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Korruption in der Ukraine: Selenskyj muss seine Führung teilen | ABC-Z

Zum zweiten Mal in diesem Jahr beschädigt ein schwerer Korruptionsskandal den Ruf des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj. Das erste Mal hatte er im letzten Sommer versucht, die Antikorruptionspolizei NABU zu entmachten, als deren Ermittlungen seine inneren Kreise berührten. Ordnungsrufe aus Europa und Straßenproteste zwangen ihn damals zum Rückzug.

Jetzt werden zwei Minister sowie ein enger persönlicher Freund Selenskyjs, zugleich Miteigentümer seiner Filmproduktionsfirma „Kwartal 95“, beschuldigt, mitten im russischen Bombenterror gegen die ukrainische Energiewirtschaft den Zulieferern von Kraft- und Umspannwerken Bestechungsgelder abgepresst zu haben.

Es geht um 93 Millionen Euro, die jetzt bei der Sicherung der Anlagen gegen russische Bomben fehlen. Der beschuldigte Präsidentenfreund, Tymur Minditsch, wurde gewarnt und konnte fliehen.

Selenskyj gab einst ein Versprechen ab

Dass zehn Jahre nach der demokratischen Maidan-Revolution solche oligarchischen Praktiken offenbar immer noch nicht ausgemerzt sind, hat einen Grund in der Geschichte. Auf dem „Maidan“ von 2014 wollte die Demokratiebewegung eigentlich den korrupten Clan des prorussischen Präsidenten Viktor Janukowitsch stürzen. Als das gelang, entfesselte Wladimir Putin auf der Krim den Angriffskrieg, der bis heute anhält.

Dieser Text stammt aus der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung.



Ein Teil der Oligarchen, die nicht unter die Moskauer Knute geraten wollten, verbündete sich damals allerdings mit der Demokratiebewegung gegen die Angreifer. Einige, etwa der Bankier Ihor Kolomojskyj, stellten sogar mit eigenem Geld Milizbataillone zur Abwehr der russischen Invasion auf. Die Personifizierung dieser „Demoligarchie“ war der Multimillionärspräsident Petro Poroschenko, der das Land erfolgreich verteidigte und zugleich unverdrossen weiter alte Geschäfte trieb.

Selenskyj schlug Poroschenko dann 2019 mit dem Versprechen, die verbliebenen Sümpfe trockenzulegen. Es gab auch Erfolge. Auf der Rangliste von Transparency International machte die Ukraine Fortschritte, und der Großoligarch Kolomojskyj sitzt im Gefängnis.

Jermak muss entlassen werden

Aber Selenskyj machte von Anfang an einen schweren Fehler: Er besetzte mehrere Dutzend zentraler Positionen im Staatsapparat mit persönlichen Freunden und Partnern aus dem Umfeld seines Unternehmens „Kwartal 95“. Die Hauptfigur dieses Gewebes wurde Andrij Jermak, sein mächtiger Kanzleichef bis heute. Das war damals zunächst verständlich, denn im halb oligarchischen Apparat, den der neue Präsident übernahm, brauchte er Leute seines Vertrauens.

Nun kommen aber genau in diesem Kreis die alten Laster wieder. Weil Parlaments- und Präsidentenwahlen im Krieg per Gesetz verboten sind, und weil der Krieg ohnehin alles zentralisiert, ist dieses Milieu der demokratischen Kontrolle entglitten. Kritiker nennen es in Anspielung auf den Kanzleichef „Jermokratie“.

Mittlerweile bedrohen die Skandale in Selenskyjs Umfeld den Zusammenhalt der Ukraine und die Unterstützung im Westen. Sie bedrohen damit das Überleben des Staates. Selenskyj muss deshalb mit seinen Kumpels aus der Zeit von „Kwartal 95“ brechen – und vor allem Jermak entlassen, wie das aus Europa und den USA schon längst unter der Hand gefordert wird. Und er muss demokratische Kontrolle wieder möglich machen, indem er glaubwürdige Personen aus Opposition und Zivilgesellschaft in die Regierung und in seine Kanzlei beruft. Das Land retten heißt jetzt: die Führung teilen.

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