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Pflege in Bayern: Berufsberatung als Theater – Ebersberg | ABC-Z

Von wegen „nur Popoauswischen“. Sie verabreichen Medikamente, legen Infusionen, erstellen sogar Diagnosen und sind im Notfall oft als erste zur Stelle: die Pflegekräfte in den ambulanten Diensten, in den Heimen und Kliniken. Doch an solchen Fachkräften herrscht akuter Mangel – weswegen das bayerische Gesundheitsministerium junge Menschen neuerdings mit einem außergewöhnlichen Projekt für die Pflege begeistern will: mit einer szenischen Berufsberatung. Da schlüpfen Schüler in ganz ungewohnte Rollen, während Menschen aus der Praxis mit allerhand Vorurteilen aufräumen.

Verantwortlich für die Umsetzung des Projektes ist die Agentur Kunstdünger aus Nürnberg. Jeweils eine Woche lang gastiert sie an einer weiterführenden Schule, von der Mittelschule bis zum Gymnasium, und entwickelt dort mit Freiwilligen diverse Szenen, die den Berufsalltag in der Pflege authentisch widerspiegeln sollen. Damit das gelingt, sind stets Fachkräften verschiedener Sparten aus der Umgebung eingebunden. Sie erzählen den Schülerinnen und Schülern von ihren Erfahrungen und geben Impulse für die szenischen Darstellungen.

Auch das ist Pflege: „Papa Quirin“ lernt von „Schwester Larissa“, wie das Neugeborene gewickelt werden muss. Als Requisit dient eine Babypuppe. (Foto: Anja Blum)

Das Ergebnis ist dann jedoch kein Theaterstück im eigentlichen Sinne, sondern eine muntere Abfolge aus Interviews, die eine Moderatorin von „Kunstdünger“  mit den einzelnen Pflegefachkräften führt, und dazu passenden fiktiven Szenen, die eben die Jugendlichen beisteuern. Man könnte sagen: Was die älteren Jahrgangsstufen der Mittelschule in Ebersberg an diesem Vormittag im katholischen Pfarrheim erleben, ist eine inszenierte Talkshow zum Thema Pflege.

Was aber nicht bedeuten soll, dass es hier keine Action gäbe: Da stürzt ein älterer Herr aus seinem Bett, ein Vater kippt während der Geburt seines Kindes um, eine Seniorin tut ihren letzten Atemzug. Und immer sind es Pflegekräfte, die dann plötzlich entscheiden müssen, was nun geboten ist. Mit der Reanimation beginnen? Den Rettungsdienst rufen? Oder erstmal das Fenster weit aufmachen und eine Kerze anzünden? „Zum Glück haben viele ältere Menschen eine Patientenverfügung, sodass man schon vorher weiß, ob sie im Ernstfall eine Wiederbelebung möchten oder nicht“, erklärt Moderatorin Isabel Lindner, selbst Diplompflegewirtin. „Viele wollen einfach in Ruhe gehen“, ergänzt Talkshowgast Senad Pozegic, der als Pfleger in einem Ebersberger Seniorenheim arbeitet.

Und zwar leidenschaftlich gerne, wie er versichert. Denn jeder Tag, jeder Bewohner sei anders. „Man lernt immer noch was dazu, medizinisch wie menschlich“, so der Pfleger. Überhaupt: Seine Vielfältigkeit und Unvorhersehbarkeit machten diesen Beruf so attraktiv, da sind sich an diesem Vormittag alle Praktiker auf der Bühne einig. Genauso wie eine einzigartige Mischung aus Herz und Verstand, aus emotionalem Engagement und umfassendem Fachwissen, die hier unabdingbar sei.

Wie ist mit einem Katheter umzugehen? Was sagt ein zu niedriger Blutdruck über den Patienten aus? Welcher Rhythmus ist der richtige für eine Herzmassage nach einem Kreislaufkollaps? Und wie erklärt man einem dementen Menschen erfolgreich, dass er seine Tabletten mitnichten bereits genommen hat? All diese Facetten stellen die jungen Darsteller in ihren Szenen lebendig dar.

Wie fühlt es sich an, hilflos im Rollstuhl zu sitzen? Joelina (links) und Lea probieren es aus.
Wie fühlt es sich an, hilflos im Rollstuhl zu sitzen? Joelina (links) und Lea probieren es aus. (Foto: Anja Blum)

Natürlich spiele auch die Körperhygiene eine wichtige Rolle, erklärt „Schwester Sabine“, Nachname Berchtenbreiter, vom ambulanten Pflegedienst. Doch das sei eben noch lange nicht alles. „Man muss die Menschen ganz genau beobachten, um sie gut beraten zu können, falls sich ihr Zustand einmal ändern sollte.“ Schließlich sei das Ziel, sie möglichst lange zu Hause betreuen zu können. Außerdem sehr wichtig sei es, Geduld zu haben und sich einfach mal Zeit zu nehmen für die Patienten, sie zum Lachen zu bringen.

Krankheit, Verfall und Tod

Etwas, das den fünf jugendlichen Darstellern mit ihrem Publikum ebenfalls gelingt. Denn natürlich sind die Themen dieses Theaters – Krankheit, Verfall und Tod – sehr ernst, doch in der Pflege gibt es keine solchen Tabus, da gehört das alles zum Alltag dazu. Vor allem Quirin mit grauer Perücke, Gehstock und fortgeschrittenem Gedächtnisverlust, aber auch Joelina und Lea mit einer stuntman-reifen Rollstuhlfahrt sorgen für Erheiterung. Doch nicht nur das: „Es ist einfach toll, wie die Schüler unsere Erzählungen für sich interpretiert haben“, lobt Pflegerin Berchtenbreiter.

„Pfleger Ben“ hat alle Hände voll zu tun: „Senior Quirin“ will seine Medikamente nicht nehmen, „Seniorin Joelina“ schläft ständig ein, anstatt zu essen.
„Pfleger Ben“ hat alle Hände voll zu tun: „Senior Quirin“ will seine Medikamente nicht nehmen, „Seniorin Joelina“ schläft ständig ein, anstatt zu essen. (Foto: Anja Blum)

„Schwester Cindy“, Nachname Geißler, arbeitet in der Ebersberger Kreisklinik „mit lauter wirklich akuten Fällen“. Sie sagt, das Schönste an ihrem Beruf sei, Leiden zu lindern, die Patienten sehr oft gesund nach Hause schicken zu können. Und ganz wesentlich für diesen Erfolg sei eine gute Kommunikation in alle Richtungen – mit den Patienten und pflegenden Kollegen natürlich, aber auch mit den Angehörigen, Ärzten und Therapeuten diverser Sparten. „Menschen zu heilen, ist immer Teamwork.“

Die Pflegeausbildung bietet inzwischen auch den Vorteil, dass sich niemand mehr vorab entscheiden muss, ob er oder sie mit kranken Kindern, Erwachsenen oder Senioren arbeiten möchte: Die drei Sparten wurden zu einer „Generalistischen Fachausbildung“ zusammengeführt. Das ermöglicht laut Moderatorin Lindner viel Flexibilität und vielfältige Weiterbildungsmöglichkeiten: Man könne leicht zwischen den Sparten wechseln, sich spezialisieren, Führungsaufgaben in Krankenhäusern oder Altenheimen übernehmen und sogar studieren.

Geballte Pflege-Expertise vom Rollstuhl bis zum Baby: Moderatorin Isabel Lindner (links) und ihre Talkshowgäste Sabine Berchtenbreiter und Cindy Geißler (vorne von links) sowie Senad Pozegic und Dragana Vapetanovic (hinten).
Geballte Pflege-Expertise vom Rollstuhl bis zum Baby: Moderatorin Isabel Lindner (links) und ihre Talkshowgäste Sabine Berchtenbreiter und Cindy Geißler (vorne von links) sowie Senad Pozegic und Dragana Vapetanovic (hinten). (Foto: Anja Blum)

„Schwester Dragana“ zum Beispiel, Nachname Vapetanovic, hat bereits sieben Jahre als Hilfskraft in der ambulanten Pflege gearbeitet, drückt jetzt aber für neue Perspektiven nochmal die Schulbank. Sie setze gerne Spritzen, sagt sie im Interview, und dass auch die Pädiatrie ein sehr spannendes Feld sei. „Kindern muss man die Dinge ja ganz anders, viel spielerischer erklären, und ein Baby kann nicht einmal sagen, wo es ihm wehtut.“ Da sei also schon einiges an Flexibilität und Empathie vonnöten. Und übrigens: Dass man in der Pflege schlecht verdiene, dieses Vorurteil stimme nicht, oder zumindest nicht immer, erklärt Vapetanovic: Die Ausbildung sei mit einem Einstiegsgehalt von 1450 Euro sehr gut bezahlt.

Ob all das die Schülerinnen und Schüler im Publikum überzeugt? Die jungen Schauspieler jedenfalls sagen nach der Vorstellung, dass sie selbst sich eine solche Ausbildung durchaus vorstellen könnten. Kein Wunder, denn sie haben in dieser Projektwoche gelernt, dass die Pflege ein spannendes, forderndes und sinnstiftendes Berufsfeld ist, in dem Teamgeist, Empathie und Verantwortungsbewusstsein gefragt sind. Und eines, das der ganzen Gesellschaft zugutekommt. „Vielen Dank, dass Sie für die Menschen da sind!“ So beendet Lindner jedes ihrer Interviews.

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