Rentenstreit: Zur Eskalation bereit | DIE ZEIT | ABC-Z

Die SPD ist bekannt für ihre Leidensfähigkeit und Kompromissbereitschaft. Sie sieht sich selbst gern als Profi-Partei, umgeben von Hallodris und Populisten. Von ihren wechselnden Koalitionspartnern – sei es nun Horst Seehofer, Christian Lindner oder Friedrich Merz – will sie sich nicht provozieren lassen, sondern nach Lösungen suchen, notfalls zulasten des eigenen Profils. Erst das Land, dann die Partei. Jeder Genosse kann diese Sätze mitmurmeln.
Aber derzeit wirkt es so, als würde die SPD diese Haltung infrage stellen. Viele Spitzenpolitiker sind fassungslos über den Rentenstreit in der Union – und wägen mögliche Konsequenzen ab. In vertraulichen Gesprächen über die Koalition hat sich der Ton geändert. Manche Sozialdemokratinnen klingen knallhart (“So darf es nicht weitergehen”), andere fatalistisch (“Bei der CDU ist die Hölle los”). Deutlicher als zuvor wird inzwischen über ein vorzeitiges Ende der Koalition zumindest als Möglichkeit gesprochen.
Der Rentenstreit gilt vielen in der SPD inzwischen als Lackmustest für die Regierung. Union und SPD hatten sich zunächst im Koalitionsvertrag, später auch im Kabinett auf das Rentenpaket geeinigt. Beide konnten dabei eigene – teils teure – Wahlkampfforderungen unterbringen. Das Paket jetzt aufzuschnüren, wie es die JU und viele Christdemokraten inzwischen fordern, lehnt die SPD kategorisch ab. Parteichef Lars Klingbeil hatte es am Wochenende betont, viele andere danach auch.
Ist diese Union “überhaupt regierungsfähig”?
Denn es geht nicht mehr allein um die Rente: Die grundsätzlichen Zweifel am Koalitionspartner sind gewachsen. “Ich frage mich, ob diese Unionsfraktion überhaupt regierungsfähig ist”, sagt Annika Klose, die sozialpolitische Sprecherin der SPD, im Gespräch. Viele klagen über verlorenes Vertrauen und mangelndes Verantwortungsbewusstsein. Diese Sorge teilt auch Parteichefin Bärbel Bas, die zugleich zuständige Rentenministerin ist: Sie warnt die Union inzwischen öffentlich vor einem Koalitionsbruch.
Viele in der SPD fühlen sich derzeit an die Causa Brosius-Gersdorf erinnert. Auch bei der Wahl der Verfassungsrichterinnen konnten CDU und CSU die nötige Mehrheit, trotz bereits getroffener Zusage, nicht garantieren. Diesen Vorgang hatten SPD- und Unionsführung intensiv miteinander aufgearbeitet, unter anderem auf einer gemeinsamen Klausur in Würzburg. Von der SPD kam die Mahnung: Das darf nicht noch mal passieren. Offenbar vergebens.
Mitglieder der SPD-Fraktionsführung warnen: Wenn sie nun in der Rentenfrage auf Änderungswünsche der Union eingehen würden, wäre ihre eigene Fraktionsdisziplin kaum noch zu halten. Das Beispiel JU würde Schule machen. Dann würden auch kritische Sozialdemokraten, die zuletzt schwierige Kompromisse mitgetragen haben, beim nächsten umstrittenen Vorhaben ihre Stimme verweigern. Bei den Abstimmungen zu Bürgergeld oder Asylpolitik wären Mehrheiten schwierig bis unmöglich.
Es herrscht ein gewisser Zeitdruck
Aber wie geht’s nun weiter im Rentenstreit? Für die SPD ist klar: Die Union muss das Problem allein lösen. “Da können wir ihr nicht helfen”, heißt es. Oder: “Die Antwort liegt nicht bei der SPD.” Jens Spahn und sein zuständiger Fraktionsvize Carsten Linnemann müssten nun auf jene in der Fraktion einwirken, die dagegen sind. Unverständnis herrscht auch über andere Führungspolitiker wie Markus Söder oder Katherina Reiche, die den Abweichlern noch Zuspruch signalisiert hätten, als sich längst abzeichnete, auf welches Dilemma die Union und damit die Regierung zusteuert. Merz’ konfrontativer Auftritt auf dem Deutschlandtag der JU hat alles noch schlimmer gemacht. Ob die Union da wieder rauskommt? Achselzucken beim Koalitionspartner.
Dabei herrscht durchaus ein gewisser Zeitdruck. Zumindest bei manchen Teilen des Rentenpakets. “Was wirklich zeitkritisch ist, sind die drei Unionsanliegen”, sagt die stellvertretende Fraktionschefin der SPD, Dagmar Schmidt, die für Rentenpolitik zuständig ist, im Gespräch mit der ZEIT. Frühstart-, Mütter- und Aktivrente sollen am 1. Januar 2026 starten. “Die Union muss sich bis nächste Woche gerüttelt haben, wenn sie ihre Sachen rechtzeitig durchkriegen will”, sagt Schmidt.




















