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Neue Gaskraftwerke in Deutschland: Auswirkungen auf den Klimaschutz – Wissen | ABC-Z

Am zweiten Novemberwochenende war es in ganz Deutschland außergewöhnlich windstill. Und auch ziemlich trüb, die Sonne verbarg sich oft hinter dicken Wolken. Was zur Folge hatte, dass Windräder und Photovoltaik-Anlagen nur sehr wenig Strom erzeugten. Stattdessen liefen die Kohle- und Gaskraftwerke auf Hochtouren, um die Versorgung zu sichern.

Etwas sechsmal im Jahr kommt es laut einer Studie des Netzbetreibers Amprion im Durchschnitt vor, dass Photovoltaik und Windenergie über 24 Stunden hinweg kaum Strom liefern. Das ist vor allem dank des fossilen Sicherheitsnetzes kein Problem für die Versorgungssicherheit. Mit dem Kohleausstieg stehen allerdings künftig weit weniger Kraftwerke zur Verfügung, die für die Wind- und Solaranlagen einspringen können. Die Bundesregierung will deshalb mit Ausschreibungen sicherstellen, dass die Versorger zusätzliche Gaskraftwerke bauen.

In den nächsten Jahren sollen Anlagen mit einer Leistung von zehn Gigawatt entstehen, hat der Koalitionsausschuss Mitte November beschlossen. Das entspricht etwa 25 neuen Kraftwerken. Zusätzlich ist geplant, zwei Gigawatt Leistung technologieoffen auszuschreiben. Damit können sich Unternehmen auch mit Speichern an dem Verfahren beteiligen, da diese ebenfalls unabhängig von Wind und Wetter Strom bereitstellen können.

Um die Klimaziele nicht zu gefährden, sollen die neuen Kraftwerke perspektivisch statt mit Erdgas mit Wasserstoff betrieben werden. Dafür müssen die Betreiber zentrale Komponenten der Anlagen umrüsten oder austauschen. Ein realistisches Vorhaben? Oder verlängert Schwarz-Rot mit den neuen Gaskraftwerken bloß das fossile Zeitalter?

Einfacher wäre eine Mischung aus Erdgas und Wasserstoff

Nach dem Willen der Bundesregierung sollen die Betreiber beim überwiegenden Teil der ausgeschriebenen Kraftwerks-Leistung bis 2045 Zeit haben, auf Wasserstoff umzustellen – wobei die EU-Kommission dem noch zustimmen muss. Kommt es so, dürfen sie bis dahin weiter ausschließlich Erdgas verbrennen. In der Praxis wird allerdings wohl etwas früher Schluss sein, da im EU-Emissionshandel nur noch bis 2039 CO₂-Zertifikate ausgegeben werden. Danach können die Betreiber allein Emissionsrechte einsetzen, die sie auf Vorrat erworben haben.

„Der Umstieg auf Wasserstoff muss bereits deutlich vor 2045 verpflichtend sein – auch, damit durch die gesicherte Abnahme des Brennstoffs Unternehmen im In- und Ausland einen Anreiz bekommen, frühzeitig in Elektrolyseure zu investieren“, fordert Philipp Godron, Programmleiter Strom bei der Denkfabrik Agora Energiewende. Elektrolyseure gewinnen aus Wasser mithilfe von Strom aus erneuerbaren Quellen grünen, klimaneutralen Wasserstoff. Bislang bleiben die Installationszahlen der Elektrolyseure weit hinter den Erwartungen zurück.

Doch womöglich könnten sich die Unternehmen das Umrüsten auf Wasserstoff sogar sparen. Denn Bundeswirtschaftsministerin Katherina Reiche (CDU) will ihnen ein fossiles Hintertürchen öffnen: In ihrem im September vorgelegten Zehn-Punkte-Programm für die Energiewende heißt es, dass das sogenannte Carbon Capture and Storage, kurz CCS, als Klimaschutztechnologie auch für Kraftwerke etabliert werden soll. Dabei wird das beim Verbrennen von Erdgas freigesetzte Kohlendioxid aus dem Abgasstrom abgeschieden und dauerhaft unterirdisch gespeichert. In der Einigung des Koalitionsausschusses heißt es, die Kraftwerke müssten bis 2045 „technologieoffen dekarbonisieren“ – was CCS zu einer Option machen würde.

Godron hält das Konzept bei Kraftwerken jedoch für sehr problematisch. „Auch mit CCS verursacht Erdgas noch Emissionen, weil bei der Förderung und dem Transport Methan in die Atmosphäre entweicht“, erklärt er. Methan ist um ein Vielfaches klimaschädlicher als die gleiche Menge Kohlendioxid. Außerdem kann laut Godron im Verfahren nicht die gesamte CO₂-Menge abgeschieden werden. Auch seien bei CCS noch viele Fragen ungeklärt, etwa was die Speicherung des Kohlendioxids oder die Akzeptanz der Bevölkerung betrifft. „CCS sollte daher auf die Bereiche beschränkt werden, in denen es technisch keine Alternative gibt, etwa in einigen Industrieprozessen. Bei der Stromerzeugung gibt es deutlich bessere Alternativen“, sagt der Strommarkt-Experte.

Technisch gesehen bringt der Umstieg von Erdgas auf Wasserstoff in den Kraftwerken allerdings einige Herausforderungen mit sich. „Erdgas und Wasserstoff unterscheiden sich in ihrem Zünd- und Brennverhalten stark“, sagt Friedrich Dinkelacker, Leiter des Instituts für Technische Verbrennung der Leibniz Universität Hannover. „So ist Wasserstoff viel reaktiver, er reagiert weitaus schneller und stärker als Erdgas. Bei dessen Verbrennung entstehen deshalb mehrere Hundert Grad höhere Temperaturen.“ Außerdem führe die weit höhere Reaktivität leicht dazu, dass die Flamme schon so dicht am Brennermund brennt, dass dieser heiß werden kann, bis hin zur Gefahr des Schmelzens. Der Umstieg auf Wasserstoff mache es daher nötig, das Brennerdesign zu ändern – was aber möglich ist, betont Dinkelacker. Auch müssten weitere Komponenten der Brennkammer, die Regeltechnik sowie die Gasleitungen und -ventile angepasst oder ausgetauscht werden. „Wie aufwändig das ist, kann man heute erst ansatzweise sagen, weil dazu bislang kaum Praxis-Erfahrungen vorliegen“, erklärt der Wissenschaftler.

Die EU-Kommission stutzte die deutschen Pläne

Einfacher wäre, wenn die Kraftwerke mit einer Mischung aus Erdgas und Wasserstoff arbeiten würden: „Es gibt bereits einige Gasturbinen, die mit einer Wasserstoff-Beimischung zurechtkommen. Bei kleinen Wasserstoff-Anteilen müssen sie nicht umgerüstet werden“, sagt Dinkelacker. Er warnt jedoch, den Nutzen für den Klimaschutz zu überschätzen. „Wenn man dem Erdgas bezogen auf das Volumen ein Drittel grünen Wasserstoff beimischt, bedeutet das nicht, dass der CO₂-Ausstoß um ein Drittel sinkt“, sagt Dinkelacker. „Aufgrund des unterschiedlichen volumetrischen Energiegehaltes der Brennstoffe geht der CO₂-Ausstoß in diesem Beispiel nur um 14 Prozent zurück.“

Mit den nun angekündigten Ausschreibungen hat die Bundesregierung ihre ursprünglichen Pläne stark abgespeckt: Laut Koalitionsvertrag sollten eigentlich bis 2030 bis zu 20 Gigawatt an Kraftwerks-Leistung gebaut werden. Ministerin Reiche wollte gar mindestens 20 Gigawatt installieren lassen. Viel zu viel, meint die EU-Kommission, die die Pläne aus beihilferechtlichen Gründen genehmigen muss.

Dass nun weit weniger Anlagen ausgeschrieben werden sollen, gefährdet die Stromversorgung aber nicht, meint Philipp Godron. „Die Leistung, die die Bundesregierung ausschreiben will, sollte ausreichen, um die Versorgungssicherheit in den nächsten Jahren weiterhin zu gewährleisten. Auch weil sich abzeichnet, dass in den nächsten Jahren sehr viele Batterie-Großspeicher ans Netz gehen, die über mehrere Stunden Strom bereitstellen können.“ Er weist zudem darauf hin, dass die Bundesnetzagentur bei jedem Kraftwerk, das ein Betreiber stilllegen will, prüft, ob dies die Versorgungssicherheit gefährdet. Falls Knappheiten drohen, lässt die Behörde die Anlage als Reserve am Netz, bis sich die Situation entspannt hat.

Ohnehin sind die Kraftwerkausschreibungen nur eine Übergangslösung, meint Godron. „Wichtig ist, dass die Bundesregierung nun schnell einen Kapazitätsmechanismus entwickelt, der auch Technologien wie Groß- und Kleinspeicher sowie Lastverschiebung – also das Anpassen des Verbrauchs an das Stromangebot – als gesicherte Leistung für die Versorgungssicherheit nutzt.“ Die Bundesregierung will bis spätestens 2027 eine Regelung verabschieden.

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