Wirtschaft

Ein zweites Wolfsburg: VW entwickelt zum ersten Mal komplett in China | ABC-Z

Die Leute, die den VW-Karren aus dem Softwaredreck ziehen sollen, sind meistens um die dreißig, männlich und fast ausnahmslos Chinesen. Sie sitzen Schulter an Schulter in Großraumbüros mit hunderten Leuten. Vor ihnen auf dem Bildschirm sind viele Zeilen an Computercode zu sehen, neben ihnen liegt nicht selten ein Motherboard auf dem Schreibtisch, das sie hier im Haus selbst designt haben. In Hefei in der ostchinesischen Provinz Anhui, gut zwei Zugstunden von Shanghai entfernt, schlägt das Herz des Volkswagen-Konzerns für die östliche Hemisphäre.

VW arbeitet gerade an einer Zweiteilung, die die Wirtschaftsgeschichte noch nicht so häufig gesehen hat. In der westlichen Welt kommt die Software künftig aus dem Silicon Valley, andere Teile der Entwicklung bleiben in Wolfsburg. Für die östliche Welt hat der Konzern in Hefei das neue Zentrum aufgebaut. Rund drei Milliarden Euro hat das Unternehmen dafür in den vergangenen drei, vier Jahren in den Standort investiert. Unter Konzernchef Oliver Blume, der einst in Shanghai beim Mastermind hinter Chinas Elektroaufstieg, Wan Gang, promoviert hat, wird VW in der Volksrepublik der chinesischste aller ausländischen Autohersteller.

China teilt die Autowelt in Ost und West

Doch Hefei, das machen die VW-Manager am Dienstag deutlich, ist nicht nur der erste Standort in der Konzerngeschichte, an dem Volkswagen ganze Autos, Plattformen und Architekturen von Fahrzeuggruppen eigenständig entwickelt, ohne dass Wolfsburg dazwischenfunkt. Es ist auch der neue Entwicklungsstandort für die VW-Autos in weiten Teilen der Welt. „Vor sechs Wochen haben wir angefangen, von hier Autos in den arabischen Raum zu exportieren“, sagt Thomas Ulbrich, Technikvorstand von VW in China, vor Journalisten. „Gerade evaluieren wir Zentralasien und Südostasien.“ Langfristig geht es um all die Märkte, die auf chinesische Technologie setzen und in die chinesische Autohersteller gerade auch mit Macht streben.

Nur Europa ist für China-VW Tabu. „Es gibt eine Aufteilung zwischen der östlichen und der westlichen Hemisphäre und wir als Volkswagen haben das akzeptiert“, sagt der Manager, der aufgrund seiner Erscheinung intern den Spitznamen „Hitman“ bekommen hat. Oder anders ausgedrückt: Wenn sich die Weltwirtschaft aufteilt, dann tut das VW eben auch.

Für Europas größten Autokonzern spitzt sich die Lage gerade rund um die Welt zu. In Amerika belastet Trumps Protektionismus das Geschäft, in Europa schwächelt die Nachfrage und in China sind die hohen Gewinne von einst längst Geschichte. Eine Sparrunde folgt auf die nächste, Vorstandschef Blume wirkt angeschlagen. Mit dem Zentrum in Hefei will er in China wieder aufholen, doch VW wäre nicht VW, wenn diese Aufteilung ohne Konflikte abliefe. Die Auslandsmärkte seien gerade das große Thema intern, sagt ein VW-Entwickler in Hefei der F.A.Z. „Bei praktisch jedem Land gibt es Gerangel zwischen Wolfsburg und Hefei.“ Beide Standorte kämpfen demnach um ihre Exportmärkte. Man brauche das richtige Auto im richtigen Markt, drückt es Ulbrich diplomatischer aus. Manchmal teile man sich die Länder, etwa im arabischen Raum. In Zentralasien gebe es aber keine Lieferungen aus Europa. Ein anderer Fall ist Australien, wo der Weg aus Europa einfach so weit ist, dass viel für einen Export aus China spricht.

Vor allem aber will Volkswagen von Hefei aus den chinesischen Markt wieder aufrollen. Es ist schließlich der mit großem Abstand größte Markt für elektrifizierte Autos der Welt. Zuletzt seien in der EU 3,9 Millionen elektrifizierte Autos im Jahr verkauft worden, in China seien es 13,4 Millionen, sagt Ulbrich. „Wer immer ein großer Player bei Elektroautos sein will, muss hier sein.“

Noch in diesem Jahr geht das erste Modell aus der Entwicklung in Hefei in die Produktion. Bis in zwei Jahren sollen knapp 30 neue elektrifizierte Autos auf den Markt kommen, und bis 2030 sollen es mehr als 30 reine Elektroautos sein. Schon im Herbst kam mit dem Audi ohne Ringe das erste Elektroauto auf den Markt, das Volkswagen speziell für China entwickelt hat – allerdings nicht in Hefei, sondern zusammen mit dem langjährigen Partner SAIC, einem Staatskonzern aus Shanghai. In der von einem Automedium veröffentlichten Liste der meistverkauften Autos Chinas schaffte es der Audi, der statt der ikonischen vier Ringe vorn nur einen Audi-Schriftzug hat, im Oktober mit 1700 Fahrzeugen auf Rang 269. Damit sei man recht zufrieden, verlautet es aus Konzernkreisen.

Nicht nur in China steigt der Druck auf VW

Volkswagen steht in China, genauso wie anderswo auf der Welt, enorm unter Druck. In diesem Jahr verkauft der Konzern nur noch etwas mehr als halb so viele Elektroautos in der Volksrepublik wie im Vorjahr und entwickelt sich damit fast zurück zum Verbrennerkonzern. Nur rund vier Prozent der Autos, die VW von Januar bis Ende September in China verkauft, waren reine Elektroautos.

Wie viele Stromer Volkswagen künftig in China verkaufen oder von hier aus exportieren will, wollen die Manager nicht sagen. Doch mit Blick auf Konkurrenten wie Xiaomi oder Li Auto ist klar: Nur Hersteller, die es nah an eine halbe Million Elektroautos im Jahr schaffen, können in dem enorm hart umkämpften Markt Gewinne erwirtschaften. Und mit Verlusten wolle man die Fahrzeuge nicht in den Markt drücken, betonen die VW-Vertreter. Noch ist der Konzern von diesen Zahlen weit entfernt, in diesem Jahr dürften es am Ende etwas mehr als 100.000 Elektroautos sein, die VW an die Chinesen bringt.

Die deutsche Ikone Volkswagen, teilweise selbst in staatlicher Hand, wirft sich so stark in den Wettbewerb wie kein anderer ausländischer Hersteller. 9000 Entwickler hat VW in China inzwischen. In Wolfsburg sind es rund 10.000, dazu kommen zwar noch die Angestellten von Ingenieurs-Dienstleistern. Doch in Hefei stellt VW neue Leute ein, in Deutschland folgt ein Sparprogramm auf das nächste.

Die komplexe VW-Welt ist schwer zu durchschauen

Auch die Konstruktion in Hefei ist nicht frei von den VW-typischen Komplexitäten und dem Kampf um Zuständigkeiten. Es gibt allein vier VW-Tech-Unternehmen in der Volksrepublik, alle mit eigenen Entwicklern: VCTC (Volkswagen China Tech Company), Cariad China, Carizon (ein Gemeinschaftsunternehmen von Cariad mit Horizon, einem auf autonomes Fahren spezialisierten chinesischen Unternehmen) sowie die Kooperation mit dem chinesischen E-Auto-Start-up XPENG, die im Wesentlichen wohl ein teures Lernprogramm war, um die Entwicklungszeit für neue Elektroautos zu verkürzen. Dazu kommen die inzwischen drei Autohersteller, die Autos mit VW-Logo bauen: Neben den beiden Gemeinschaftsunternehmen mit SAIC für Südchina und FAW in Nordchina noch VW Anhui.

Doch die Manager, die am Dienstag durch die Labore führten, konnten zumindest im Ansatz glaubhaft machen, dass die gesamte Entwicklung nun in Hefei gebündelt ist und die Wege kurz sind. Alle relevanten Softwareprobleme würden intern in 24 Stunden gelöst, beteuert Cariad-China-Chef Frank Han. Die mühsamen Prozesse zwischen Wolfsburg und den vielen deutschen Zuliefern sollen in Hefei der Vergangenheit angehören.

Die Softwareentwicklung ist in einem angemieteten Gebäude gebündelt, bis der Neubau auf dem Campus von VW fertig ist. Rund 900, fast ausschließlich chinesische Programmierer, kümmern sich hier darum, dass die Volkswagen-Fahrzeuge künftig ähnlich gut autonom unterwegs sind wie die von Tesla oder die der vielen chinesischen Konkurrenten. Diese kommen aus dem Hause BYD oder sind mit Huawei-Technologie unterwegs. Elf Millionen Zeilen an Code kontrolliere man selbst, sagt Han nicht ohne Stolz.

Erste Erfolge sind sichtbar: Auf einer Testfahrt durch Hefei navigiert ein Volkswagen-Serienfahrzeug autonom durch die Millionenstadt. In einem Parkhaus merkt sich das Fahrzeug eine Route über drei Stockwerke bis hin zum Parkplatz und findet danach eigenständig den Weg bis zur Parklücke. Viele chinesische Elektroautos können schon heute mehr. Doch VW steht zumindest nicht mehr blank da.

Oben im Gebäude programmieren die Entwickler, unten wird getestet, ob funktioniert, was sie sich überlegt haben. Ein Roboter klickt auf einem Tablet mit der neuesten Version der Bediensoftware herum, um die Fehler auszumerzen, für die VW-Tablets in Deutschland bekannt sind. In einem eisernen „Lab Car“, das komplett auf die Elektronik im Auto reduziert ist, testen die Entwickler, ob die Klimaanlage und die Türgriffe auf die Kommandos der neuen zentralen Steuerungseinheit richtig reagieren. Es drängt sich der Eindruck auf: Dieses Gebäude ist das, was Blumes Vorgänger Herbert Diess vorschwebte, als er das konzerneigene Softwarehaus Cariad gründete. Doch um es Realität werden zu lassen, musste der Konzern erst nach Hefei gehen.

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