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Freising: Modern Studio mit Tassilo-Kulturpreis der SZ ausgezeichnet – Freising | ABC-Z

Ein wenig nachtragend ist Helma Dietz schon. Dass die Stadt Freising einen Beitrag des Kulturvereins „Modern Studio“ zum Festjahr „Korbinian 2024“ abgelehnt hat, darüber ärgert sie sich heute noch. Und ganz besonders über eine Bemerkung des Kulturamtsleiters: Das Modern Studio sei „nicht international genug“. Dietz kann es immer noch nicht fassen. Und weil sie das nicht auf dem Verein sitzen lassen wollte, hat sie drei Tafeln erstellt, mit Bildern, Plakaten und Ankündigungen vergangener Veranstaltungen – und deren illustrer Gäste.

„Hier“, sagt Dietz, „drei Büchner-Preisträger“, und zeigt auf das erste Plakat, auf dem all die Literaten versammelt sind, die auf Einladung des Modern Studio in Freising gelesen haben: Lutz Seiler, Jan Wagner, Felicitas Hoppe. Und sehr, sehr viele andere. Katja Petrowskaja war auch da, 2023. In diesem Jahr hat sie in der Frankfurter Paulskirche die Laudatio zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an Karl Schlögel gehalten. „Manche Freisinger ärgern sich jetzt, dass sie 2023 den Weg zum Schafhof gescheut haben“, sagt Dietz. Wie gesagt, ein bisschen nachtragend.

Die andere Tafel zeigt, welche Illustratoren auf Betreiben des Modern Studio in der Domstadt ausgestellt haben – und auch die Jugendliteratur hat ein eigenes Plakat bekommen. Viele der Autorinnen und Autoren hier haben nach ihrem Besuch in Freising ihren Weg gemacht. Gegenwärtig hängen die drei Tafeln in der aktuellen Linda Wolfsgruber-Ausstellung des Modern Studio im Alten Gefängnis, sonst zieren sie die Schaufenster der Sparda-Bank an der Freisinger Hauptstraße. Nicht nur der Kulturamtsleiter kann dort dann täglich im Vorbeigehen sehen, wie „international“ das Modern Studio ist – und mit welch hohem Anspruch Dietz und die kongeniale Irmgard Koch agieren.

Die Vorsitzende und ihre Stellvertreterin waren heuer zum Empfang des Bundespräsidenten eingeladen

Koch ist Vorsitzende des Modern Studio, Dietz ihre Stellvertreterin, und sie sind eine fulminante Doppelspitze, wenn es darum geht, aktuelle Literatur und Kunst in die Stadt zu holen. Festgestellt hat man das auch schon auf höchster Ebene. Koch und Dietz waren heuer zum Empfang des Bundespräsidenten im Schloss Bellevue eingeladen. Nur in Freising hat auch diese Ehre niemand so richtig zur Kenntnis genommen, wie Dietz spitz anmerkt: „Wir sind einfach nicht sichtbar hier.“

Dabei ist der Beitrag des Modern Studio im kulturellen Jahreskalender für Freising eigentlich schwer zu übersehen:  eine Frühjahrs- und eine Herbstausstellung mit überregionaler zeitgenössischer Kunst, ein „Literarischer Herbst“ mit zwei bis drei öffentlichen Lesungen für Erwachsene sowie um die zehn Lesungen mit Kinder- und Jugendbuchautoren und -autorinnen finden sich da. Begleitend findet jeweils eine künstlerische Bilderbuchausstellung statt, die es so in ganz Bayern kein zweites Mal gibt.

Die Freisinger Künstlerin Brigitte Stenzel hat auf Einladung des Modern Studio 2012 das erste Mal in Freising ausgestellt. Das Ölgemälde „Stilleben – rote Strumpfhose“ wurde von der bedeutenden Kunstsammlung der HypoVereinsbank gekauft, zwei ihrer Werke sind im Diözesanmuseum zu sehen. Im Herbst dieses Jahres war Stenzel erneut im Alten Gefängnis beim Modern Studio zu Gast.
Die Freisinger Künstlerin Brigitte Stenzel hat auf Einladung des Modern Studio 2012 das erste Mal in Freising ausgestellt. Das Ölgemälde „Stilleben – rote Strumpfhose“ wurde von der bedeutenden Kunstsammlung der HypoVereinsbank gekauft, zwei ihrer Werke sind im Diözesanmuseum zu sehen. Im Herbst dieses Jahres war Stenzel erneut im Alten Gefängnis beim Modern Studio zu Gast. (Foto: Marco Einfeldt)
2013 wurde im Alten Gefängnis in Freising die Sonderausstellung „Geschichte einer jüdischen Mädchenschule“ gezeigt.
2013 wurde im Alten Gefängnis in Freising die Sonderausstellung „Geschichte einer jüdischen Mädchenschule“ gezeigt. (Foto: Marco Einfeldt)

Dazu kamen über die Jahre immer wieder Einzelprojekte wie die Gedächtnisausstellung für den bekannten Freisinger Volksschauspieler Karl Obermayr 1998. Oder – ganz anders – die Broschüre „Kunstpfad Weihenstephan“ über Wege zur zeitgenössischen Kunst auf dem Hochschulgelände Weihenstephan. Auch dazu, dass Josef Langs überlebensgroße Figuren im Herbst 2013 die Freisinger Innenstadt bevölkerten, hat das Modern Studio zusammen mit dem Förderverein „Altes Gefängnis“ beigetragen. Zwei dieser Figuren sind sogar geblieben, sie stehen vor der Zentralbibliothek Weihenstephan und im Amtsgerichtsgarten.

Wenn es um die Geschichte des Modern Studio geht, mäandern Dietz und Koch mit großem Vergnügen durch ihre Erinnerungen. Hunderte Lesungen und Ausstellungen sind da über die Jahre zusammen gekommen, zu vielen wissen sie Anekdoten zu erzählen, verlieren sich im Austausch über diesen und jenen Künstler oder Künstlerin. Kein Wunder bei ihrer Erfahrung, Koch ist 76, Dietz sogar 86, aber Literatur, die schönen Künste halten offensichtlich in jeder Hinsicht jung.

Gegründet wurde das Modern Studio 1971 von dem bekannten Freisinger Kinderbuchillustrator Friedrich Kohlsaat, der 2008 verstarb. Kohlsaat hatte zunächst ein paar Freisinger Künstler um sich versammelt, um Konzerte zu organisieren, unter anderem mit den „Hot Dogs“ oder dem kürzlich verstorbenen Klaus Doldinger – auch da holte man schon große Namen in die kleine Stadt. Aus den beiden Dia-Festen, bei denen die Freisingerinnen und Freisinger 1977 und 1978 an lauen Sommerabenden auf dem Marienplatz bei Bier und Blasmusik eigene Dias in Großaufnahme zeigen konnten, ist der Legende nach das bis heute gefeierte Altstadtfest entstanden. Weil derartiges auf Dauer für Privatleute aber wohl zu teuer wurde, entschied man sich, einen Verein zu gründen – das Modern Studio.

Der Freisinger Kinderbuchillustrator Friedrich Kohlsaat (gestorben 2008) hat den Kulturverein Modern Studio gegründet.
Der Freisinger Kinderbuchillustrator Friedrich Kohlsaat (gestorben 2008) hat den Kulturverein Modern Studio gegründet. (Foto: Marco Einfeldt)

Schnell entwickelte sich dessen Arbeit dann weg von der Musik, hin zu den bildenden Künsten. Wurden anfangs noch überwiegend heimische Künstler ausgestellt, versteht sich der Verein schon lange nicht mehr in erster Linie als Forum heimischer Kunstproduktion. Zu den Frühjahrs- und Herbstausstellungen holt das Modern Studio unter dem programmatischen Titel „Ortswechsel“ überwiegend ausgezeichnete Studierende der Akademie für Bildende Kunst in München nach Freising.

Die Veranstaltungsreihe „Literarischer Herbst“ kam 1982 hinzu, bis dahin hatte es lediglich einzelne Lesungen in den Buchhandlungen der Stadt gegeben – immerhin gaben sich schon damals Größen wie Günter Grass und Herbert Achternbusch dafür die Ehre. Die Autorinnen und Autoren für die Reihe suchen Koch und Dietz höchstpersönlich aus, trüffeln sie an den Ständen der Buchmessen in Frankfurt und Leipzig zusammen, stöbern in Buchhandlungen, der Internationalen Jugendbibliothek im Schloss Blutenburg – und im Feuilleton der Süddeutschen Zeitung. Dabei scheuen sie auch problematische Themen wie Krieg, Holocaust, Klimakrise, Israel oder Gaza nicht – und sind sich erstaunlicherweise in ihrem Gespür für gute Autoren fast immer einig.

Die Begegnung mit dem Lebendigen wirkt.

Modern-Studio-Vorsitzende Irmgard Koch

Unermüdlich und ausdrücklich bemühen sich die beiden pensionierten Lehrerinnen seit Beginn des Literarischen Herbstes außerdem darum, anspruchsvolle Jugendliteratur in die Schulen zu bringen und junge Menschen für das Lesen zu begeistern. Der Verein hat es sich dezidiert zur Aufgabe gemacht, Kinder und Jugendliche neugierig zu machen „auf gute, wichtige und spannende Geschichten, die sie emotional berühren, zu kritischem Nachfragen, zu eigenen Gedanken und Ideen anregen“, wie es auf der Homepage des Modern Studio formuliert ist. Wie man das im Internetzeitalter hinbekommt? „Das ist authentisch, die Begegnung mit dem Lebendigen“, sagt Koch: „Das wirkt.“

Und was, wenn sie irgendwann doch einmal in die Modern-Studio-Rente gehen sollten? Wird es Nachfolger geben? Kurzer Blickwechsel, Kopfschütteln. „Wenn der Verein weiter existiert, dann wird er anders werden“, sagt Koch und überlegt kurz: „Aber wir haben den Verein damals auch verändert.“

Kultur verbindet, Kultur bewegt – und Kultur braucht unsere Unterstützung: Zum dreizehnten Mal verleiht die Süddeutsche Zeitung den Tassilo-Kulturpreis. Diese Auszeichnung würdigt Arbeit und Wirken von Künstlerinnen, Künstlern und Kulturschaffenden im Großraum München. Hier stellen wir Ihnen die Preisträger vor, die die Jury, bestehend aus Kulturredakteurinnen und -redakteuren der SZ, in diesem Jahr ausgewählt hat. Verliehen werden drei Hauptpreise sowie fünf Förderpreise. Außerdem stiftet das Spendenhilfswerk der Süddeutschen Zeitung, SZ Gute Werke, einen Kulturpreis, der besonderes soziales Engagement würdigt. Welchen Preis die Gewinnerinnen und Gewinner erhalten, wird bei der Verleihung am 26. November bekanntgegeben.

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