Sport

Nach der Niederlage in Bremen: Der VfL Wolfsburg erodiert auf allen Ebenen – Sport | ABC-Z

Kamil Grabara geriet außer sich vor Wut. Mit aufgerissenen Augen und ausschweifenden Armbewegungen illustrierte er nach Abpfiff immer wieder, wie ihn seine Vorderleute bei der nächsten Pleite im Stich gelassen hatten. Der Tormann des VfL Wolfsburg hatte sich lange als letzte Instanz gegen den minütlich wachsenden Druck des gewiss nicht übermächtigen, aber willensstärkeren SV Werder gesträubt. Doch dann erlebte das Weserstadion am Freitagabend doch noch einen skurrilen Bremer Siegtreffer zum 2:1.

Einwechselspieler Victor Boniface setzte in der vierten Minute der Nachspielzeit in einem Akt der Verzweiflung einen ziemlich missglückten Seitfallzieher an: Die Bogenlampe hätte jeder Bundesligaverteidiger ohne Umstände aus der Gefahrenzone köpfeln können. Doch die VfL-Profis Moritz Jenz und Vinicius Souza bewunderten mehr die Flugbahn des Balles, anstatt sich in ein Luftduell zu begeben. Samuel Mbangula, neben Boniface auf Werder-Seite als belebendes Element eingewechselt, beförderte umstandslos und gekonnt mit dem Fuß die Kugel in die Maschen. Der Volleyschuss verwandelte die Spielstätte am Osterdeich in ein Tollhaus.

Sogar Trainer Horst Steffen legte für seine Verhältnisse die Zurückhaltung ab. „Dass wir dann drangeblieben sind und die Energie behalten haben und uns dann belohnen, ist das, was ich mir vorstelle – dass das Stadion mitgeht, dass es feiert, dass es laut wird. Am Ende war es dann toll.“

VfL-Trainer Paul Simonis sprach dagegen in der Pressekonferenz mit leiser Stimme: „Wir haben zweite Halbzeit nur verteidigt und nicht dreimal hintereinander den Ball behalten. Es hat nur ein Team verdient zu gewinnen.“ In Wolfsburg herrscht nun Alarmstufe Rot. „Das ist vielleicht die schwierigste Niederlage meiner Karriere“, gab der Niederländer, 40, zu, der keine Argumente für eine Weiterbeschäftigung lieferte. Sein Hinweis, man müsse in Zukunft vor allem „stabiler werden“, klang arg blutleer.

Wenn ich das Problem bin, dann gehe ich gerne

Wolfsburgs Geschäftsführer Peter Christiansen

Sportdirektor Sebastian Schindzielorz umschiffte ein Treuebekenntnis zu später Stunde: „Ich bitte um Verständnis, dass ich da jetzt nicht viel zu sagen möchte. Fakt ist: Wir haben uns viel mehr vorgenommen, als wir gezeigt haben. Insofern ist die Kritik natürlich auch berechtigt und der müssen wir uns stellen. Wir werden jetzt zurückfahren und dann schauen wir.“ Kurios: Schon vor Anpfiff hatte auch Geschäftsführer Peter Christiansen angeboten, seinen Posten zu räumen, sollte er als am Mittellandkanal als Hindernis identifiziert werden. Der Trainerfrage war der Däne bei Sky ausgewichen. „Das ist ein Ergebnissport, das wissen wir alle. Paul arbeitet ganz cool.“ Das gelte genauso für Sportdirektor Schindzielorz. „Wir sind schon lange in diesem Geschäft und wissen, wie es funktioniert. Es ist kein Problem für mich. Wenn ich das Problem bin, dann gehe ich gerne.“

Wenn weder Geschäftsführer, Sportdirektor noch Trainer wissen, ob sie weiterarbeiten wollen, wie soll dann die Mannschaft auf dem Platz wissen, wo es lang geht? Es passt gerade auf allen Ebenen nicht. Die schlechten Zahlen des Automobilbauers Volkswagen als Eigner der Fußball GmbH an diesem Standort gebieten es, auch Investitionen in den Profifußball auf den Prüfstand zu stellen, wenn Aufwand und Ertrag dermaßen weit auseinanderliegen. Sieben der letzten acht Pflichtspiele ging verloren.

Kapitän Arnold wirkt konsterniert

Torschütze Mattias Svanberg konnte nicht fassen, dass sein fein herausgespieltes Führungstor (28.) nicht mehr Sicherheit vermittelte. „Normalerweise hast du danach so viel mehr Eier – wir hatten nichts“, drückte der Däne auf Deutsch das Mentalitätsproblem sehr drastisch aus. Schon das Ausgleichstor von Bremens Antreiber Jens Stage (83.) hatte sich angedeutet. In seinem Rücken wartete Kapitän Maximilian Arnold, der sich immer wieder entgeistert durch die Haare strich. „Wir haben nicht mehr verstanden, den Ball zu halten. Wir besetzen die Räume nicht mehr. Wir haben das Gefühl, was zu verlieren“, gab Wolfsburgs Identifikationsfigur zu. Arnold, 31, erinnert vieles an jene Spielzeiten 2017 und 2018, als die Niedersachsen zweimal hintereinander erst in der Relegation gegen Eintracht Braunschweig und Holstein Kiel den Abstieg vermieden. „Es ist ganz gefährlich. Es wird immer schlimmer“, flüsterte er mehr als er sprach. Arnold hatte just seinen Vertrag in Wolfsburg um zwei weitere Jahre verlängert.

Lange hatte eine durchaus beträchtliche Zahl an VfL-Fans das Team leidenschaftlich unterstützt, am Ende stand der Anhängerschaft dasselbe Entsetzen ins Gesicht geschrieben wie der übers ganze Feld zerstreuten Mannschaft. Noch so ein Symbolbild. Eine Gemeinschaft ist dieser Kader schon lange nicht mehr. „Es geht nicht in die richtige Richtung“, sagte Arnold, der einen Trainerwechsel nicht kommentieren wollte: „Wenn es so kommt, ist es immer eine Niederlage für einen selbst.“

Samuel Mbangula und Victor Boniface erzwangen das Bremer 2:1 in der 94. Minute. (Foto: Carmen Jaspersen/dpa)

Wenige Meter weiter genossen die Sieger den vorläufigen Sprung auf Platz sieben. Im Bremer Spiel sieht über weite Strecken wenig nach internationalen Ansprüchen aus, dennoch ist eine gewisse Widerstandsfähigkeit zu besichtigen. Geschäftsführer Clemens Fritz und Sportchef Peter Niemeyer müssen sich auf der Mitgliederversammlung am 16. November vermutlich keine kritischen Fragen mehr zur Kaderzusammenstellung gefallen lassen. „Das fühlt sich gerade sehr besonders an. Wir haben nach dem Rückstand einfach weitergemacht“, sagte Innenverteidiger Amos Pieper, der für eine Vertragsverlängerung wirbt. Und weil neben ihm auch Karim Coulibaly kaum mehr Fehler macht, muss Kapitän Marco Friedl links hinten in der Viererkette aushelfen.

Beim Österreicher hatten zuletzt in Mainz (1:1) weder Leistung noch Körpersprache gepasst, aber danach war Friedl, 27, selbstkritisch mit sich umgegangen. Nun konnte er zufrieden festhalten: „Wenn wir das Spiel verloren hätten, hätten wir die Welt nicht mehr verstanden. Wir haben uns zum Glück spät verdient belohnt.“ Ansonsten wunderte er sich über die Herangehensweise des VfL Wolfsburg. Er habe er in der Bundesliga zwar schon viel erlebt, „aber ich habe selten eine Mannschaft gesehen, die so tief steht“.

Back to top button