklärte mir, wo er mich auf dem Spielfeld sieht, wie ich dem Team mit meinen Stärken helfen kann. Er vermittelte mir sofort den Eindruck, dass er mich unbedingt will und ich gebraucht werde. Diese entgegengebrachte Wertschätzung habe ich bekommen, weil ich insbesondere in der Champions League und in der Nationalmannschaft – auch bei der Heim-EM – performt habe.
Frage: Was erhoffen Sie sich von Ihrem neuen Coach – auch mit Blick auf die Nationalmannschaft?
Füllkrug: Dass er mich zusammen mit der Qualität des Kaders noch einmal auf ein anderes, noch besseres Level bringt. Deswegen arbeite ich noch ein Stück härter als die vergangenen Jahre. Ich werde auch noch disziplinierter leben. Denn ich habe die Erfahrung gemacht: Harte Arbeit zahlt sich am Ende immer aus.
Frage: Wie groß war der Reiz, in der Premier League zu spielen?
Füllkrug: Ich spielte 13 Jahre als Profi in Deutschland. Der Reiz, in der Karriere nochmals etwas anderes zu erleben, sich aufgrund der wirtschaftlichen Möglichkeiten in der stärksten Liga mit den besten Spielern messen zu können, ist natürlich sehr groß gewesen – nachdem für mich feststand, den BVB verlassen zu wollen. Ich fand es emotional auch schwer, innerhalb der Bundesliga vom BVB zu einem anderen Klub zu gehen. Dortmund wird neben Werder Bremen immer ein ganz besonderer Verein für mich bleiben.
Frage: Welche Ziele haben Sie mit West Ham?
Füllkrug: Der Verein hat die abgelaufene Transferperiode genutzt, um den Kader umzubauen und zu verstärken (über 140 Millionen Euro hat West Ham für neue Spieler ausgegeben). Wenn man im Training die Qualität der Jungs sieht, dann ist das schon ein sehr hohes Niveau. Klar müssen wir uns noch finden. Aber das Ziel des Vereins ist, den europäischen Wettbewerb wieder zu erreichen.
Frage: Jan Aage Fjörtoft hat in SPORT BILD zu Saisonbeginn gesagt, dass Sie der beste Einkauf der Premier League sind und mehr als die zwölf Liga-Tore wie vergangene Saison in Dortmund machen. Welche der beiden Aussagen würden Sie unterschreiben?
Füllkrug: Bester Transfer weiß ich nicht. Die andere würde ich schon unterschreiben.
Frage: Titel werden Sie mit West Ham kaum gewinnen.
Füllkrug: Natürlich will ich den größtmöglichen Erfolg. Doch ich bin nicht der Typ, der nur irgendwelchen Titeln nacheifert. Ich bin stolz auf die Torjäger-Kanone (Füllkrug wurde in der Saison 2022/23 Bundesliga-Torschützenkönig, die Redaktion). Die steht in meinem Wohnzimmer. Ich bin stolz auf die silberne Champions-League-Medaille. Aber was mir viel mehr gibt, ist mit den Jungs bei der Nationalmannschaft zusammen zu sein oder mit meinen Teamkollegen im Verein. Das bedeutet mir emotional und gefühlstechnisch so viel mehr als ein Pokal im Schrank.
Frage: Welche englischen Fußball-Begriffe mussten Sie lernen?
Füllkrug: Keine, denn beim BVB wurden die Besprechungen oft nur auf Englisch gehalten, die Kabine war international. Dazu spreche ich sehr gut Englisch, ich habe keine Probleme.
Frage: Bisher standen Sie in der Premier League noch keinmal in der Anfangs-Formation. Wie bewerten Sie Ihren Start?
Füllkrug: So ein Wechsel ins Ausland ist schon noch mal etwas anderes als ein nationaler Wechsel, deswegen gebe ich mir Zeit. Ich hatte wegen der EM weniger Urlaub als sonst, dazu eine kürzere Vorbereitung, das merkt man. Ich bin dabei, den Rückstand aufzuholen, was gut funktioniert. Der Verein ist geduldig und wir haben einen klaren Plan, wie das mit mir funktionieren soll und kann. Den verfolgen wir.
Frage: In der Nationalmannschaft beförderte sie Bundestrainer Julian Nagelsmann zuletzt in den Mannschaftsrat. Stolz?
Füllkrug: Allein für die Nationalmannschaft zu spielen, dazu mit der legendären Rückennummer neun, das ist für mich das Größte. Ich habe von Anfang an versucht, viel Verantwortung zu übernehmen, dem Team Energie zu geben. Das hat der Trainer registriert. Es macht mich unheimlich stolz, im Mannschaftsrat und somit ein fester Bestandteil der Nationalelf zu sein. Ich liebe es, immer wieder im Kreise der Jungs beim DFB zu sein.
Frage: Haben Sie mit Nagelsmann und Nationalmannschafts-Direktor Rudi Völler über Ihren Wechsel gesprochen?
Füllkrug: Ja. Beide haben mir gratuliert. Rudi Völler, der ein Vorbild und eine Kultfigur ist, ging als Spieler einen ähnlichen Weg – also ins Ausland. Davon profitierten er und die Nationalmannschaft. Ich hoffe, das wird bei mir genauso sein.
Frage: Bei der Heim-EM schied Deutschland im Viertelfinale gegen den späteren Europameister Spanien aus. Ist mit der DFB-Auswahl bei der WM 2026 nach zweimaligem Scheitern in der Vorrunde 2018 und 2022 wieder zu rechnen?
Füllkrug: Spanien hatte es bei der EM in keinem Spiel so schwer wie gegen uns. Vor dem Turnier schlugen wir Frankreich. Wir sind wieder wettbewerbsfähig. Wir können die Spiele fußballerisch so gestalten, wie wir sie am Ende haben wollen. Ob mit viel Ballbesitz oder auch mal etwas abwartend. Das gibt mir ein sehr gutes Gefühl für die nächsten zwei Jahre. Trotz des Umbruchs, trotz Rückschlägen, die es vielleicht mal geben wird.
Das Interview wurde für das Sport-Kompetenzcenter (WELT, SPORT BILD, BILD) geführt und zuerst in SPORT BILD veröffentlicht.