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Wie die Architektin Charlotte Perriand in den Kunstmuseen Krefeld gezeigt | ABC-Z

Sie war eine der wenigen Frauen, die sich in der von Männern dominierten Moderne durchsetzen konnte: Die französische Architektin und Gestalterin Charlotte Perriand (1903-1999) arbeitete mit Le Corbusier und Jean Prouvé zusammen und ging doch ihren eigenen Weg. Etwa mit den Entwürfen für den Wintersportort Les Arcs, an denen sie zehn Jahre arbeitete. Nun würdigen die Kunstmuseen Krefeld ihr Werk mit der Ausstellung „Charlotte Perriand. Die Kunst des Wohnens“, die am 2. November eröffnet wurde. Katia Baudin, die Direktorin der Museen, erklärt im Interview, warum Perriands Entwürfe bis heute faszinieren Jasmin Jouhar. und warum Besucherinnen und Besucher sogar auf Perriand-Möbeln Platz nehmen können.
Sie hat viele Klassiker entworfen, unter anderen das Bücherregal Mexique (1952) und das Fauteuil pivotant (1927).MAMC+, ETH Zürich/Alfred Roth/F.L.C.

Frau Baudin, warum eine große Ausstellung über Charlotte Perriand – und warum gerade jetzt?

Weil ihre Themen und Ansätze eine erstaunliche Aktualität besitzen. Fragen nach Wohnraumknappheit, Nachhaltigkeit und dem verantwortungsvollen Umgang mit Ressourcen beschäftigen die Gesellschaft heute ebenso wie zu ihrer Zeit. Charlotte Perriand hat stets den Menschen in den Mittelpunkt gestellt: Für sie war Gestaltung kein Selbstzweck, sondern sollte den Alltag verbessern. Sie plädierte für Flexibilität, Teilhabe und Zusammenarbeit – ob in der Entwicklung modularer Möbel, die Nutzerinnen und Nutzern Mitbestimmung ermöglichten, oder im interkulturellen Austausch mit Handwerkern und Gestaltern weltweit. Zugleich war Charlotte Perriand gesellschaftspolitisch engagiert und verknüpfte ihre Entwürfe mit einer starken sozialen Überzeugung. Projekte wie Minimalbehausungen oder vorgefertigte Wochenendhäuser, die Freizeit und Wohnqualität für breite Bevölkerungsschichten erschwinglich machen sollten, sind Beispiele für ihr Bestreben, Architektur und Design für alle zugänglich zu machen.

Katia Baudin wurde 1967 in Neuilly-sur-Seine geboren und wuchs in New York auf. Seit 2016 ist sie Leiterin der Kunstmuseen Krefeld.
Katia Baudin wurde 1967 in Neuilly-sur-Seine geboren und wuchs in New York auf. Seit 2016 ist sie Leiterin der Kunstmuseen Krefeld.Kaiser-Wilhelm-Museen Krefeld

Wie kam die Zusammenarbeit mit dem Archiv Charlotte Perriand zustande?

Seit 2015 bin ich im Austausch mit Pernette Perriand, der Tochter der Designerin und Architektin, sowie mit Jacques Barsac, dem Herausgeber des Werkverzeichnisses, die gemeinsam das Archiv führen. Der Kontakt entstand, als ich eine Ausstellung über Fernand Léger und sein Verhältnis zur Architektur am Museum Ludwig in Köln vorbereitete. Pernette und Jacques hatten mir die Türen des Archivs geöffnet und mich mit ihrem Enthusiasmus und Fachwissen zu Perriand angesteckt. Ich war überrascht, dass Perriand in Deutschland relativ unbekannt war. Als ich 2016 an die Kunstmuseen Krefeld wechselte, zu denen auch die ehemaligen Wohnhäuser Lange und Esters von Mies van der Rohe gehören, schwebte mir von Anfang an eine Perriand-Ausstellung vor – als „Contrepoint“ zum Bauhaus. Die Ausstellung wäre in ihrer Ausführlichkeit und Dichte ohne die Zusammenarbeit mit dem Archiv nicht möglich gewesen. Dank der Unterstützung können wir Archivalien und seltene Objekte von Perriand und aus ihrer Sammlung zeigen – manche davon werden zum ersten Mal überhaupt verliehen.

Was hat es mit den Rekonstruktionen von Räumen auf sich?

Die Rekonstruktionen sind zentrale Elemente der Ausstellung. Sie machen Charlotte Perriands Gestaltungsideen im Maßstab eins zu eins erfahrbar und eröffnen damit einen unmittelbaren Zugang zu ihrem Denken. Statt die Möbel nur als Einzelstücke zu präsentieren, werden ganze Raumsituationen nachgebildet, sodass deutlich wird, wie Perriand Wohnen, Arbeiten und Leben als Einheit verstand. Schon beim Betreten der Ausstellung im Kaiser-Wilhelm-Museum gelangt man in den „Salon d’Automne“ von 1929, den wir dank der Unterstützung des Möbelherstellers Cassina realisieren können.

Entwürfe aus dem Archiv.
Entwürfe aus dem Archiv.Archives Charlotte Perriand

Man kann sogar auf den Möbeln von Le Corbusier, Pierre Jeanneret und Charlotte Perriand Platz nehmen. Erst wenn man ein Raumkonzept mit allen Sinnen erlebt, erschließt sich wirklich, worin die Radikalität und Modernität von Perriands Ideen liegen. Auch die alpine Notunterkunft Refuge Bivouac wird nach Originalplänen täuschend echt rekonstruiert. In Haus Lange knüpfen wir an Perriands Leitmotiv der Synthese der Künste an. Im Kontext der rekonstruierten Räume werden ihre prägenden Aufenthalte in Japan, Indochina und Brasilien beleuchtet sowie ihre Kooperationen mit Künstlerpersönlichkeiten wie Fernand Léger, Le Corbusier und Isamu Noguchi sichtbar gemacht.

Gibt es ein Exponat, auf das Sie besonders stolz sind, es zeigen zu können?

Es gibt so viele spannende Exponate! Wenn ich eines auswählen müsste, wäre es der Tisch „Forme libre six pans“ von 1938 („Freie Form mit sechs Winkeln/Seiten“), ein Einzelstück, das Perriand speziell für ihre damalige Dachgeschosswohnung im Montparnasse hat anfertigen lassen und das sie später dem Centre Pompidou schenkte. Der Tisch hat sogar Manifest-Charakter. Er verabschiedet sich von den Kanons der Moderne: Statt Metall verwendet Perriand Holz; er ist nicht industriell gefertigt, sondern von Handwerkern; er ist nicht symmetrisch, sondern asymmetrisch. Dennoch folgt die Form der Funktion: Für ihren kleinen Raum hat Perriand einen Esstisch für sechs Personen geschaffen, der wesentlich platzsparender ist, als es ein runder Tisch gewesen wäre. Außerdem hat sie kein edles Holz gewählt, sondern Nadelholz. Dass die Holzplanken zudem wiederverwertet sind – sie stammen von Le Corbusiers temporärem Bau für die Weltausstellung von 1937, dem Pavillon des Temps nouveaux –, ist wegweisend! Die freie Form verkörpert ihren offenen Geist und ist gleichzeitig eine Absage an die faschistische Ästhetik einer symmetrischen Formensprache und Kontrolle.

Den Sessel Grand confort (1928) schuf sie gemeinsam mit Le Corbusier und Pierre Jeanneret.
Den Sessel Grand confort (1928) schuf sie gemeinsam mit Le Corbusier und Pierre Jeanneret.bpk / CNAC-MNAM / Bertrand Pr√

Was können wir heute von Charlotte Perriand lernen?

Dass Gestaltung mehr ist als Form und Funktion – sie ist ein Mittel, den Alltag der Menschen zu verbessern und gesellschaftliche Verantwortung zu übernehmen. Ihre Haltung der Neugier und des Optimismus ist vorbildhaft. Sie war offen für junge Generationen, lernte von anderen, schaute nach vorn. Sie war überzeugt, dass jeder Mensch ein kreatives Potential besitzt.

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