Ebersberg: SPD-Politiker für AfD-Verbotsverfahren – Ebersberg | ABC-Z

Im Aßlinger Gemeindesaal referierte unlängst ein AfD-Bundestagsabgeordneter, auf dem Kirchplatz demonstrierte dagegen gleichzeitig „Aßling ist bunt“. In Grafing kam die AfD in der Turmstube der Stadthalle neben dem Max-Mannheimer-Gymnasium zusammen, draußen protestierte das Bündnis „Bunt statt braun.“ Im bayerischen Landtag, erzählt Doris Rauscher, die SPD-Abgeordnete für den Landkreis Ebersberg, ein paar Wochen später in der Ebersberger Alm, habe man schon alle Möglichkeiten ausgelotet, mit der Partei umzugehen, die jede konstruktive Mitarbeit verweigere, „in jeder Debatte menschenverachtende Äußerungen“ von sich gebe und diese ausnahmslos auf das Thema Migration lenke. „Ignorieren, sie politisch stellen?“, fragt Rauscher. Bisher habe nichts richtig funktioniert.
Ob ein Parteiverbot helfen könnte, will die SPD im Landkreis Ebersberg ausloten und hat zum „Talk“ geladen. Carmen Wegge, SPD-Bundestagsabgeordnete für die Landkreise Starnberg, Landsberg und die Stadt Germering, hat sich längst entschieden: „Ich werde nicht mit AfD-Funktionären auf ein Podium gehen.“ Und sie setzt vor gut 50 Zuhörern noch einen drauf: „Ich tue mich gar nicht schwer, mit der AfD nicht zu reden.“
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Die Zeit des Redens ist für die 36 Jahre alte Abgeordnete schon seit spätestens einem Jahr vorbei. Gemeinsam mit dem früheren Ostbeauftragten Jörg Wanderwitz von der CDU hat sie im vergangenen November jenen fraktionsübergreifenden Antrag für ein AfD-Verbotsverfahren angestoßen, der zwischen den heutigen schwarz-roten Koalitionären für latenten Unfrieden sorgt – auch wenn viel mehr Gespräche mit der Union im Bundestag liefen, als man bei so manchen öffentlichen Stellungnahmen wohl glauben möchte, so Wegge. „Auch die Union spürt den Druck auf die Demokratie.“
Doch sei man den konservativen Kollegen um eineinhalb Jahre voraus, in denen man Fachgesprächsreihen organisiert habe, Soziologen angehört, die davor gewarnt hätten, die Narrative der AfD zu übernehmen. Bis man sich entschieden habe, nun diesen Schritt zu gehen, den die Jusos oder auch der Arbeitnehmerflügel der Union schon seit Monaten fordern und den seit ihrem Parteitag im Juni nun auch die Gesamtpartei unterstützt. Und Wegge betont, dass es heute auch unter den Unionsmitgliedern solche gebe, die im Hinblick auf ein AfD-Verfahren einen guten Kompass hätten, wie etwa Bayerns Innenminister Joachim Herrmann.

Im November 2024 waren unter den 113 Bundestagsabgeordneten, die Wegge und Wanderwitz gefolgt waren, noch keine Konservativen und nur 30 Abgeordnete der SPD. „Heute steht die ganze SPD-Fraktion hinter uns“, erklärt Wegge. Auf die Frage nach dem Risiko, mit einem solchen Antrag zu scheitern, hat die Juristin eine Gegenfrage parat – in der das SPD-Bewusstsein, dass der Kampf gegen Faschisten zur DNA der Partei gehört, mitschwingt: „Was ist schlimmer? Mit einem Verbotsantrag zu scheitern oder ihn überhaupt nicht gestellt zu haben?“
Allem Anschein nach kommt die große Mehrheit der Gäste an diesem Abend zum gleichen Schluss, selbst wohl jene, die wie Ebersbergs Bürgermeister Uli Proske (SPD) kritisch fragen, was im Erfolgsfall wohl mit den Wählern der AfD passieren würde, etwa jenen 12,7 Prozent, die zuletzt auch in der Stadt Ebersberg den Rechten ihre Stimme gaben, den 23,9 Prozent im ländlichen Ebersberger Stadtteil Oberndorf oder den durchschnittlich 35 Prozent, die den ehemaligen Osten inzwischen auf den Wahlkarten blau einfärbten.

:Rausgehen gegen rechts
Sie sind viele, sie sind laut und sie sind bunt: Zahlreiche Bündnisse und Initiativen machen sich für die Demokratie und gegen Rechtsextremismus stark. Was treibt ihre Unterstützer an? Über die Macht der Zuversicht in scheinbar dunklen Zeiten.
In seiner Heimatstadt in Thüringen, berichtet Jörg Siegmund, Experte für Demokratie- und Wahlforschung an der Akademie Tutzing und persönlicher Referent der Institutsleiterin Ursula Münch, hätten zuletzt 56 Prozent für die AfD gestimmt. Die Partei habe im politischen Spektrum eine Leerstelle gefüllt, sie bediene besonders in ländlichen und gefühlt abgehängten Gebieten unter anderem auch das Bedürfnis nach einer starken Autorität. Dass die AfD-Wähler nach einem Verbot indes heimatlos werden, befürchte er nicht. Einige würden vielleicht zur FDP gehen, andere eine Heimat beim BSW finden, und schließlich habe es die AfD geschafft, viele Nichtwähler an die Wahlurnen zu holen, die sich dann vielleicht auch wieder mit anderen Themen beschäftigen würden. Und jene nach Meinungen mancher Experten zehn Prozent, die grundsätzlich von den rechten Inhalten überzeugt seien, „die erreichen wir sowieso nicht“, fügt Wegge hinzu.
Thomas Witzgall, Journalist beim Nachrichtenportal „Endstation Rechts“, verweist wiederholt auf das NPD-Verbotsverfahren von 2017, bei dem eine rechtsstaats- und demokratiefeindliche Haltung der Partei klar festgestellt worden war. Sie war nur deshalb nicht verboten worden, weil das Gericht von einer fehlenden Wirkmächtigkeit der Partei ausgegangen war, sie kam bei den Bundestagswahlen 2017 auf 0,4 Prozent. „Aber man hat vieles, was die NPD von sich gegeben hat, bei der AfD auch schon gehört“, betont Witzgall.
Das Bundesamt für Verfassungsschutz hat die gesamte AfD im Mai als „erwiesen rechtsextremistisch“ eingestuft
Immerhin betrachtet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) aufgrund eines Gutachtens seit Mai die AfD in ihrer Gänze als „erwiesen rechtsextremistisch“, auch wenn der Verfassungsschutz in Reaktion auf einen Eilantrag der Partei zunächst eine Stillhaltezusage gegeben hat. Als maßgeblich für die Einstufung wertete die Behörde „das die AfD prägende ethnisch-abstammungsmäßige Volksverständnis, das ganze Bevölkerungsgruppen in Deutschland abwertet und in ihrer Menschenwürde verletzt“. Wenn man etwa Staatsangehörige in eine erste und eine zweite Kategorie einteile, jemand mit türkischen Eltern nur noch als „Passdeutschen“ bezeichne, dann sei das mit dem Demokratieprinzip nicht vereinbar. Genauso wenig, sagt Witzgall weiter, dürfe eine demokratische Partei Kritik am politischen Gegner so formulieren, als sehe sie das Problem im demokratischen System selbst. „Ich darf auch andere Parteien nicht als Parasiten bezeichnen und Einwanderer als Invasoren.“

Das Bundesverfassungsgericht entscheide, wenn es denn dazu kommt, letztlich faktenbasiert, erklärt Wegge, und diese Fakten würden in den kommenden sechs bis neun Monaten geprüft, bevor es dann noch einmal ebenso lange dauere, bis ein Schriftsatz verfasst ist, den man aus der Mitte des Bundestags bei Gericht einreichen könne – jenem Gericht, das allen stärker werdenden Anwürfen der AfD zum Trotz unabhängig und neutral sei.
„Neutralität bedeutet parteipolitische Neutralität, wenn es aber um unsere Verfassung geht, muss das Verfassungsgericht Partei nehmen, um die demokratische Grundordnung zu schützen“, betont Wahlforscher Jörg Siegmund. Denn schließlich, ergänzt Thomas Witzgall, könne sich Volkssouveränität nur im rechtlichen Rahmen entfalten. Das bedeute: Wenn sie gefährdet sei, könne ein Verbot ausgesprochen werden. „Das ist dann gar nicht undemokratisch. Das ist wie eine rote Karte beim Fußball, wenn ein Player sich nicht an die Regeln hält, kann er entfernt werden.“
Sollte das Bundesverfassungsgericht tatsächlich der AfD die rote Karte zeigen, wird das wohl nicht mehr vor der Bundestagswahl 2029 geschehen. Für eine Entscheidung, stellt Wegge bedauernd fest, brauche es vom Zeitpunkt der Antragstellung ab mindestens ein bis zwei Jahre.





















